Brief an einen jungen Dramatiker
von Fritz Erpenbeck
Erschienen in: Theater der Zeit: Über den Surrealismus (01/1947)
Assoziationen: Dramatik
Sie haben mir Ihr Stück „Karl Tenhoefft entscheidet sich“ mit der Bitte gesandt, es zu lesen und Ihnen offen meine Meinung darüber zu sagen, selbst wenn diese, wie Sie schreiben, „vernichtend“ wäre. Das ist nun keineswegs der Fall. Überhaupt, glaube ich, kann ein noch so scharfes kritisches Urteil weder ein Werk noch einen Autor „vernichten“; denn ganz abgesehen davon, daß der Kritiker durchaus unrecht haben kann, wird sich eine starke Begabung entweder gegen das Urteil durchsetzen oder es anerkennen und bei kommenden Arbeiten nützen. Und um schwache Begabungen, die den Mut verlieren, ist es nicht schade.
Ich habe manchen Grund anzunehmen, daß viele junge Dramatiker mit den gleichen Problemen und Schwierigkeiten ringen wie Sie; deshalb veröffentliche ich meine Antwort. Das soll allerdings nicht bedeuten, daß ich mich hier als Lehrer aufspielen oder gar allgemeingültige Rezepte geben möchte – nein, überprüfen, durchdenken Sie meine Argumente, und was Sie glauben davon annehmen zu können, nehmen Sie an. Wo Sie glauben, mir widersprechen zu müssen, tun Sie es; aber ich bitte Sie: begründen Sie Ihren Widerspruch.
Ihrem Begleitschreiben entnehme ich, daß Sie 24 Jahre alt sind und daß das vorliegende Werk Ihren ersten dramaturgischen Versuch darstellt. Es habe Ihnen „keine Ruhe gelassen“, versichern...