Theater der Zeit

3/Fifths – SupremacyLand von James Scruggs und Tamilla Woodard

von Theresa Schütz

Erschienen in: Recherchen 164: Theater der Vereinnahmung – Publikumsinvolvierung im immersiven Theater (05/2022)

Assoziationen: Nordamerika James Scruggs Tamilla Woodard

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Ich habe die Ankündigung zu 3/Fifths – SupremacyLand von James Scruggs108 und Tamilla Woodard109 zufällig in den New Yorker Feuilletons entdeckt, als ich im Mai 2017 wegen der Punchdrunk-Sichtung vor Ort war. Finanziell wurde 3/Fifths durch die Unterstützung von »Creative Capital«, dem »MAP [multi-art production] fund« und dem 3-LD-Technology Center110 ermöglicht. Letzteres stellte Proben- und Spielort sowie die gesamte technische Infrastruktur für die Dauer von 14 Wochen (zehn Wochen Proben, vier Wochen Aufführungen) bereit. Zusätzlich konnten Mittel über Crowdfunding eingeworben werden.

2004 schrieb der afroamerikanische Theaterautor James Scruggs das rassismuskritische Ein-Personen-Stück Disposable Men, das 2005 in der Regie von Kristin Marting als Multimedia-Performance mit Scruggs selbst in New York zur Uraufführung kam. Ausschlaggebend hierfür war eine Begegnung zwischen Scruggs und einem weißen Polizisten, die grundlos eskalierte (vgl. Scruggs, 2017). Auch wenn sie ohne physische Gewaltanwendung endete, erinnerte sie ihn an den Fall Rodney King 1991 in Los Angeles und an all die anderen Beispiele rassistisch motivierter Polizeigewalt gegenüber afroamerikanischen Männern wie die Ermordungen von Eric Gardner, Tamir Rice oder zuletzt George Floyd. Disposable Men widmet sich Amerikas »obsession of weaponization black skin« (Scruggs, 2016) und damit der Tatsache, dass schwarze Haut von weißen Polizisten als Waffe angesehen werde, der man mit tödlicher Gewalt begegnen müsse. Aus einer Schwarzen Perspektive setzt sich das Stück aus fünf satirischen Monologen zusammen, die jeweils verschiedene thematische Analogien zwischen Hollywood-Monstern und Schwarzen Männern eröffnen.111 Der Theatermacher bezeichnet die Produktion 3/Fifths – SupremacyLand als Weiterentwicklung dieses ersten Projekts (vgl. ebd.).

James Scruggs wirkte bei 3/Fifths als Produzent und Autor – der Inszenierung liegt ein Skript zugrunde – und engagierte für die zweigeteilte Produktion zusätzlich die beiden Regisseur*innen Tamilla Woodard und Kareem Fahmy. Der erste Teil stand unter der künstlerischen Verantwortung von Tamilla Woodard und ist jener Aufführungsteil, den ich in dieser Arbeit als Beispiel immersiven Theaters im engeren Sinne analysieren möchte. Der zweite Teil ist ein eher klassisch-boulevardeskes Schauspielformat unter der Regie von Kareem Fahmy.112 Der Titel 3/Fifths verweist auf die historische Drei-Fünftel-Klausel (Three-Fifths Compromise), die von 1787 bis 1865 in den USA wirksam war. Für die Bemessung von Steuern und mit Blick auf die Sitzverteilung im Repräsentantenhaus wurde diskutiert, ob man Sklav*innen bei der Volkszählung als vollwertige Einwohner*innen oder aber als Eigentum (der Sklavenbesitzer*innen) zählen wolle. Weiße Politiker*innen der Süd- und Nordstaaten einigten sich 1787, drei von fünf Sklav*innen als vollwertige Personen zu zählen. Für die Südstaaten mit ihren zahlreichen Sklavenhalter*innen bedeutete der Kompromiss, dass sie mehr Abgeordnete und Wahlmänner zugesprochen bekamen, gleichzeitig aber auch eine höhere Steuerlast tragen mussten. Der Titel 3/Fifthsverweist damit auf nur eines der unzähligen Kapitel in der Geschichte systemisch-strukturellen Rassismus und Gewalt gegenüber der Schwarzen Bevölkerung in den USA.

