Magazin
Bücher: Spiel und Freiheit
Ein theaterwissenschaftlicher Band untersucht Inszenierungen von Benno Besson
von Thomas Wieck
Erschienen in: Theater der Zeit: Bühne & Film – Superstar aus Neustrelitz (01/2023)
Assoziationen: Theatergeschichte Buchrezensionen Wissenschaft
1968, in dem Jahr, in dem vieles anders werden sollte, war in der DDR eine vehemente Apologie des Spielens unter dem Titel „Spiel und Freiheit“ zu lesen: „Nirgends tritt die Notwendigkeit des freien Individuums, das sich in einem Feld von Möglichkeiten bewegt, so klar zu Tage wie im Bereich der Spiele. Der spezielle Zauber der künstlich konstruierten Spiele liegt darin, daß der Mensch auch unter schlechten und freiheitsfeindlichen Bedingungen hier eine Ersatzwelt finden kann, die ihm die Möglichkeit gibt, seine Freiheit zu betätigen, eine Möglichkeit, die er auf anderen Ebenen seiner geistigen und körperlichen Aktivität nicht besitzt. Sie haben den Vorzug, daß sie ein Betätigungsfeld menschlicher Freiheit sind. Das ist ihr Zauber, ihre Grenze – und ihre Gefahr.“ (Georg Klaus, „Spieltheorie in philosophischer Sicht“)
Gefährdete der Spielende in der freiheitsfeindlichen Gesellschaft sich selbst, so gefährdete er die Gesellschaft jedoch doppelt: in ihrer realen Existenz und in ihrem vorgeblichen Schein. Sie pflegte sich demokratisch zu maskieren und im Moment der Bestrafung des Spielenden verlor sie diesen Schein, aber an der Bestrafung musste sie festhalten, um ihre Macht zu erhalten. So enthüllte das öffentliche künstliche Spiel die realen Machtspiele und die Wirklichkeit in ihrer Dialektik. Im Jahr der groß gedachten Kulturrevolution, der gesellschaftlichen Reformen in Ost und West und ihres jähen Zusammenbruchs, startete Besson die Reihe seiner rollen- und spieltheoretisch fundierten Inszenierungen „Don Juan“, „Horizonte“ (1969) und „König Hirsch“ (1971).
Die unter dem anmaßenden Titel „Benno Besson. Theaterarbeit in der DDR“ versammelten studentischen Studien erfassen maximal Facetten der Probenarbeit und der theoretischen Erwägungen Bessons zu diesen drei Stücken unter schmählicher Hintansetzung der Inszenierungen und bei weitgehender Ignoranz gegenüber den zeitgenössischen Auseinandersetzungen um Rollentheorie und Spieltätigkeit, die vor allem die ästhetische Theorie und theatralische Praxis des Komischen belebten. Die Theatersituation jener Tage bleibt völlig unerörtert und wenn, dann wird sie mangels Ein- und Übersicht grob vereinseitigt. Theaterhistorisch sind die Studien ungenügend, theaterästhetisch aber insofern von Interesse, da sie einen verlässlichen Einblick in die Probenarbeit Bessons anhand einer großen Anzahl detailgenauer und aufschlussreicher Probennotate aus den allerdings jedermann offenstehenden Archiven ermöglichen. Dafür ist vorzüglich den Dramaturgen und Regieassistenten zu danken, die mit Besson zusammenarbeiteten. Der studentische Fleiß des Digitalisierens und des überwiegend umsichtigen Kommentierens soll dennoch nicht übersehen werden.
Doch wenn schon die Herausgeberin darauf verweist, dass „die Handschriften der Autoren und Autorinnen des Bandes beibehalten“ sind, dann hätte sie auch schreiben müssen, aus welchen Gründen sie das Übermaß von historischen und personellen Fehldarstellungen und die vielen unbewiesenen Behauptungen der Autoren, oftmals einseitigen Urteilen der herbeizitierten Zeitzeugen vertrauend, unkommentiert ließ.
Die dokumentarischen Teile des Buches bestätigen den bekannten Charakter der Theaterarbeit Benno Bessons: „Das Theater kehrt zu seinem eigentlichen Ursprung zurück, der Schauspieler ist der wahrhaft neuschaffende Interpret des Kunstwerkes; dieses vermischt sich mit seinem Geist, zerlegt sich in seine Urelemente und setzt sich wieder zusammen in einer Synthese von Bewegungen, elementarem Tanz und plastischer Haltung; es verliert an verbaler Dichtung und kehrt zum physischen Leben zurück, wird wieder Leben allumfassenden Ausdrucks: der gesamte Körper wird zur Sprache, der gesamte Körper spricht.“ (Antonio Gramsci 1918)
Rico Dietzmeyer, Christoph Püngel, Franziska Schubert, Leonie Sowa: Benno Besson. Theaterarbeit in der DDR, Gerda Baumbach (Hg.), Leipziger Universitätsverlag, 2022, 365 S. mit Abb., € 29