Choreo-Così
Nebenfiguren und Nebenfiguration auf der Opernbühne
von David J. Levin
Erschienen in: Recherchen 171: Nebenfiguren (11/2024)
Assoziationen: Musiktheater
In diesem Beitrag möchte ich, vom Begriff der Nebenfigur ausgehend, eine bestimmte Form der Operninszenierung betrachten. Im Laufe der letzten fünfzig Jahre haben sich bekanntlich einige der wichtigsten Choreograf:innen – Pina Bausch, Trisha Brown, Anne Teresa De Keersmaeker, Wayne McGregor, Mark Morris und Sasha Waltz, um einige prominente Namen zu nennen – der Inszenierung von Opern zugewandt. Einige der daraus resultierenden Arbeiten sind von besonderem Interesse, was Neuerungen der Disposition von Figuren auf der Opernbühne und die damit verbundenen Konventionen der Mimesis und der Sinnerzeugung betrifft. Wenn Choreograf:innen Opern inszenieren, kommt es immer wieder vor, dass Haupt- und Nebenfiguren neu konstelliert werden: Wie diese Konstellationen aufgefasst und die Implikationen für die Ästhetik der gegenwärtigen Operninszenierung verstanden werden können, sind Fragen, denen ich in diesem Essay nachgehen werde.
Wenn Opern von Choreograf:innen inszeniert werden, erscheinen meist Tänzer:innen in ihren Produktionen – und sie erscheinen nicht nur in Ballettszenen, wie sie ja immer wieder in der Oper vorkommen, sondern überall. Dass Tänzer:innen auf der modernen Opernbühne auftauchen, ist insofern bemerkenswert, als diese Bühne generell durch eine Reduktion der Darstellungsmittel im Dienste einer strengeren dramatischen Mimesis gekennzeichnet ist, seit Richard Wagner Mitte des 19. Jahrhunderts gegen das Primat der Zerstreuungsmechanismen wetterte und dabei...