Theater der Zeit

Essay

Das Widerständige der Resonanzen

Produktive Spannungen zwischen Performen und Zuschauen

Wir wollten von Eva Meyer-Keller wissen, welche Resonanz sie vonseiten der Zuschauer auf ihre Stücke bekommt, und wie diese Reaktionen und Schwingungen wieder zurück auf ihre künstlerische Arbeit einwirken. Wie kann man als Künstlerin die eigene Arbeit offen halten für solche Wirkungen? Wie politisch ist diese resonante Kommunikation zwischen Künstlerin, Kunst und Publikum?

von Eva Meyer-Keller

Erschienen in: double 40: Good Vibrations! – Resonanzen im Figurentheater (11/2019)

Assoziationen: Debatte Performance Akteure

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Ich verwende alltägliche Objekte auf der Bühne, die zwar funktional benutzt werden, aber um etwas nachzustellen oder zu inszenieren, das überhaupt nicht dem gewöhnlichen Kontext entspricht, in dem wir ihnen normalerweise begegnen. Das sind oft schwer begreifliche oder existenzielle Dinge wie Gewalt und Tod, aber im letzten Projekt auch naturwissenschaftliche Modelle wie das Atom, die heute unsere ganze Realitätswahrnehmung prägen, oder aktuell aus der Perspektive der Mikrobiologie die Frage, was Leben ist.

Unsere Welt ist so komplex geworden, dass sie einem immer unzugänglicher erscheint. Deshalb gestalte ich meine Stücke so einfach wie möglich. Durch die Art, wie ich das mache, entfaltet sich gleichzeitig die Unmöglichkeit das zu tun, weil wir Dinge absolut und objektiv nicht begreifen können. Alles steht immer in einem Zusammenhang und dieser verändert sich. Manchmal finden Zuschauer*innen das banal und langweilig – es ist eben das Gegenteil von spektakulär. Befriedigender für mich ist es natürlich, wenn sich etwas öffnet, Perspektiven sich erweitern.

Mich beschäftigt die Resonanz bei den Zuschauer*innen sehr. Natürlich treibt einen ein bestimmtes eigenes Interesse an, wenn man recherchiert und arbeitet, aber im Endeffekt geht es mir vor allem um diesen Moment, wo das, was wir entwickeln, wahrgenommen und damit verändert wird.

Mir ist wichtig, dass die Zuschauenden aktiv schauen, also merken, dass sie das, was sie sehen, immer schon mitgestalten. Das gelingt, je mehr Lücken ich lasse, damit Resonanzen oder Assoziationsketten entstehen können. Für mich sind Resonanzen etwas Anderes, als dass ein Effekt oder eine Szene einfach gut ankommt oder funktioniert. Sie haben etwas Widerständiges, aber sie sind auch kein Automatismus. Damit sie ‚resonieren‘, fordern meine Stücke den Betrachter*innen Arbeit ab. Ich versuche natürlich, das bis zu einem bestimmten Grad anzuleiten, aber in letzter Konsequenz kann und will ich es nicht kontrollieren.

Stimmungen, Atmosphären, Provokationen

Nicht immer stellt sich von allein die Balance her, in der die Wahrnehmung der einzelnen Zuschauenden erst bestimmt, was gesehen wird. Bei meinem Stück „Death is Certain“, in dem ich Kirschen auf verschiedene Weise ermorde, gibt es manchmal ein Übergewicht an Lachen und Albernheit. Oder aber es wird ganz heilig und totenstill. Das versuche ich dann über meine Performance möglichst auszusteuern. Am besten ist es, wenn verschiedene Reaktionen da sind und die Leute im Publikum etwas miteinander verhandeln. Viele direkte Rückmeldungen bekomme ich in „Death is Certain“ – weil das kein frontales Stück ist und ich so nah dran und zugänglich für das Publikum bin. Da schlagen mir Leute zum Beispiel Todesarten vor, die ich auch noch ausprobieren könnte oder sagen, welchen Mord sie am grausamsten fanden. Negatives Feedback richtet sich meistens auf das Banale, bewusst Einfache. Wer das nicht als eine Einladung annehmen will, selbst zu imaginieren, langweilt sich manchmal. Oder das Ankratzen von Autoritäten, etwa der Wissenschaft, wird als Provokation empfunden.

