3.3 Stimmlichkeit und Körperlichkeit in Opernaufführungen
von Clemens Risi
Erschienen in: Recherchen 133: Oper in performance – Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (08/2017)
Assoziationen: Musiktheater
Zum Verhältnis von Stimmproduktion und Gestik
Das Verhältnis von Stimmlichkeit und Körperlichkeit war bereits vereinzelt Thema dieser Studie, kann man es doch als zentrale Kategorie für das Performative der Oper bezeichnen – und zwar sowohl bezogen auf einzelne Sängerinnen/Sänger als auch bezogen auf das Wechselspiel zwischen Sängerinnen/Sängern und Zuhörenden/Zuschauenden. In diesem Kapitel soll das performative Kernstück der Oper noch einmal eigens diskutiert werden, beginnend mit einem kurzen Rückblick auf die Geschichte der Darstellungspraktiken in der Oper.
„Wenige Sänger […] zeigen […] ein tieferes Studium der scenischen Kunst; ihre Bewegungen sind meistens matt und einförmig, oft häßlich, wie z. B. die häufig vorkommende parallele Hebung der Arme, und das abwechselnde Ausstrecken derselben nebst flacher Oeffnung der Hände“.1
Diese Beobachtung, die im Jahr 1835 Eingang in die Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften fand, scheint auch fast 200 Jahre später ihre Gültigkeit nicht verloren zu haben, wenn man sich die Gestenpraxis mancher Starsängerinnen und -sänger in der heutigen Opernindustrie vergegenwärtigt. Was hier beklagt wird, lässt sich grob gesprochen als stereotype Sängergestik bezeichnen, die durchaus erkennbare historische Wurzeln hat. Als krudes Rudiment oder Schwundstufe lässt sie sich in eine Traditionslinie einreihen, die von Anleihen bei der antiken Rhetorik über die barocke deiktische Gestik...