Frau Guérot, Ihr eben erschienenes Buch „Der neue Bürgerkrieg. Das offene Europa und seine Feinde“ beschreibt Europa in einem Zustand, in dem – nach Giorgio Agamben – Menge gegen Menge steht und der politische Körper zerfällt. Das Stadttheater versteht sich als Institution „für alle“, ist aber derzeit vermehrt mit der Außenwahrnehmung konfrontiert, ein linksliberaler Kunsttempel zu sein. Gleichzeitig hat es Probleme, mit allen, auch der „neuen Rechten“, zu sprechen. Können Sie dieses Paradox analysieren?
Nein, kann ich nicht. Denn genau das ist ja der Punkt dieser Menge-Menge-Krise der Repräsentation. Für wen machen Sie Theater? Wer ist Ihre Zielgruppe? Wer kommt? Wer kann es sich leisten? Wer hat Interesse? Wahrscheinlich ist die richtige Frage: War das jemals anders? Den Anspruch, dass man immer für alle da ist, halte ich für völlig verfehlt. Gesellschaft funktioniert immer nach verschiedenen Gruppen, die sich auch sortieren dürfen und sortieren sollen. Ob Sie hier in Berlin zur Schaubühne gehen oder zur Volksbühne oder zum Deutschen Theater oder zum Renaissance Theater, sagt Ihnen ja schon ungefähr, welcher Typ Mensch Sie sind. Das sind Theater im Plural, und deswegen ist es auch ganz wichtig, wie Sie sich als Theater dazu positionieren. Max Reinhardt oder Bert Brecht – die...