Den ersten Teil von 3/Fifths bildet die theatrale Realisierung des fiktiven Themen- und Vergnügungsparks SupremacyLand. Hierbei handelt es sich um eine dystopische Version eines Parcours aus interaktiven Spielständen und ›Attraktionen‹, wie man sie sonst nur aus historischen Dokumenten kolonialer Völkerschauen kennt. SupremacyLand ist ein fiktiver Unterhaltungspark im Besitz eines weißen Mannes, der nur »The General« genannt wird. »The entire work is from the viewpoint of SupremacyLand which is virtually an Ethno-park, unabashedly heralding and celebrating all things white, without regard to political correctness« (Scruggs/Teplitzky, 2016). Der Indoor-Themenpark umfasst folgende Stationen: 1. Die Fotostation »Selfie with the Homies« für ein Erinnerungsfoto mit einem stereotypen »Gangster«-Rapper in Hoodie, Cappie und jeder Menge Fake-Goldschmuck, 2. »Aryan Hammer Throw«, ein Hau-den-Lukas, 3. »Crime Scene«, 4. die »Coon Dance«-Bühne, 5. den »Noose-Making«-Stand, 6. das Spiel »Wet and Wild«, 7. die Station »Ask a black man« für ein separiertes One-on-One, 8. der »Alt Facts Booth«, 9. der »Adults only BDSM«-Stand, 10. »Flip Flop Race Ride«, 11. das interaktive Computerspiel »Rough Ride«, 12. die »Tattoo-You«-Station mit einer Auswahl von Symbolen weißer Suprematisten zum Aufkleben und 13. das historische Ratespiel »The Reasons to be Lynched Wheel of Fortune«. Im Kreisinneren gibt es neben einem mobilen Popcorn-Stand eine kleine Bühne, auf der ein Performer N-Witze zum Besten gibt, sowie zwei sich im Raum verteilende »Care Ladies«. Eine letzte Attraktion mit dem Titel »The Incarcerated man« findet sich als durational performance im Außenfenster des 3LD-Centers. Sie präsentiert für mehrere Stunden pro Tag einen Performer in einer kleinen, weißen Gefängniszelle, die lediglich mit einem Bett und einer Toilette ausgestattet ist, als »black man in his natural habitat«. Die Schau-Zelle repräsentiert in der Logik der SupremacyLand-Fiktion das Privatgefängnis des weißen Generals.113

Abgesehen vom »incarcerated man« tragen alle afroamerikanischen Performer*innen im SupremacyLand eine Uniform, die aus weißem Hemd, roter Weste, blauem Rock bzw. blauer Hose und wahlweise einer hellblauen Schleife, besteht. An der linken Brust tragen sie anstelle eines Namensschildes einen einheitlichen Aufnäher mit dem N-Wort, was während der Proben für zahlreiche Diskussionen mit den Performer*innen sorgte (vgl. Scruggs, 2020). Für die Dauer von gut neunzig Minuten sind die Zuschauer*innen im fiktiven, komplett durchgestalteten SupremacyLand zu Gast und können sich von Station zu Station frei bewegen und so lange verweilen, wie sie mögen. Entscheidend ist, dass das Publikum zuvor am Einlass einer (vermeintlich) blinden Performerin gegenüber angeben muss, ob es sich als »white« oder »black« identifiziert. Je nach Angabe – die nicht der tatsächlichen Hautfarbe oder Selbstidentifizierung entsprechen muss – zeichnet Catherine Braxton den Zuschauer*innen entweder einen weißen oder schwarzen vertikalen Strich auf die Stirn, gibt ein jeweils unterschiedlich hohes Startgeld an SupremacyLand-Dollar aus und weist je zwei verschiedene Eingänge zu.

