Theater der Zeit

Auftritt

Theaterhaus Jena/Theater Rotterdam: Alles auf Anfang

„On repeat“ von Zarah Bracht und Ensemble – Regie Zarah Bracht, Bühne Liesje Knobel, Kostüme Carolin Pflüger, Musik Roland Hille

von Michael Helbing

Assoziationen: Theaterkritiken Thüringen Zarah Bracht Theaterhaus Jena

Omnipräsente Krisen? „On repeat“ am Theaterhaus Jena.
Omnipräsente Krisen? „On repeat“ am Theaterhaus Jena. Foto: Joachim Dette

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Nichts bleibt, wie es ist. Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung, sagt der alte Heraklit. Jetzt erleben wir, wieder mal, eine Zeitenwende, sagt der Bundeskanzler. Und dennoch: Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht, schreibt Nietzsche schon, bevor er Zarathustras Tiere sprechen lässt: Ewig rollt das Rad des Seins. 

Das ist so ungefähr – oder könnte sein – das Gedankensetting für „On repeat“, die neueste aller Stückentwicklungen am Theaterhaus Jena. Zarah Bracht, eine in den Niederlanden als Theatermacherin sozialisierte und verankerte Hamburgerin, hat sie mit vier Schauspielern erarbeitet; das Theater Rotterdam ist Koproduzent. 

Wobei, ein Stück im eigentlichen Sinn haben sie nicht entwickelt, eher etwas zwischen Performance und theatraler Installation, worin es, zwischen lauter wortlosen, aber geräuschvollen Szenen und Vorgängen, nur eine Textsorte gibt: ichbezogene Aussagesätze zur Menschwerdung und zum Menschsein. 

Angelegt ist das gleichsam wider ein lineares Geschichtsbild. Allem gesellschaftlichen, zivilisatorischen, auch technologischen Fortschritt zum Trotz, schreitet der Mensch, was seine Verfasstheit betrifft, kaum voran. Er ist so unzulänglich wie eh und je. – Das ist ja auch der Grund, weshalb man bis heute, allerdings nicht in Jena, Euripides, Shakespeare oder Schiller spielt und ihre Texte dabei oft als etwas beschreibt, was sie jedoch niemals sind, niemals sein können: zeitlos. 

Die ewige Wiederkehr (oder Wiederholung) des Gleichen spiegelt sich in Liesje Knobels Bühne und Carolin Pflügers Kostümen derart, dass wir die Szenerie gleichzeitig im Prähistorischen, Gegenwärtigen und Futuristischen verorten können. Ohnehin scheint dieser kurze Abend, wie der Programmzettel nahelegt, stark von der neuen Sozialtheorie des Kulturanthropologen David Graeber und des Archäologen David Wengrow beeinflusst zu sein: Ihr Buch „Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit“ weist in unsere Zukunft. 

An Seilzügen hängend, die hier beinahe ein eigenes Ballett aufführen werden, liegen diverse Artefakte zunächst am Boden, auf einer breiten ausgerollten Fototapete, die Lavamassen oder einen feuerroten Himmel zeigen könnte: Gefäße, Speere und die Skulptur einer Fliegerbombe, ein Autoreifen, eine Steintafel, antike Säulenfragmente baumeln, pendeln, kreisen dann im Bühnenhimmel. Links und rechts wie in Stein gehauene Bildschirme, worauf sich später auch ein Aschenbecher oder eine Spielekonsole dreidimensional drehen. 

Ein erster und ein zweiter Auftritt: Henrike Commichau, Anna K. Seidel. Ortserkundung. Selbsterkundung. Erste Sätze: „Ich bin aus dem Wasser gekrochen. Ich hab‘ meine Schwimmhäute abgelegt, und meine Flossen und meinen Schwanz. Ich bin ein bisschen rumgekrochen. Ich habe Blätter gegessen und rohes Fleisch (…) Ich hatte noch keinen Gedanken.“ 

Aus dem Wasser gekrochen und dorthin zurück: Das wird dann, unter anderem, Commichaus Weg sein. In einer hölzernen Kabine auf Rollen und mit Scheiben auf zwei Seiten, die auch eine Zivilisationszelle und ein Panikraum sein könnten, betreibt sie Körperpflege, später spielt sie darin im Nixenkostüm das Abtauchen, bis die Tür aufgeht, wir Wasser entweichen und sie rausspülen hören, bis sie auf dem Trockenen zappelt.  Linde Dercon putzt dann immer wieder stoisch und ausgiebig die Scheiben, dass es quietscht. Sie bearbeitet auch mit Vlies ausgeschlagene Innenwände mit dem Handstaubsauger. Paul Wellenhof gibt den Archäologen, der sich die Nase wiederholt mit Sonnencreme einreibt und die Steintafel abpinselt, während sein Kofferradio weitere Ich-Sätze sendet…  

Sie bebildern hier in siebzig doch etwas länglichen Minuten, jedoch mit einigem spielerischem Witz, der auch aus der Ruhe und Selbstverständlichkeit des Auftretens herrührt, sozusagen die Resilienz des Archaischen im Anthropozän. Der Mensch kann die Kostüme wechseln, mag das heißen, aber nicht heraus aus seiner Haut. Er hinkt der Entwicklung, die er vorantreibt, immer mehr hinterher. 

Diese Stückentwicklung allerdings, und das ist dann allen schönen Bildern zum Trotz doch ein Problem, hinkt sich selbst hinterher. Sie entwickelt letzten Ende nichts. Sie beschreibt Zustände und Umstände, sie findet ihren tieferen Sinn in nichts anderem, als von sinnlosem, jedenfalls unverständlichem Leben zu künden. Zu diesem Zweck tritt das Schauspieler-Quartett immer wieder aus sich heraus und betrachtet, kostümiert wie ein indigener, aber womöglich extraterrestrischer Stamm, das merkwürdige Treiben auf Erden. 

Es will scheinen, als sei der Abend mit seinem Thema selbst in die Falle getreten, die er uns gestellt hat: Er wechselt die Szenen und Situationen, bleibt aber im Grunde unveränderlich. 

Erschienen am 6.5.2023

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