Auftritt
Theater an der Wien: Eine Stunde für die Fantasie
„Amahl und die nächtlichen Besucher“ von Gian Carlo Menotti – Musikalische Leitung Magnus Loddgard, Inszenierung Stefan Herheim, Bühne und Kostüm Sebastian Ellrich, Choreografie Beate Vollack
von Susanne Dressler
Assoziationen: Österreich Theaterkritiken Musiktheater Stefan Herheim Gian Carlo Menotti Theater an der Wien

Traditionen in der Weihnachtszeit sind in Familien weit verbreitet: Der Besuch einer Vorstellung „Der Nussknacker“ zum Beispiel ist ein beliebter Versuch der Großeltern die Enkelkinder für Ballett zu begeistern. Öfter steht auch das eine oder andere Adventskonzert im Terminkalender ohnehin gestresster Eltern. Beliebter sind gemeinsame Filmnachmittage, wo während „Der kleine Lord“ oder „Der Grinch“ die eine oder andere Träne zerdrückt werden darf. In den USA sendet NBC seit 1951 alljährlich am 24. Dezember Gian Carlo Menottis Oper „Amahl und die nächtlichen Besucher“ und dass bei gleichbleibend erfolgreichen Quoten. Der Intendant des Theaters an der Wien, Regisseur Stefan Herheim, hat die Produktion nicht nur zur Adventszeit auf den Spielplan gesetzt, sondern auch gleich zur Chefsache erklärt. Gian Carlo Menotti hat seine Oper als Auftragswerk für NBC geschrieben, eine für europäische Verhältnisse durchaus außergewöhnliche Konstellation: Ein Opernkomponist schreibt für das Fernsehen? Im Mittelpunkt steht der am Bein gelähmte Amahl. Er lebt mit seiner Mutter am Rande des Existenzminimums und zerrt mit sehr fantasievollen Geschichten oft an deren Geduldsfaden. Eines Tages klopft es an der Tür des bescheidenen Zuhauses und die Heiligen Drei Könige bitten hier eine kleine Pause einlegen zu dürfen. Sie folgen einem Stern, der sie zu einem berühmten Kind führen soll. Als alle schlafen, versucht die von Geldsorgen geplagte Mutter etwas Gold von den Gästen zu stehlen. Sie wird ertappt und bevor die Aufregung unter den Königen eskaliert, besänftigt Melchior die Situation, in dem er der gestressten Mutter das Goldstück überlässt. Sie sieht ihren Fehler jedoch ein und will das Gold nicht mehr. Amahl möchte dafür dem geheimnisvollen Kind, dem die Könige folgen, seine Krücke schenken. Zum Dank für das großzügige Geschenk geschieht ein Wunder und Amahl kann normal gehen. Die Mutter ist so glücklich, dass sie ihrem Sohn erlaubt, die Heiligen Drei Könige zu begleiten. Bei Stefan Herheim wird die Geschichte so erzählt: Amahl liegt auf der Krebsstation eines Krankenhauses, die Mutter tapfer an seiner Seite. In regelmäßigen Abständen öffnen und schließen sich die Wände rund um das Krankenbett (Bühne und Kostüme: Sebastian Ellrich) und in Traumsequenzen wird die Handlung weitergetragen. Zunächst erzählt das aufgeregte Kind seiner Mutter von einem Stern mit Schweif, den er am Himmel entdeckt hat. Die Mutter kuschelt sich in die Bettdecke und schüttelt nur den Kopf ob der Fantastereien ihres kranken Jungen. Umso erstaunter ist sie, als die Heiligen Könige tatsächlich vor ihrer Tür stehen. In Herheims Welt opfert Amahl keine Krücke, er muss sein Leben lassen. Als Engel nimmt er Abschied von der Mutter und folgt den Heiligen Drei Königen über eine breite Showtreppe in den Himmel oder zum Jesuskind. Verstehen wir die so interpretierte Oper besser? Wahrscheinlich ja, denn Wunder gibt es nicht und keine Mutter würde ihr Kind drei fremden Männern anvertrauen und auf eine Reise mit unbekanntem Ziel schicken. Es ist eine bewegende Szene, als sie sich von ihrem toten Kind verabschiedet und seine Seele loslässt. Die Musik breitet hier einen feinen, berührenden Klangteppich aus und schenkt Mutter und Sohn eine der schönsten Stellen der Oper. Die wenigen kitschigen Szenen – die Hirten auf der Showtreppe, tanzendes Krankenhauspersonal oder die Kasperliaden der Könige – sind für eine Familienoper nötige Stimmungsmacher und können den Wohlklang der lyrisch fließenden Musik Menottis, die Erinnerung an beste Filmmusik weckt, nicht stören. Dieser Schönklang wird von den Wiener Symphonikern unter dem Dirigenten Markus Loddgard ausgiebig zelebriert. Die Rolle des Amahl singt ein Mitglied der Wiener Sängerknaben, mit Hingabe, wenn auch etwas angestrengt. Dsamilja Kaiser ist sehr berührend in der Rolle der Mutter, die einfach nur das Beste für ihr Kind möchte. Kaspar (Paul Schweinester), Melchior (Nicholay Borchev) und Balthasar (Wilhelm Schwinghammer) sind nicht nur stimmlich bestens disponiert, sondern überzeugen auch mit großer Spielfreude. Ein musikalischer Höhepunkt der einstündigen Oper ist der Auftritt des wie immer bestens disponierten Arnold Schoenberg Chors in der Rolle von Hirten, die ihre von der Weide kommenden Kinder in die Arme schließen. Sie stehen für tote Kinderseelen. Hier schließt sich der Kreis: Als Amahl sterbend zu Boden sinkt, übernimmt ein Junge mit Engelsflügelchen, um sich von den Lebenden zu verabschieden. Ob das Stück als neue Weihnachtstradition in Wien taugt, sei dahingestellt, als Einstieg für Kinder in die Welt der klassischen Musik eignet sich die Oper ganz gut. Das große und kleine Publikum war auf jeden Fall begeistert und jubelte. Entgegen vieler Unkenrufe ist es durchaus möglich, die Aufmerksamkeit von jungen Menschen für eine Stunde zu fesseln. Also ist es Stefan Herheim gelungen, die biblische Geschichte ins Hier und jetzt zu holen, ohne das Märchenhafte, das für eine Weihnachtsgeschichte der Stoff ist, aus dem Träume gemacht werden, wegzuinterpretieren.
Erschienen am 27.12.2022