Auftritt
Schauspielhaus Zürich: Theater ist wieder Theater ist Theater
„Frau Yamamoto ist noch da“ von Dea Loher (UA) – Regie Jette Steckel, Bühnenbild Florian Lösche, Kostümbild Pauline Hüners
von Anna Bertram
Assoziationen: Theaterkritiken Schweiz Jette Steckel Florian Lösche Schauspielhaus Zürich
Frau Yamamoto ist schon alt, leckt die Fischsuppe aus ihrem Teller. Sie lebt und stirbt, hatte ein nicht allzu leichtes Leben. Neben, hinter und vor ihr tummeln sich den Abend über weitere Haus- und Stadtbewohnende. Verbunden durch die flimmernde Sehnsucht nach Glück und Zufriedenheit erzählen sie in 2,5 Stunden auf der Bühne ihre Existenzen und Sehnsüchte. Bunte, transparente Folienwände schweben immer wieder von Oben auf die weiße Bühne herab, sind auch Protagonisten. Sie schirmen den Raum ab, trennen ihn, mal teilen sie ihn in kleinere Sektionen auf, meist verwandeln sie die Bühne in stimmungsvolle Farbatmosphären. Unterschiedliche kleine Welten eben. Ein schwules Paar, eine Kellnerin, ein Therapeut, zwei Angler, einige weitere Charaktere. Sie alle leben so vor sich hin, stellen kleine und große Fragen. Im Restaurant, im Wohnzimmer, Hausflur, auf dem Bett, im Schwimmbad. Die einen bleiben beim Küssen aneinander kleben – dann eine Frau mit ihrem Liebhaber auf dem Bett, den sie finanziert und aushält. Eis wird gegessen. Irgendwann eine Therapiesitzung auf der gelben Couch, eine Frau spricht über ihre sexuelle Ausbeutung und weiß nicht mehr, ob sie Bestohlene oder doch Diebin ist. Und die meiste Zeit sind da Frau Yamamotos Nachbarn, das Paar Nino und Erik. Der eine jung und idealistisch, der andere ein Stück älter und abgeklärt. Die Suche nach Nähe und Liebe eint die Figuren, aber auch ihre Unzufriedenheit und Einsamkeit verbindet sie. Kaleidoskopisch und plätschernd erzählt sich die Handlung – das Leben eben. Es schwirrt so vor sich hin und passiert fast nebenbei, fast unabhängig vom Bewusstsein der Figuren selbst. Niemand bricht aus, nichts bricht ein.
Die Geschichten tragen da diesen Wunsch nach ganzheitlicher Lebenszufriedenheit, das Streben nach Harmonie und Nachhaltigkeit, das „Im Hier und Jetzt Sein“. Später dann ein Lied auf Japanisch von Frau Yamamoto, doch was die Frau mit italienischen Vornamen oder der Abend überhaupt mit Japan zu tun hat, bleibt als Frage stehen. Oder ist es einfach das offensichtliche Glückstreben nach japanischer „Ikigai“-Philosophie, mehr nicht? Die Setzung: Sich den kleinen Dingen widmen, dem Loslassen, dem Kommen und Gehen. Das Leben eben so zu nehmen, wie es kommt. Und damit aber auch die Widerstandslosigkeit des gehobenen Mittelstands zu besiegeln, genauso wie das Fehlen von Alternativen und Utopien. Widersprüche werden in den Figuren und ihrer Spielhaltung kaum spürbar, Spannung über längere Passagen bleiben im Text und auf der Bühne aus.
Hätte vielleicht ein widerstrebenderer Umgang zwischen Text und Inszenierung eine andere Reibung erzeugt? Hier bleibt es weich, es bleibt bei der Akzeptanz. Große Themen wie die Klimakrise, künstliche Intelligenz, politischer Aktionismus und Vereinzelung werden textlich erzählt, aber für das Publikum in der künstlerischen Form nicht erfahrbar gemacht, sondern frontal erzählt. Nur Nino schafft es letztlich, sich zu lösen aus seiner Beziehung, entscheidet auszuziehen: Weiter runter in das Haus, in Frau Yamamotos alte Wohnung. Doch so richtig kann man sich mit ihm da auch nicht freuen, scheint es doch keine wirkliche Erleichterung, keine tatsächliche Befreiung, eher ein nächster Schritt nach Erwartungen. Gerade noch ist „Ihr Schweine“ auf das Restaurant des schwulen Paars gesprayt worden. Vielleicht gar kein Angriff, vermutet man im Dialog. Ja? Auch dieses Ereignis bleibt also im Raum stehen. Die übereinander gestapelten Möbel auf der sonst leeren weißen Bühne wirken dann zum Ende hin wie der verfehlte Versuch, Chaos zu inszenieren. Ist das der einzig denkbare Umbruch?
Nach den künstlerischen Experimenten der letzten Jahre am Schauspielhaus Zürich ist dieser Auftakt eine stillschweigende Rückkehr zu einem Theater, das wie ein Fragment aus den 90er Jahren in sich ruht. Diese Setzung fühlt sich in all den gegenwärtigen Herausforderungen und Fragen nach einem kulturpolitischen Versäumnis an. Welche Narrative, welche Visionen braucht es? Wie können wir Melancholie, Apathie und Ignoranz aushalten, ohne in Ohnmacht zu verfallen? Was können Theater und Kultur dabei für eine Rolle spielen, was für Handlungswege entwerfen? Statt sich diesen Fragen zu widmen, bedient der Abend jene Sehnsucht nach einem Zurück in vergangene Erzählweisen und vermeintliche Sicherheiten. Wie eine sanfte und zugewandte Autorität erzählt der Abend in herkömmlicher Form von Weltschmerz und dem Sinn des Lebens.
Während unter der letzten Intendanz Stemann und Blomberg die ästhetischen Formen am Schauspielhaus vor der Herausforderung standen, sich einem breiten Publikum zu vermitteln, sich zu erläutern und verständlich zu machen, widmet man sich nun nicht etwa weiter diesem Versuch. Nein, das Projekt scheint abgesprochen. Diese Eröffnung bringt das Theater an die Stelle zurück, wo die Bretter die Welt bedeuten, wo die Bühne bestätigt und nicht herausfordert. Die Deutungshoheit der Geschichte liegt dann letztlich bei der Intendantenansprache nach der Premiere und ist damit eigentlich schon gesetzt. „Frau Yamamoto ist noch da“ ist in der ästhetischen Konformität eine nüchterne Antwort auf ein allgegenwärtiges Gefühl der Stagnation und Hoffnungslosigkeit. Die Suche nach kulturpolitischen und gesellschaftlichen Narrativen ist erstmal eingestellt. „Theater Is Dead“ heißt die Abschlusspublikation der letzten Intendanz. Ist da etwas dran?
Erschienen am 22.9.2024