Theater der Zeit

Kolumne

Du, Sudabeh

Schauspiel Dortmund: Wollen Sie für den Frieden nicht aufstehen?

von Ralph Hammerthaler

Erschienen in: Theater der Zeit: Feier des Absurden – Nürnbergs neuer Schauspielchef Jan Philipp Gloger (12/2018)

Assoziationen: Debatte

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Wäre sie nicht da gewesen, ganz zum Schluss, mit dem elften Monolog von elfen, dann hätte ich den schwer atmenden Uraufführungsreigen „Ich, Europa“ im Schauspiel Dortmund schnell wieder vergessen. Das heißt, ganz vergessen nun auch wieder nicht, denn es gab ja noch diese komische Figur, die für sich genommen gar nicht komisch war, komisch höchstens für all die anderen, denen sie nicht ins Konzept passte. Diese komische Figur spielte ich selbst. Dank Sudabeh aber verblasste sie genauso wie der alberne Konformismus im Theater, der sie erst hervorgerufen hat. In einem früheren Buch, genannt „das zehnzeilen-buch“, hat Sudabeh unter dem Titel „Glück“ zehn Zeilen über die Windtänzerin und die Literatur geschrieben: „als der text im raum stand, wurde er endlich zum hindernis.“ So ist es auch in Dortmund geschehen.

Am Anfang steht wie so oft eine Idee der Dramaturgie. Aus der Idee wird ein Aufruf, den Dramaturg Michael Eickhoff, damit jeder mitkommt, verliest, als didaktischen Auftakt gewissermaßen. Dieser Aufruf ist offenbar erhört worden, wenigstens von „elf Autorinnen und Autoren aus der arabischsprachigen Welt, Nord-Afrika und dem (altosmanischen) Balkan“ – wer aufpasst, hört auch Stimmen aus der türkischen und persischen Welt. Laut Dramaturgie-Sprech seien „Texte über einen sowohl fremden wie vertrauten Kontinent: Europa“ entstanden. Die Figur Europa erhebe selbst elfmal das Wort.

Sudabeh Mohafez ist in Teheran geboren, aber sie gehört schon so lange hierher, dass sie der Dramaturgie ihren Namen Sudabeh als deutschen Namen vor den Latz knallt.

Kennengelernt habe ich sie, als wir beide mit je einem Roman bei DuMont waren; ihr Roman heißt „brennt“. Zusammen feierten wir Buchpremiere, nicht auf dem Messegelände, sondern in einer Bar in Leipzig. Nur einmal habe ich sie danach wiedergesehen, in Dresden, als ihr jetziger Verlag, die schöne kleine Edition Azur, trotzig sein siebenjähriges Jubiläum beging. Ihr „zehn-zeilen-buch“, das aus einem Blog hervorging und Kürzestgeschichten versammelt, hat mich damals leicht beschämt. Weil ich mit zehn Zeilen nicht auskommen würde. Aber Sudabeh lachte nur.

In Dortmund, als ich die komische Figur spiele, lacht niemand. In Nullkommanix gelte ich als Aussätziger.

Dabei fängt alles so schön an, als „Die Friedensbraut“ die Bühne entert, in einem Monolog von Muzaffer Öztürk, denn plötzlich verliert der Abend sein aufgesetztes Gewicht, er wird leicht und verspielt, mit einer Schauspielerin, Bettina Lieder, die sich aufs Leichte und Verspielte versteht, in der Rolle der Aktionskünstlerin Pippa Bacca; noch dazu sieht sie fabelhaft gut aus. Es herrschen also denkbar schlechte Bedingungen für meinen Auftritt. Aber warum muss im Saal das Licht angehen? Warum verlangt die Friedensbraut, dass alle für den Frieden aufstehen? Dass diese Aufforderung nicht im Text steht, lässt das Theater umso blamabler aussehen.

Warum sind außer mir alle aufgestanden, die unten im Parkett und die oben auf dem Rang? Retten wir dadurch den Frieden? Hey, Pippabraut, das bringt nichts. Für alle gut sichtbar sitze ich auf dem Rang in der ersten Reihe. Und die schöne Bettina ruft nach oben: Warum wollen Sie für den Frieden nicht aufstehen? Stumm schüttele ich den Kopf, obwohl ich eigentlich etwas sagen will, aber dann wäre ich bei der Friedensbraut völlig unten durch. Sie setzt ihren Monolog ein paar Atemzüge fort, und dann ruft sie wieder nach oben, jetzt angenehm schnippisch: Sie wollen also nicht für den Frieden aufstehen. Aha.

Ich schüttele den Kopf, sie gibt mich verloren.

Im elften Monolog fragt Sudabeh: „Ich, Europa? Kommst jetzt auch du damit?“ Und mit einem Mal nimmt der Abend eine überraschende Wendung. Weil sich Sudabeh nicht darauf einlässt. Weil sie genug hat vom Goodwill-Theater und seinem gönnerhaften Getue – „dass du mir zugestehst, was in deinen Augen ein Privileg für mich ist“. Sie droht, die ausgedruckte E-Mail abzufackeln, wie all die anderen E-Mails von anderen Auftraggebern, in denen genau das Gleiche stehe in anderen Worten. Dass die Regie davor nicht einknickt, flößt mir allerdings Respekt ein. Marcus Lobbes lässt den ganzen Sudabeh-Text von einer Schauspielerin vorlesen und als Video auf den Vorhang projizieren. Am Ende zündet sie das Schreiben aus dem eigenen Haus tatsächlich an, den gut gemeinten Aufruf, und lässt ihn verbrennen.

„Ich, Europa“, schreibt Sudabeh, und die Schauspielerin blickt einem kalt ins Gesicht. „So leid bin ich diesen Mist. Wenn du wüsstest, wie endlos, wie gefährlich müde ich bin.“ //

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