Theater der Zeit

Editorial

Editorial

von Thomas Irmer

Erschienen in: Theater der Zeit: Millennials im Theater – Eine Generation auf der Suche (11/2023)

Assoziationen: Schauspielhaus Bochum

Julia Reichert, Hayat Erdog˘ an und Tine Milz, Direktion von Theater Neumarkt
Julia Reichert, Hayat Erdogan und Tine Milz, Direktion Theater Neumarkt ZürichFoto: Philip Frowein

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Am 7. Oktober griff die Hamas Israel an, mit mehr als eintausenddreihundert toten Israelis und etwa zweihundert nach Gaza Entführten. Ein paar Tage später, ab dem 10. Oktober, begann eine Diskussion darüber, ob die deutsche Kultur gar nicht oder zu spät und unangemessen verhalten reagiert. Der Musikjournalist Jens Balzer sprach mit Blick auf die Clubszene von „dröhnendem Schweigen“. Auch in den Theatern suchte man – online oder an den Fassaden – Stellungnahmen, visuelle Solidaritätsbekundungen, ja, auch deutliche Stimmen von Einzelnen. Der polnisch-jüdische Regisseur Wojtek Klemm, der gerade am Volkstheater Rostock arbeitet, empörte sich in diesem Moment auf facebook: „Friedensaktivisten, die aktiv gegen Ungerechtigkeit dieser Welt kämpfen, schweigen. – Juden sind, wiedermal, allein“.

Inzwischen haben sich viele Häuser dem Statement des Deutschen Bühnenvereins zum Terrorangriff auf Israel (vom 10. Oktober) angeschlossen und dieses weiter veröffentlicht oder wie die Münchner Kammerspiele und das Thalia Theater Hamburg auf ihrer Website ein eigenes Statement formuliert. Von „dröhnendem Schweigen“ muss also nicht die Rede sein. Aber was ist es dann? Vorsicht und Vorbehalte, Abwägen der Kriegslogik? Während zwei wegen Antisemitismus umstrittene Kuratoren der letzten documenta, die in Hamburg mit Gastprofessuren nobilitiert wurden, ungestraft die palästinensischen Jubel-Demos in Berlin likten. Da braucht es doch mehr und eindeutigere Zeichen, auch in den Theatern, die in den letzten Jahren für Künstler:innen aus Israel ein Ort der Verständigung waren. Yael Ronen, Sivan Ben Yishai oder der gerade in Freiburg arbeitende junge Regisseur Yair Sherman, ihnen sollte man jetzt genau zuhören – und deshalb noch verstärkt die Möglichkeit künstlerischer Arbeit geben. Sherman schrieb der Redaktion, für ein schnelles Statement sei es zu kompliziert, aber es gebe viel zu besprechen. Dem werden wir demnächst folgen.

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Der Schwerpunkt „Millennials im Theater“ geht auf ein schon viel diskutiertes Generationsphänomen zurück. Die Soziologie versucht, mit immer ausgefeilteren Methoden, Generationen nach gemeinsamen Erfahrungen, Wertvorstellungen, Biografien und – das ist der springende Punkt der letzten Jahrzehnte – im Konsumverhalten zu konstruieren. Gleichzeitig entwerfen Medien, darin zum Teil nur auf die Soziologie zurückgreifend, Generationsbilder, die oft mit kulturellen Akteuren sichtbar werden. Genau an dieser Stelle – oder Schwelle – wollten wir ins Theater blicken: mit den Porträts der Schauspieler:innen Miriam Haltmeier, Jonas Dumke, Dominik Dos-Reis und dem Gespräch mit dem Regisseur Wilke Weermann, zusammen mit den beiden übergreifend betrachtenden Artikeln von Leander F. Badura und Martín Valdés-Stauber. (S. 12­–15) Anna Bertram porträtiert außerdem das Leitungstrio am Theater Neumarkt in Zürich. (S. 32–34)

Dass die Arbeiten der Performance-Veteranin Marina Abramovic´ von einer jüngeren Generation einmal nachgestellt werden würden, als Reperformances unter den Vorzeichen unserer Gegenwart, das war vor kurzem noch kaum vorstellbar. Nun ist es an der Royal Academy in London spektakulär und zugleich auch für die Performance-Theorie aufschlussreich geschehen. (S.26–31)

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