Rezension
Mehr als die Miete
Judi Dench erzählt in einem Gesprächsbuch von ihren Shakespeare-Rollen
von Thomas Irmer
Assoziationen: Kritiken Dossier: Bühne & Film

James-Bond-Fans ist sie in den Filmen von 1995 bis 2012 als Chefin des britischen Geheimdiensts MI6 mit markant führungsstarkem Gesichtsausdruck bekannt. Doch Judi Dench ist auch eine der größten Shakespeare-Schauspielerinnen der jüngeren Vergangenheit. Der Durchbruch gelang ihr als Julia 1960 in einer Inszenierung von Franco Zeffirelli am Londoner Old Vic, die mit ihrem verspielten Naturalismus als revolutionär galt. Es folgten fünfeinhalb Jahrzehnte der verschiedensten Shakespeare-Rollen bis zur letzten großen, nach vielen anderen Preisen mit dem Laurence Olivier Award ausgezeichneten Rolle der Paulina im „Wintermärchen“.
Der Schauspieler und Regisseur Brendan O’Hea begann seine Gespräche mit der schon hochbetagten Dench ursprünglich mit der Absicht, sie als Dokument dem Archiv des Globe Theatre und somit der Shakespeare- und Theaterforschung zur Verfügung zu stellen. Sie verteilten sich über einen Zeitraum von immerhin vier Jahren. Von Judi Dench, inzwischen 91, heißt es, dass sie nahezu erblindet sei und unter beginnender Demenz leide. Ihre großen Rollen in der vom heutigen Englisch ziemlich entfernten Dichtersprache könne sie aber noch scheinbar mühelos aufsagen, was auch einen Teil dieses Buches ausmacht. Dass Shakespeare die Miete zahlt, war eine Redensart zwischen Dench und ihrem Mann Michael Williams, als sie beide in den 1970er Jahren der Royal Shakespeare Company angehörten und dessen Stücke sie somit auch in der Arbeit verbanden.
Shakespeare zu spielen ist in England praktisch ein eigenes Schauspielfach und in Theatermemoiren ein spezielles Subgenre, zu dem eigene originelle Ansichten gehören, die nicht unbedingt dem Ganzen einer Inszenierungskonzeption oder neuesten philologischen Forschungen folgen müssen. Da ist Judi Dench mit ihrem famosen Erinnerungsvermögen eine Meisterin, wenn es um die Erschließung einer Rolle unter psychologischen Aspekten in ihrem Shakespeare-Kosmos geht. So streift sie mit Brendan O’Hea im angeregten Plauderton durch nicht weniger als zwanzig Stücke, von den Kanonklassikern wie „Hamlet“ (Ophelia) und „Lear“ (in drei verschiedenen Inszenierungen jeweils eine andere Tochter) bis zu selten aufgeführten Stücken wie „Coriolan“ (Volumnia) und „Cymbeline“ (Imogen). Fast ein kleines Rollenlexikon.
Der Ton ist unprätentiös, um nicht zu sagen ziemlich salopp. Als allwissende Shakespeare-Auskennerin geriert sich Dench nicht, dafür ist sie eine brillante Erzählerin von den Aufführungen, in denen sie mitwirkte und bei denen es auch – immer tolles Erzählfutter – kleine Pannen gab. Die renommierte Literaturübersetzerin Christa Schuenke hat das im Tonfall sehr gut getroffen. Als bei der Erörterung einer Szene von „Macbeth“, in der Lady Macbeth König Duncan allein empfängt, O’Hea die Frage stellt, wo Macbeth in diesem Moment ist, antwortet Dench: „Tja, der hockt vermutlich in seinem Kämmerchen und hat Fracksausen.“ Der oft nur wegen eines speziell britischen Theateraberglaubens als Schottenstück benannte „Macbeth“ war überhaupt die erste Begegnung mit Shakespeare in einer Schulaufführung, in der ihr Bruder mitspielte. Statt „bloody man“ hörte die blutjunge Dench „bloody hell“ und war begeistert, dass bei Shakespeare offenbar dreckig geflucht wurde.
Im kurzen Epilog erzählt Judi Dench davon, dass sie 2021 bei der BBC-Serie „Who do you think you are?“ mitgemacht hat, einer populären Dokureihe über die genealogische Erforschung lebender Berühmtheiten. Die Zurückverfolgung der Vorfahren von Dame Judi war besonders weitreichend, bis zum dänischen Königshof im ١٦. Jahrhundert, also zu Shakespeares Lebzeiten. Dazu kommt, dass dessen Truppe mit einiger Sicherheit dort auch einmal gastiert haben soll. Eine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßtante mütterlicherseits mit Namen Beate Brahe war als Hofdame die Mutter des später berühmten Astronomen Tycho Brahe. Dieser wiederum ließ von sich ein Porträt malen, das im Rahmen die Namen seiner Verwandtschaft nennt, darunter Rosencrantz und Güldenstern. Judi Dench ist bei dieser Hamlet-Entdeckung (die ganze Folge ist bei YouTube zu finden) wie vom Blitz getroffen – als ob ihr besonderes Shakespeare-Leben schon vor Jahrhunderten gleichsam magisch vorbestimmt gewesen wäre.
Judi Dench/Brendan O’Hea: Shakespeare. Der Mann, der die Miete zahlt. Übersetzt von Christa Schuenke. Dörlemann Verlag, Zürich 2025, 528 S, € 34
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