Essay
Der Ring als Zimmertheater
An der Staatsoper Unter den Linden legt Dmitri Tcherniakov Wagners Chef d‘OEuvre trocken
Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)
Assoziationen: Berlin Staatsoper Berlin
-wird-im-Schlaflabor-per-Videobrille-von-den-Rheint%C3%B6chtern-gequ%C3%A4lt.jpg&w=3840&q=75)
Triumph der Technik
Wenige Jahre nachdem Patrice Chéreau in Bayreuth die historische Dimension des Wagnerschen „Rings“ nicht nur sichtbar gemacht, sondern die katastrophenreiche Erlösungsgeschichte in den leisen Hoffnungsschimmer des am Ende langsam vorrückenden Gibichungsvolks hatte ausgehen lassen, zeigte sich der am „Ring“ haftende Machtfluch in einer Epochenwende wirksam, die auf den Namen Neoliberalismus hörte und politisch mit den Namen Reagan und Thatcher verbunden war. Nach einem Einschnitt, der, auf den Namen Gorbatschow hörend, Besserung in Sicht gebracht hatte, ist der Machtkampf zwischen drei Weltmächten – einer beharrenden, einer geschwächten und einer aufgehenden – nun in eine neue, Europa verheerende Phase eingetreten – und was macht ein russischer Regisseur, der an der Staatsoper Unter den Linden den „Ring“ inszeniert? Er sperrt die Akteure in die Zimmer- und Saalfluchten eines Instituts für Verhaltensforschung ein, das die Initialen E.S.C.H.E. trägt und dessen ausladenden Grundriss der Vorhang der Aufführung zeigt; das Programmheft folgt ihm mit einer Serie technischer Zeichnungen.
Der „Ring“ als Zimmertheater, das ist eine wirkliche Neuerung; sie tritt einem sommerlichen Dekonstruktionsversuch an die Seite, der seinerseits auf Schrumpfung, ja Abschaffung der Gehalte zielte. Der Bayreuther Verwandlung des Werks in eine exzessive Familientragödie folgt Unter den Linden die Reduktion auf Versuchsanordnungen in einem...