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kirschs kontexte: Wo den Frühling Festgesänge würzten …
Ein deutscher Traum von der Antike
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Bruder Karamasow – Frank Castorf über Russland (02/2016)
Irgendwo bei Friedrich Nietzsche gibt es einen spöttischen Satz über die Griechenlandmanie deutscher Philologen, der schon deswegen bemerkenswert ist, weil der Verfasser der „Geburt der Tragödie“ seinerseits alles andere als frei von ihr gewesen sein dürfte. „Nichts furchtbarer als zu glauben, einem Griechen gegenüberzustehen, wenn man am Ende doch nur wieder einen Deutschen vor sich hat“, so (oder ähnlich) heißt es irgendwo in Nietzsches unzähligen Aphorismen. Die Warnung ist nur zu wahr – und sie trifft keineswegs nur die bewährten Klassiker germanischer Hellenenobsession, von Friedrich Schillers „Kampf der Wagen und Gesänge“ bis zu Martin Heideggers im und durch das Tempelwerk „anwesenden“ Gott. Das Misstrauen ist auch angesichts einer medienwissenschaftlich neu eingekleideten Begeisterung für „Musen, Nymphen und Sirenen“ noch angebracht, wie sie etwa Friedrich Kittlers späte Arbeiten durchströmt.
Besonders aber wo es um Theatergeschichte geht, ist man gut beraten, sich an den Nietzsche-Satz zu halten. Denn gerade auf diesem Gebiet kann es einem wirklich einmal geschehen, dass man sich bei dem Gedanken ertappt: „Es wäre schon schön, da mal dabei gewesen zu sein …“ Zum Beispiel bin ich vor kurzem auf ein archaisches Chorritual aufmerksam geworden, auf das auch einige der überlieferten Tragödien noch anspielen und dessen Prinzip schlagend ist: das...