Editorial
Worte formen – Zum Verhältnis von Puppe und Text
von Annika Gloystein und Moritz Schönbrodt
Erschienen in: double 51: Worte formen – Zum Verhältnis von Puppe und Text (04/2025)

Das Theater der Dinge hat keine ihm eigene Literatur. Kaum eine zumindest. Jedenfalls nicht im deutschsprachigen Raum. Als Theaterform, die sich lange Zeit eher fern von staatlichen Institutionen hielt und der oft nicht die Bedeutung des Schauspiels beigemessen wurde, etablierte sich mit der Dramatik an den großen Bühnen keine separate für Puppen. Nichtsdestotrotz gab es auch in früheren Zeiten schon Schnittstellen, an denen Literatur und Puppen aufeinandertrafen. Lars Rebehn skizziert einen Längsschnitt über die Literatur als Textproduzentin für das Theater der Dinge. Nicht jeder Text schaffte und schafft es, Puppenspielenden eine gute Grundlage zu sein für die Arbeit mit Material. Aus diesem Grund stellt sich Hans-Jochen Menzel der Frage, nach welchen Kriterien man Texte für das Puppentheater auswählen kann und macht vier Arten aus, auf die er einen Text liest. Ist es da nicht einfacher, Schreibende und Spielende schon im Studium auf die Chancen von Zusammenarbeit aufmerksam zu machen? Ein solcher Versuch ist das Format „Puppen&Stifte“. Mona Schlatter spricht dazu mit drei Teilnehmerinnen dieses Kooperationsprojektes des Studiengangs Zeitgenössische Puppenspielkunst der HfS „Ernst Busch“ und dem Studiengang Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. Einen wiederum anderen Weg begeht das dfp, wenn es in diesem Jahr zum ersten Mal gemeinsam mit dem Heidelberger Stückemarkt den FIDENA Stückepreis vergibt. Ist jeder dramatische Text ein Puppentheatertext, wenn er mit den Mitteln des Theaters der Dinge auf die Bühne gebracht wird? Aus den Nominierten des Stückemarkts wird ein Text ausgewählt, der in der nächsten Spielzeit am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen inszeniert werden wird. Christofer Schmidt sprach mit fünf der sechs Nominierten über ihre Zugänge zum Text und Gedanken zu ihren Texten in Bezug auf die Umsetzung für Figurentheater. Im Gegensatz dazu begleitete die These, dass Text im Puppentheater Material ist, Moritz Schönbrodt über die letzten Jahre. Nun zieht er seine langjährige These in Zweifel und untersucht den Text stattdessen auf seine Eigenschaft als Teil des Animationsprozesses hin. Eine besondere Position kommt der Lyrik im Figurentheater zu. Aus seiner Erfahrung heraus beschreibt Frank Soehnle den Weg vom literarischen Text zur (meist) stummen Puppe und dem eigenen Schreiben. In den Produktionsprozessen der Stadttheater ist eher selten Platz für derlei Personalunionen von Spielenden und Schreibenden. So setzte das Puppentheater Magdeburg zur Spielzeiteröffnung 2023 auf Textaufträge an etablierte Dramatiker*innen. Sofie Neu sprach mit ihnen über die verschiedenen Zugänge zum Schreiben für Dinge. Florian Rzepkowski fragt sich in Hinblick auf die Inszenierungen des Künstlerkollektivs peaches&rooster, ob Texte im Puppentheater überhaupt auf der Bühne gesprochen werden müssen und wenn ja, ob die Dramatik dafür noch geschrieben werden muss.
Im Anschluss an den Thementeil folgen Festivalberichte vom Theater der Dinge in Berlin, vom Puppentheaterfestival LUTKE in Ljubljana und von der Imaginale in Stuttgart. Bei den besprochenen Inszenierungen blitzt das Thema des Heftes noch einmal auf: Pappmaché-Buchstaben sind die Protagonisten in „Zauberzeichen“ von theater katinkaspringinsfeld – ein Foto aus der Inszenierung ziert das Cover des Heftes. Die neueste Inszenierung von Eva Meyer-Keller, „Turn The P/Age“, hat Almut Wedekind in den Berliner Sophiensælen gesehen und Christofer Schmidt hat die Ausstellung „Cutting the Puppeteer's Strings“ in der Sammlung Philara in Düsseldorf besucht. Im Rahmen des 4PS-Fellowship erkundet Annie Eckert, wie Citizen Science bisher unbearbeitete Forschungsfelder erschließt und die Sichtbarkeit von Puppentheater-Sammlungen erhöhen kann. Helene Ewert und Christofer Schmidt – das designierte Leitungsduo des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst e. V. – sprechen im Interview über ihre Visionen fürs Figurentheater in Bochum und darüber hinaus. Im Schweizer Fenster wird Grünschnabel-Preisträger Moritz Praxmarer von Sibylle Heiniger gewürdigt und Annina Mosimann berichtet von ihren Erfahrungen als Mentee bei einem Coaching-Programm für Nachwuchskünstler*innen.
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Moritz Schönbrodt und Annika Gloystein
In German-speaking countries no specific drama for the theatre of things has emerged in recent centuries. For many years this form of theatre tended to avoid state institutions and was often not accorded the importance of drama and failed to establish itself as a separate genre on the major stages. As a result, all kinds of texts from every literary genre are often chosen as a basis. These are then read by the performers to determine their suitability as puppet theatre texts. Equally often, the puppeteers themselves act as authors. In recent times there have been repeated attempts to bring playwrights into contact with puppetry, through special modules in degree programmes, or text commissions from theatres or through competitions.