Scruggs hat in einem Interview gesagt, dass er die »phantasy« von 3/FifthsSupremacyLand schon einige Jahre früher hatte, diese dann aber gewissermaßen unter der Präsidentschaft von Donald Trump unerhört schnell von der Wirklichkeit eingeholt wurde (vgl. Scruggs, o. J.). Der rassistische fiktive Themen- und Vergnügungspark SupremacyLand ist trotz (und wegen) der historischen Referenzen auf Sklaverei, Lynchjustiz, Jim-Crow-Gesetze, koloniale Menschenausstellungen und Minstrel Shows auch als zugespitztes Abbild US-amerikanischer Gegenwart zu lesen. Bedauerlicherweise konnte die Produktion 3/Fifths – SupremacyLand – aus finanziellen und vermutlich auch aus politischen Gründen (vgl. Scruggs, 2020)114 – nicht noch einmal an einem anderen Ort in den USA aufgeführt werden. Forschungen zu der Arbeit sind mir nicht bekannt.

108 James Scruggs studierte Filmproduktion an der New Yorker School of Visual Arts und arbeitete zunächst als Technischer Direktor des »Windows On the World«, einem Event-Gastronomiebetrieb im 106. und 107. Stock des ehemaligen World Trade Centers, bis er sich nach 2001 dem Theater zuwandte, vgl. https://www.jamesscruggs.com/bio.html, letzter Zugriff 3.4.2020.

109 Tamilla Woodard studierte Regie an der Yale School of Drama in Connecticut, wo sie inzwischen selbst als Dozentin arbeitet. Tamilla Woodard, woman of color, ist Mitgründerin von »PopUP Theatrics«, einem seit 2007 bestehenden dreiköpfigen Kollektiv für internationale immersive, ortsspezifische und partizipative Kunstprojekte (gemeinsam mit Ana Margineanu und Peca Stefan). Zudem ist sie als assoziierte künstlerische Direktorin am Women’s Project Theater in New York tätig.

110 3-L(egged)D(og) ist eine non-for-profit-Organisation, die seit 1996 existiert und sich vor allem künstlerischen Experimenten mit neuen und neusten Technologien widmet: »We exist to produce original works in theater, performance, dance, media and hybrid forms; to explore the narrative possibilities created by digital technology; to foster artists’ self expression and skill through training initiatives; and to provide an open environment free of censorship in which artists can create new tools and modes of expression and excel across a range of disciplines.« (Mission-Statement zitiert nach https://www.nyc-arts.org/organizations/61891/3ld-art-technology-center, letzter Zugriff 5.3.2021) Seit 2002 haben sie ihren Sitz im Neubau des 3LD-Technology Centers in Manhattan.

111 Dahinter verbirgt sich, dass u. a. das Thema medizinischer Apartheit an den Frankenstein-Stoff und die Geschichte der Sklaverei an die Figur des King Kong geknüpft wurde, um aufzuzeigen, inwieweit Mainstream-Filme Rassismus mithervorbringen bzw. normalisieren, vgl. Small, 2017.

112 Hierbei handelt es sich um eine theatrale Form der Nummernrevue, die auf einer Cabaret-Bühne gleichsam die »Backstage«-Geschichte von SupremacyLand am Beispiel des Mitarbeiters Lyle (David Roberts) im fiktiven Themenpark darstellt.

113 Laut Scruggs waren noch weitere Stationen geplant, z. B. ein Stand, an dem man mittels computergesteuerten Morphings ein Bild von sich in der entsprechend entgegengesetzten Hautfarbe erstellen lassen kann, oder einen sogenannten »Black Best Friend Forever«-Performer, den sich SupremacyLand-Besucher*innen gegen Geld »ausleihen« können, vgl. Scruggs, 2017.

114 »There is great fear from US presenters regarding theater like 3/Fifths. Presenters say they are interested but it takes many actors and a lot of rehearsal and there is no ›feel good ending‹ […] Also it would be very expensive« (Scruggs, 2020).

 

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