Theater der Zeit

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Auftritt

Kosmos Theater Wien: Zart und Unaushaltbar

„Absence“ (UA) – Inszenierung, Idee & Bühne Blanka Rádóczy, Text & Dramaturgie Natalie Baudy, Bühne & Kostüm Andrea Simeon , Musik Sandro Nicolussi, Video Manfred Rainer

von Theresa Luise Gindlstrasser

Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Natalie Baudy Blanka Rádóczy Kosmos Theater

Schauspielerin Natalina Muggli in „Absence“ von Blanka Rádóczy am Kosmos Theater Wien.
Schauspielerin Natalina Muggli in „Absence“ von Blanka Rádóczy am Kosmos Theater Wien.Foto: Bettina Frenzel

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Die beiden Schauspielerinnen Natalina Muggli und Tamara Semzov halten jeweils einen Mini-Beamer in ihren Händen. Sie lassen die Projektionen über ihre Körper, über die Bühnenobjekte und über die schwarze Rückwand des Kosmos Theaters in Wien tanzen. Dort schlagen die animierten Vögel fröhlich mit den Flügeln, derweil erklingt im Raum sanftes Gezwitscher, wie an einem wunderschönsten Frühlingstag. Doch plötzlich verändert sich eine der beiden Projektionen und es verschwimmen die Konturen der Zeichnung, zuerst unmerklich, dann unausweichlich hinterlässt jeder Flügelschlag eine bleibende Spur, die Fröhlichkeit wird zum bedrohlichen Chaos und das Gezwitscher immer lauter, ein Kreischen, ein Wummern, ein Tosen – unaushaltbar unangenehm. 

Manfred Rainer (Video) und Sandro Nicolussi a.k.a. BYDL (Musik) haben für die Theaterperformance „Absence“ wahrlich intensive Stimmungen kreiert. Die Regisseurin und Bühnenbildnerin Blanka Rádóczy verarbeitet mit dieser Uraufführung ihre eigenen Erfahrungen: 2018 wurde bei ihr ein Hirntumor diagnostiziert. In Zusammenarbeit mit Natalie Baudy (zuständig für Text und Dramaturgie) entstand nun ein Memento-mori-Abend, der Situationen und Gedanken rund um die notwendige Gehirnoperation thematisiert und der die damit einhergehende veränderte Wahrnehmung und den Kontrollverlust über den eigenen Körper für das Publikum erfahrbar macht.  

Auf der Bühne steht ein disparates Baugerüst, über dessen Sprossen sehr ordentlich arrangierte graue und weiße Plastikbahnen hängen. Dieses Setting wurde von Rádóczy und (der außerdem für das Kostümbild zuständigen) Andrea Simeon entworfen. Muggli und Semzov kehren während der 60-minütigen Inszenierung immer wieder zur Arbeit mit diesen Bahnen zurück. Sie rollen sie auf und ab, schieben sie hin und her und organisieren sie neu und anders. Dazu piepst und surrt es betriebsam aus den Lautsprechern. Wahrscheinlich sind hier die unermüdlichen Neuronen am Werke, feuern und arbeiten vor sich hin. Eindrücklicher als diese abstrakten Bewegungen sind jedoch die Momente, in denen sie unterbrochen werden. Wenn die grade noch so effizienten Körper plötzlich nicht mehr zu wissen scheinen, wie mit diesem Gerüst umzugehen sei ist und sie in vorsichtigen Versuchen der Annäherung an eine einstige Selbstverständlichkeit erstarren.  

Szenen, in denen eine Raumstimmung und das Erlebnis des Publikums im Vordergrund stehen, werden von mal spielerischen, mal nachdenklichen Text- Sequenzen unterbrochen. Einerseits geben diese die Chronologie der Ereignisse wieder, andererseits reichen die Implikationen der Assoziationen weit über den konkreten Fall hinaus, wenn es beispielsweise heißt: Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite? Aber auch medizinisches Wissen wird von Muggli und Semzov in ihren plastischen Vorträgen zugänglich gemacht. Immer präzise und immer aufeinander bezogen führen die beiden durch den Abend.  

Mit den Mini-Beamern lassen sie auf der Bühne eine Welt voller Schönheit und voller Ungewissheit entstehen. Das Publikum sieht Wald und Wiese, aber auch Zeichnungen von einem Fahrrad, einem Haus und einer Zahl. In der Erzählung soll die Protagonistin Bilder erkennen und korrekt benennen. Das geht aber nicht. Ein aufgeregt blinzelndes Auge gleitet als Projektion durch den Raum. Ein Theaterabend, der für die Verunsicherung der eigenen Wahrnehmung zarte Bilder findet.     

Erschienen am 6.4.2023

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