Stück
Dem Kuschelmuschelwohlfühlzeug glaube ich nicht
Die Dramatikerin Rebekka Kricheldorf über ihr Stück „Der goldene Schwanz“ im Gespräch mit Christine Wahl
von Christine Wahl und Rebekka Kricheldorf
Erschienen in: Theater der Zeit: Das Lachen der Medusa – Feminismus Theater Performance u. a. mit Barbara Vinken (01/2021)
Assoziationen: Dramatik Staatstheater Kassel
Frau Kricheldorf, Ihr neues Stück „Der goldene Schwanz“ ist eine Aschenputtel-Variante. Was interessiert Sie am Märchen vom armen, innerfamiliär gemobbten Mädchen, das in der Küche beim Aschekübel schlafen muss und am Schluss den Prinzen bekommt?
Was mir ins Auge sprang, war diese ungeheure Aufstiegssehnsucht. Die finde ich in den Bearbeitungen, die es von diesem Märchen gibt, bisher verhältnismäßig wenig thematisiert. Deshalb haben mich auch Aschenputtels Stiefschwestern sehr interessiert.
Die heißen bei Ihnen die Sistas und bekommen von ihrer Mutter folgenden Merksatz mit auf den Lebensweg: „Greift nach dem goldenen Schwanz! Gebt euch nicht ab mit einem silbernen oder gar bronzenen oder gar blechernen. Nein! Der goldene ist gerade gut genug für euch!“ Rechnen Sie im Zuschauerraum des Theaters Kassel, wo das Stück herauskommen wird, mit feministischen Protesten?
(Lacht.) Nö. Zumindest wüsste ich nicht, wogegen sich diese Proteste richten sollten, weil es nun einfach mal so ist, dass wir in einer Welt leben, in der die Praxis des Hochheiratens nach wie vor breite Anwendung findet. Das trifft natürlich umso stärker zu, je mehr Armut herrscht. Bei uns, heißt es gern, gibt’s das nicht mehr. Aber selbst wenn man sich in der eigenen linksliberalen Blase umschaut, wie viele Frauen dort Männer geheiratet haben, die statusmäßig über ihnen stehen, oder wie viele angeblich aufgeklärte Frauen dann doch große Probleme haben, jemanden zu ehelichen, der weniger Geld hat als sie, dann glaube ich, dass das nach wie vor ein großes Thema ist.
Allerdings nicht für Aschenputtel. Die läuft in Ihrem Stück im Blaumann durch die Wohnung, stürzt sich mit Akkuschrauber und Bohrmaschine auf jedes ansatzweise angeknackste Möbelstück und hält dabei belesene Referate gegen die soziale Ungleichheit.
Ich fand es interessant, dieses Aschenputtel-Modell so radikal dagegenzusetzen und seinerseits wiederum von den Sistas infrage stellen zu lassen: Führt dieses Konzept wirklich in die totale Unabhängigkeit und dieses viel zitierte selbstbestimmte großartige Leben, oder landet man als Taxifahrerin mit Hochschulabschluss in einer wurmstichigen Bude und ist dann aus dieser Perspektive auch wieder unfrei?
Mit anderen Worten: Weder der goldene Schwanz im Haus noch die Bohrmaschine in der eigenen Hand führen ans Ziel aller Träume.
Das Ziel aller Träume ist ein gutes Stichwort, denn das ist genau das, was das Stück infrage stellen will. Nicht nur, weil es individuell wahrscheinlich selten erreicht wird, sondern vor allem, weil die Träume ja möglicherweise sehr unterschiedlich sind. Wer bin ich denn, jemand anderem vorzuschreiben, wie sein Traum vom guten Leben aussehen sollte – beziehungsweise wovon er überhaupt zu träumen hat?!
Zurzeit kann man im Theater – gerade was Frauen und Frauenfiguren betrifft – viele Abende mit durchaus klarer Zielvorstellung sehen: Empowerment.
Ich finde das Bedürfnis nach Empowerment absolut verständlich. Allerdings halte ich das Theater für das falsche Medium dafür. Da sollte man zum Life-Coaching gehen oder vielleicht in die Politik. Persönlich kann ich mir zum Empowern auch eine Motivationskassette anmachen. Das Theater kann so viel mehr sein, vielschichtig, verstörend und ambivalent. Ich versuche ja immer, mich in jede Figur empathisch hineinzuversetzen – das verträgt sich schlecht mit Propaganda, wofür auch immer.
Sie statten Ihr Stückpersonal zudem mit hoher Diskursfitness aus. Die Sistas sind mit allen identitätspolitischen Wässerchen gewaschen, wenn sie sich bei Mom über Dad beschweren, der den ganzen Abend schweigend mit Kopfhörern in der Ecke sitzt und Opern hört: „Mom, Dad macht wieder einen auf Bildungsbürger! Dad wertet mich ab! Dad verhindert, dass aus mir eine selbstbewusste junge Frau ohne Komplexe wird!“
Es war mir sehr wichtig, dass die Sistas nicht irgendwie nur die knuffigen, kleinen, sozial schwachen Opfer sind, sondern über sich selbst Bescheid wissen. Ich habe bei diesem Stück tatsächlich länger als sonst nach dem Sound der Dialoge gesucht, weil es ja um eine sogenannte prekäre Familie geht, die sich selbst auch durchaus als Unterschicht bezeichnet. Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, als Autorin von oben auf dieses Milieu draufzuschauen. Deshalb reißen Mom und die Sistas immer so eine Quasi-Bourdieu’sche Metaebene auf, die sie vor dem Opferstatus bewahrt.
