Protagonisten
Frankfurter Abrissfreunde
Reaktionärer Geist und globalisiertes Standortmarketing geben sich beim Abriss der Städtischen Bühnen Frankfurt die Hand
von Philipp Oswalt
Erschienen in: Theater der Zeit: Rechte Gewalt – Esra Küçük und Milo Rau im Gespräch (04/2020)
Assoziationen: Hessen Akteure Dossier: Neubau & Sanierung Schauspiel Frankfurt
Ende Januar dieses Jahres beschloss die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung den Abriss der Theaterdoppelanlage der Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz von 1963. Zu teuer und nicht lohnend sei eine Sanierung. Vorausgegangen waren sieben Jahre Diskussionen und Untersuchungen, die ihrerseits schon viele Millionen Euro gekostet haben. Anders als in Köln wollte man sich zu Recht nicht auf ein unüberschaubares Abenteuer einlassen, zumal der Frankfurter Theaterbau ein wahres Palimpsest ist: In zwei Etappen in den 1950er und 1960er Jahren errichtet, enthält er umfangreiche Reste des Jugendstilbaus von 1902 und wurde später wiederholt umgebaut, saniert und erweitert. Unstrittig ist daher, dass die gewachsene Struktur vielfache Probleme birgt und nach Jahrzehnten intensiver Nutzung wie andere Nachkriegstheaterbauten nun einer umfassenden Sanierung bedarf. Doch begründet dies einen Komplettabriss?
Das Gebäude von Otto Apel, Hannsgeorg Beckert und Gilbert Becker ist ein herausragender Theaterbau der Nachkriegsära, der über Jahrzehnte einer der prägenden Orte des kulturellen Lebens von Frankfurt war, an dem auch immer wieder gesellschaftlich relevante Diskurse ausgetragen wurden. Er hat Stadtgeschichte geschrieben und Identität gestiftet als ein Ort bürgerlicher Öffentlichkeit, an dem die Stadtgesellschaft über ihre Gegenwart und Zukunft nachgedacht und gestritten hat. Das Haus mit seinem großen urbanen Glasfoyer, das sich der Stadt zuwendet und es als eine Bühne des öffentlichen Lebens inszeniert, war ein Symbol für ein neues, auf demokratische Teilhabe ausgerichtetes gesellschaftliches Selbstverständnis Westdeutschlands nach 1945. Das in den Bau integrierte Gemälde von Marc Chagall und die Goldwolken des ungarischen Künstlers Zoltán Kemény sind zugleich einzigartige Beispiele einer architekturbezogenen Kunst ihrer Epoche.
Für dieses baukulturelle Erbe aber gibt es in Frankfurt keine Lobby. Trotz des fachlich unstrittigen Denkmalwertes der zentralen Gebäudeteile unterblieb – offenkundig auf politischen Druck – deren Unterschutzstellung. Während Millionen in bautechnische Analysen gesteckt wurden, gab es nicht einen Cent für eine denkmalpflegerische Analyse des Objektes.
Längst ziehen verschiedene Immobilienentwickler wie Aasgeier über dem Areal ihre Kreise, denn dieses wäre bei einem Standortwechsel der Städtischen Bühnen eine Eins-a-Lage für ein neues Hochhaus. Erst jüngst hat der Frankfurter Projektentwickler Groß & Partner mit einem gefakten Rem-Koolhaas-Entwurf der Öffentlichkeit einen Alternativstandort schmackhaft machen wollen und sich damit in eine Serie peinlicher Projektvorschläge eingereiht, für die sich auch der ehemalige Planungsdezernent Martin Wentz nicht zu schade war. Diesem Treiben leisten die Intendanzen von Theater und Oper Vorschub, da sie nicht nur den ihnen anvertrauten Bau dem Abriss preisgeben, sondern mit ihren exorbitanten Ausstattungsanforderungen an Interimslösungen sehenden Auges einen Standortwechsel erzwingen. Sie setzen damit auf eine einseitige sektorale Optimierung, die mittels technischer Hochrüstung in einer globalen Konkurrenz großer Häuser bestehen will und damit eine Idee von Oper und Theater weiterverfolgt, die andernorts längt hinterfragt wird.
Der politisch nun eingeschlagene Weg für die Städtischen Bühnen versteht diese als Instrument in einer globalisierten Standortkonkurrenz. Das Bühnenkonzept geht Hand in Hand mit einer Baupolitik, die identitätsstiftende Bauten der Stadtgeschichte auslöscht und neue Surrogate schafft, welche gleichermaßen der Vermarktungslogik eines globalisierten Standortwettbewerbs folgen und zugleich ein restauratives Geschichtsbild bedienen.
Während mit überzogenen technischen und räumlichen Anforderungen sowie willkürlichen Risikoaufschlägen die Kosten für den Bestand künstlich hochgetrieben werden, die den Komplettabriss des bedeutenden authentischen Baus der Stadtgeschichte und die Aufgabe seines Standortes begründen sollen, haben dieselben Politiker und Parteien über 180 Millionen Euro als verlorenen Zuschuss in den Nachbau der „Neuen Altstadt“ investiert, die im Vergleich zum Theaterbau nur ein Viertel der Nutzfläche bietet und zudem größtenteils privatisiert wurde. Dieses identitätspolitische Re-Engineering der Stadt Frankfurt ist Zeichen eines problematischen Geschichtsverständnisses, in dem die Nachkriegsepoche keinen Platz hat. Dass es hierbei um Ideologie und nicht um Pragmatismus geht, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die neuen Gutachten, welche die Abrissentscheidung begründen sollen, sowohl den Stadtverordneten wie der Öffentlichkeit vorenthalten werden. //
Gegen die Abrisspläne initiierte der Architekt Philipp Oswalt eine Petition an den Frankfurter Magistrat, die unter http://chng.it/6FzYqWdY unterzeichnet werden kann.