Frau Kricheldorf, Ihr neues Stück „Der goldene Schwanz“ ist eine Aschenputtel-Variante. Was interessiert Sie am Märchen vom armen, innerfamiliär gemobbten Mädchen, das in der Küche beim Aschekübel schlafen muss und am Schluss den Prinzen bekommt?
Was mir ins Auge sprang, war diese ungeheure Aufstiegssehnsucht. Die finde ich in den Bearbeitungen, die es von diesem Märchen gibt, bisher verhältnismäßig wenig thematisiert. Deshalb haben mich auch Aschenputtels Stiefschwestern sehr interessiert.
Die heißen bei Ihnen die Sistas und bekommen von ihrer Mutter folgenden Merksatz mit auf den Lebensweg: „Greift nach dem goldenen Schwanz! Gebt euch nicht ab mit einem silbernen oder gar bronzenen oder gar blechernen. Nein! Der goldene ist gerade gut genug für euch!“ Rechnen Sie im Zuschauerraum des Theaters Kassel, wo das Stück herauskommen wird, mit feministischen Protesten?
(Lacht.) Nö. Zumindest wüsste ich nicht, wogegen sich diese Proteste richten sollten, weil es nun einfach mal so ist, dass wir in einer Welt leben, in der die Praxis des Hochheiratens nach wie vor breite Anwendung findet. Das trifft natürlich umso stärker zu, je mehr Armut herrscht. Bei uns, heißt es gern, gibt’s das nicht mehr. Aber selbst wenn man sich in der eigenen linksliberalen Blase umschaut, wie viele Frauen dort...