Theater der Zeit

Kolumne

Money, Money, Money

von Hans-Thies Lehmann

Erschienen in: Theater der Zeit: Übermaß und Aberwitz – Der Schauspieler Bernd Grawert (02/2013)

Assoziationen: Debatte

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Die Kulturwissenschaft hat den Kapitalismus als Religion entdeckt, im Geld den Kult. Oder wollen wir nur vergessen, dass auch Religion und Kult an Kapital und Geld hängen? Das ist theoretisch weniger vornehm, aber seien wir ehrlich: Geldmacht ist der einzige Wert, die einzige Anerkennung, die unsere Gesellschaft zu vergeben hat. (Bis auf einen Rest, der nicht aufgeht.)

Vielleicht erleben wir jetzt sogar, wie Falk Richter in seinem Düsseldorfer „Büchner" fürchtet, eine weitere Revolution des Marktes, der sich von allen Fesseln befreien, uns mit den Segnungen einer nicht mehr gehemmten Konkurrenz der Kapitale beglücken will: eine Gesellschaft der endlich ganz reinen Herrschaft des Geldwerts.

War da mal was anderes? Ein anderes Kriterium des Kopfs als Rechnen? Als Kalkulation, Berechnung, „do ut des" und „Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft"? Etwas so zugegebenermaßen Fremdartiges wie Großzügigkeit, Großmut, verschwenderische Generosität als zündende Kulturideen? Geben ohne Gewinn oder Gegengabe? Vielleicht müssen wir das wieder fragen, uns daran erinnern, dass es nicht nur die Marx'sche Kritik unserer Lebensform gibt, sondern auch die von Georges Bataille, der die erstaunliche Destruktivität der bürgerlichen Gesellschaft von ihrer Unfähigkeit ableitet, zu verausgaben, zu verschwenden, von ihrem psychotischen Zwang, immer weiter zu akkumulieren. Man lese einmal wieder „Der Begriff der Verausgabung" ...

Die Dramatiker haben den Weg des Gelds zur unumschränkten Herrschaft im Reich der Werte begleitet. Die Gestalten des gern und oft inszenierten Ibsen opfern dem Geld als der Währung bürgerlicher Wohlanständigkeit alles auf, ihr Glück und das der anderen. Das bürgerliche Trauerspiel schuf im 18. Jahrhundert die Schreckbilder des Spielers und des zum Lotterleben verführten Kaufmanns, „Faust II" führte schon den Wahn des Vertrauens in Bankbürgschaften vor. Und in der entstehenden Geldwirtschaft
des Frühkapitalismus spürten Dichter bereits das Revolutionäre an der neuen Grenzenlosigkeit des Geldreichtums. Machte es doch zuvor irgendwie keinen Sinn, Lebensmittel, Dinge des Gebrauchs, auch Häuser oder Schiffe unbegrenzt zu erwerben oder zu horten - zu viel Getreide verfault einfach. Aber zu viel Geld kann es nicht geben, seiner Akkumulation sind keine Grenzen gesetzt. Shakespeares „Timon von Athen" (ausgerechnet Athen, mag man heute denken) erliegt der Verschwendung, weil er nicht begreift, dass die in der feudalen Kultur als höchste Kardinaltugend des Menschen geltende Großzügigkeit in der protestantisch-machiavellistischen Geld-Moderne ihren Sinn verloren hat. Die Folge: böses Erwachen über die Undankbarkeit der anderen, die dem modernen Marktgesetz entsprechend handeln. Und Geld macht Verträge möglich, die es nicht geben dürfte. Fleisch gegen Geld - die „verrückte" Gleichung, die noch im Tausch von Geld gegen Arbeitskraft steckt, wird im „Kaufmann von Venedig" ad absurdum geführt. Der Signifikant Fleisch ist nicht identisch mit dem Signifikanten Blut, und so darf sich Shylock am Ende doch nicht das vertraglich zugesicherte Pfand, das Fleisch aus der Brust Antonios schneiden. Die Komödie macht lächerlich, was die neue Praxis war: absolute Herrschaft des Gelds, das alles aufwiegt.

Es gibt aber, so lehrt Bataille, in unserem Zusammenleben doch (das ist der winzige Rest in der Klammer) auch heute noch, wenngleich fast unsichtbar geworden, einen anderen Wertmaßstab als das Geld. Sein Kriterium bezeichnet Bataille mit dem schönen Wort „Rang". Wir bringen bestimmten Menschen noch immer und trotz allem einen Respekt entgegen, der nicht ihrer Geldmacht gilt, sondern ihrem „Rang": ihrer Fähigkeit, anderen zu geben, (sich) zu verausgaben, ohne weiteren Zweck.

Das Theater, zum Beispiel, ist verschwenderisch. Vielleicht brauchen wir es wie Kultur auch sonst nicht dennoch, sondern deshalb. Vielleicht müssen wir wieder verschwenderischer werden, großmütiger denken. Schulden zum Beispiel vergessen. Fachleute ziehen immerhin in Erwägung, ob nicht ein allgemeiner Erlass der Schulden womöglich sogar im Sinne der herrschenden Ökonomie der beste Weg wäre, aus dem Teufelskreis von Verschuldung und Spardiktaten hinauszugelangen. Vielleicht sollten wir den Versuch zum Umdenken machen, bevor das wiederkehrende Idealbild der sparsamen nordischen Arbeiter und Rechner uns neue kulturelle Rassismen einbrockt. Oder das Geld sich überschlägt und verglüht. Wir brauchen nicht nur nützliche Straßenbeleuchtung. Ohne das nutzlose Feuerwerk wird auch das Licht ausgehen. //

 

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