Moskauer! Schreibt es euch in den Kalender. Etwas Großes ist am Entstehen.“ Es blitzt. Und wir drängen aufgescheucht an die Fenster. Es ist der 26. Januar 2015. Tauwetter hat eingesetzt. Wer draußen auf der Straße unterwegs ist, schliddert durch Matsch und Reste von Schnee. Unsere Blicke jedoch gehen nicht runter auf die sechsspurig befahrene Straße, die in Verlängerung Richtung Südosten auf den Kreml verweist. Sie sind auf das Haus gegenüber gerichtet. Twerskaja uliza Nr. 23. Ein Gebäude von 1915, zartgrün und dezent mit Stuck verzuckert, jetzt zackig, pixelig und irr mit psychedelischen Lichtprojektionen bespielt. Kratzige Sounds fiepen aus den Lautsprechern. Muster laufen über die Fassade, mal abstrakt, mal konkret, bis sich schließlich ein Gesicht aus dem Wirrwarr schält: Konstantin Sergejewitsch Stanislawski, ein kerniger Blick unter hoher Stirn, umkränzt von einem Heiligenschein, der eine Glühbirne skizziert. „Etwas Großes ist am Entstehen.“ Der Theaterkritiker der Moscow Times John Freedman weissagte dies schon voraus. Etwas Großes, da komplett Neues, das derjenige, der das russische Theater kenne, wohl als eine Art Ketzerei bezeichnen würde.
Ketzerei? Boris Juchananow lächelt uns mit zusammengekniffenen Augen hinter eckiger Hornbrille über seinen gigantischen Arbeitstisch hinweg freundlich an. Es sind komplizierte Tage für Intendanten wie ihn. Und irgendwie aber auch...