Der Blick der anderen, Feedback-Sessions

In meiner Arbeit ist es zentral, den Blick der Zuschauenden mitzudenken. Wenn man Bilder frontal von außen baut, hat man natürlich die meiste Kontrolle. Heute arbeite ich aber immer mehr mit der Innenperspektive, also damit, wie sich eine bestimmte Szene oder Aktion von innen anfühlt, wenn wir sie machen. Das ist etwas Anderes. Dann löst sich auch meine Position als Choreographin mehr in der Horizontalen auf und das bedeutet automatisch, Kontrolle abzugeben.

Ich muss natürlich trotzdem ein Gefühl dafür bekommen, wie etwas wirkt. Deshalb arbeite ich mit Feedback-Sessions oder gegenseitiger Beobachtung. Wenn ich einen Blick verändern will, muss ich ihn ja erst einmal einladen, und dazu müssen die Assoziationen, die wir hervorrufen, konkret genug sein. Aber eben nicht eindeutig. Das ist ein Balanceakt. Was meiner Erfahrung nach sehr wichtig wird, ist die Haltung, der Nachdruck, mit dem wir etwas tun. Ich mag das Wort ‚rigor‘1 im Englischen. Dass wir sehr entschlossen sind in dem, was wir tun, hilft den Zuschauenden auszuhalten, dass sie oft keine eindeutigen Erklärungen bekommen, was genau wir gerade darstellen – etwa, wenn wir uns Feinstrumpfhosen um den Körper binden, Äpfel in deren Füße stecken und uns dann drehen. Man kann das Planetarische Atommodell sehen, muss es aber nicht.

Politische Resonanzen, Ermächtigungen

Ich bin da nicht naiv. Eine Performance macht die Welt nicht besser. Aber sie kann etwas in den Zuschauenden auslösen, die sich dann vielleicht ein kleines bisschen anders durch die Welt bewegen. Für mich hat die politische Energie hinter einer künstlerischen Arbeit nichts damit zu tun, politische Messages auf der Bühne zu verbreiten. Ich hatte vor einiger Zeit die Situation, dass ein Kurator nach meiner letzten Arbeit gesagt hat, sie sei für sein Profil nicht politisch genug. Ist das nicht interessant, dass er als Mann nichts Politisches daran findet, wenn vier Frauen die Unantastbarkeit und den Realitätsstatus der Welterklärungsmodelle der Physik, also einer der Domänen männlicher Kontrolle und Machtausübung mit Hilfe von Haushaltsutensilien und Alltagsgegenständen aushebeln?

Mit geht es immer auch um Ermächtigung. Darum, rigide, autoritäre Strukturen oder einfach solche, die wir als ‚normal‘ hinnehmen, zu hinterfragen. Meine Strategie ist dabei nicht die Faust im Gesicht, sondern ich bearbeite sie eher von der Seite her. Dadurch, dass ich Blickwinkel verschiebe. Dabei ist Humor hilfreich, eine gewisse Leichtigkeit. Ich bin nicht in der Position, Leuten etwas über eine bessere Welt zu erzählen, aber was ich gerne wecken möchte, ist bei ihnen selbst eine Neugier auf die Welt da draußen zu wecken und die Lust, sich hands on mit ihr zu befassen und sie zu verändern, weil immer noch wir es sind, die das ‚machen‘, was wir dann als Realität erfahren. Das beginnt damit, wie wir Dinge wahrnehmen. Deswegen hätte mich in dem betreffenden Stück auch nie interessiert, mit dem Zeigefinger zu beklagen, dass die physikalische Weltsicht bis heute eine vorherrschend männliche ist.

Wie ich oben schon gesagt habe, gibt es für mich einen wichtigen Unterschied zwischen einer politischen These und dem, was ich „politisch“ nennen würde. Wir sind doch umgeben von einem Überangebot an politischen Thesen. Die sind letztlich wie Modelle. Sie machen Setzungen, schreiben etwas fest und damit vereinfachen sie auch immer schon. Politisch ist es für mich, wenn Menschen sensibel dafür werden, dass Realität nie einfach da ist, sondern immer schon ein Ergebnis davon, wie wir sie gestalten und dass sie deshalb immer verändert werden kann. Natürlich sind viele Probleme, die wir haben, riesig. Natürlich sind viele Menschen von vielen Gestaltungsprozessen ausgeschlossen. Aber politisches Handeln im Kleinen beginnt für mich mit sehr genauer Beobachtung, mit Interesse, mit dem Fragenstellen an die Dinge ‚wie sie sind‘, von ‚Fakten‘ und ‚Wahrheiten‘. – www.evamk.de

1 „rigor“, engl. für „Genauigkeit“, „Härte“, „Strenge“, „Entschiedenheit“.

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