Viele Ihrer Stücke spielen eher im bürgerlichen Milieu.
Ich finde es immer schwierig, Leute kritisch-satirisch zu beleuchten, die gar nicht mit im Raum sind. Deswegen ist das – mal ganz salopp gesagt – linke Bildungsbürgertum, in dem ich mich selbst verorten würde und dem wahrscheinlich auch fast alle anderen angehören, die im Theater auf der Bühne stehen und im Zuschauerraum sitzen, für mich als Sujet prinzipiell interessanter. Natürlich gibt es große Übel in der Welt wie die AfD oder Donald Trump. Aber ich finde es ein bisschen wohlfeil, immer wieder dieselben offenen Meinungstüren einzurennen. Statt Leuten, die das eh schon längst wissen, von der Bühne herab immer wieder zuzurufen, dass Trump blöd ist, finde ich es spannender zu schauen, welche Selbstgewissheiten in unserem eigenen Milieu zu einer gewissen Arroganz oder Blindheit in der Eigenwahrnehmung führen.
Was ist denn der größte blinde Fleck zurzeit?
Ich glaube schon, das ist dieses Sich-selbst-dafür-auf-die-Schulter-Klopfen, dass man auf der richtigen Seite steht. Es liegt mir zum Beispiel total fern, Corona-Leugner zu verteidigen. Aber dass jeder, der nicht aus der eigenen Blase kommt und eine leicht abweichende Meinung vertritt, Gefahr läuft, mit Radikalen in einen Topf geworfen zu werden, halte ich für gefährlich. Man sollte sich schon fragen, welche Bedingungen welche Haltungen generieren, statt sich permanent dafür zu gratulieren, dass man im Bioladen kauft. Vielleicht gibt es ja Grundbedingungen, die den anderen davon abhalten, ethisch zu konsumieren. Da muss man wirklich aufpassen, dass man nicht zu selbstgefällig wird, zumal ich tatsächlich merke, dass der Ton sich verschärft und eine Frontenverhärtung eintritt.
Man lässt sich immer weniger auf Diskussionen ein.
Ja, es wird ziemlich schnell der Kontakt abgebrochen. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie die Autorin Margarete Stokowski einmal schrieb, dass sie in einer Buchhandlung, die sie zu einer Lesung eingeladen hatte, nicht aufgetreten sei, weil der – übrigens linke – Buchhändler in seinem Laden auch rechtspopulistische Literatur anbot. Er findet, dass die Menschen ein Recht darauf haben, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Ich halte es nie für verkehrt, die Argumente der Gegenseite zu kennen, denn nur, wenn man weiß, worüber man redet, kann man das richtig einordnen. Wo liegen die wirklichen Gefahren, gegen die man angehen muss, oder wo wird eventuell nur hysterisiert? Aber mit dieser Haltung macht man sich schon verdächtig. Das heißt ja heute Kontaktschuld, und das halte ich für extrem problematisch. Leute von bestimmten Dingen fernzuhalten, weil man der Meinung ist, sie könnten kontaminiert werden, hat etwas zutiefst Pädagogisches und Paternalistisches. Ich finde es ganz gut, als Erwachsene behandelt zu werden!
Apropos Pädagogik und Paternalismus: In Ihrem Stück „Homo empathicus“ haben Sie vor sechs Jahren eine Gesellschaft entworfen, die sämtliche negativen Gefühle eliminiert. Wer welche hat, wird zum „Wegsprecher“ geschickt.
Damals fing das ja an mit dieser sogenannten Awareness-Kultur. Man sollte ein Achtsamkeitstagebuch führen: die Psychotherapisierung des Alltagslebens! Mich interessiert immer, wie solche Trends in den allgemeinen Sprachgebrauch einfließen. Ich glaube diesem Kuschelmuschelwohlfühlzeug einfach nicht. Wo soll die Negativität denn hin? Die ist ja in der Welt, und ich denke, es gibt keine andere Möglichkeit, als sie zuzulassen und bestmöglich zu kanalisieren.
In Ihren Stücken funktioniert das ja erstklassig mit Humor. Halten Sie den Witz für ein Erkenntnisinstrument?
Auf jeden Fall. Humor hat viel mit Distanz zu tun, zu sich selbst genauso wie zu den Figuren. Wenn dagegen alles, was diese Figuren verkörpern, in irgendeiner Weise von einem selbst, also dem Privatleben der Autorin, beglaubigt werden muss, gibt es keinen Witz mehr und verschwindet der Humor.
Ich beobachte, dass sich in viele Diskurse – zum Beispiel den feministischen – wieder eine Art Essenzialismus einschleicht. Während in der Postmoderne das Geschlecht als soziales Konstrukt galt – was viele Frauen und auch Männer als Befreiung empfanden –, erleben plötzlich Kategorien wie „der weibliche Blick“ eine Renaissance.
Ja, unter der Flagge der emanzipatorischen Bewegung kommen Veranstaltungen wie „Female Perspectives“ oder „Weibliches Schreiben“ zurück. Auf diese Zuschreibungen reagiere ich allergisch, ich finde das total sexistisch. Als habe mein Schreiben bestimmte Eigenschaften und Charakteristika, allein wegen die Tatsache, dass ich eine Frau bin. Für mich ist das eine Reduktion von Persönlichkeitsanteilen und eine Verarmung von Perspektiven. //