Auftritt
Konstanz: Terror des Ungesagten
Theater Konstanz: „We have a situation here“ (DSE) von Neil LaBute. Regie Johanna Wehner, Ingo Putz, Andreas Bauer, Neil LaBute, Ausstattung Elena Buchnikova
von Bodo Blitz
Erschienen in: Theater der Zeit: Dickicht der Städte – Shermin Langhoff über die Dialektik der Migration (04/2017)
Assoziationen: Theater Konstanz
Konstanz feiert die Kunst der Skizze. Die intensive Kooperation mit Neil LaBute ermöglicht dem dortigen Theater eine kleine Sensation – die Möglichkeit zur deutschsprachigen Erstaufführung von vier bisher unveröffentlichten „shortplays“ des amerikanischen Erfolgsautors. LaBute leuchtet jeweils einen sehr kurzen Lebensabschnitt von vier unterschiedlichen Paaren grell aus. Spannung entsteht für die Zuschauer daraus, deren Vergangenheit und Zukunft nicht richtig einschätzen zu können.
Der Abend beginnt mit Relikten eines Festes: Sie im cremefarbenen Hochzeitskleid, er mit schwarzem Anzug. Laura Lippmann und Julian Härtner eint in „Nach der Hochzeit“ (Regie Ingo Putz) das Strahlen der Frischvermählten. Im Erzähldrang beider manifestieren sich kleine Differenzen. Leidet er darunter, weniger attraktiv zu sein? Darf sie als sexuell prüde gelten? Warum zum Teufel tritt das Thema der sexuellen Erregung immer mehr in den Vordergrund? Dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums tut das keinen Abbruch. LaButes Alltagsgeschichte nimmt Tempo auf und wird zur Novelle des Unerhörten. Das Hochzeitspaar berichtet von der eigenen, morgendlichen Autofahrt nach dem Ende des Festes in die Flitterwochen. Beide begegnen unvermutet einem zweiten Auto. Er als Fahrer ist abgelenkt, da sie ihm zu diesem Zeitpunkt einen bläst. Weil das entgegenkommende Auto ausweichen muss, stürzt es in einen See. Alle fünf jugendlichen Insassen ertrinken. Ihr Untergang wird vom Hochzeitspaar genauso minutiös geschildert, wie zuvor Hochzeit und sexuelle Vorlieben. Hilfe holen? Selbst helfen? Keine Alternativen für das Hochzeitspaar, dem die eigene Selbstverwirklichung immer näher ist als das Unglück der Mitmenschen.
LaButes Szenen wirken dann besonders brutal, wenn sich die Ungeheuerlichkeit aus scheinbarer Normalität entwickelt. So auch im zufälligen Aufeinandertreffen zweier ungleicher Frauen, beide im Bademantel, auf den Fluren einer „Liebesdienst-GmbH“ (Regie Johanna Wehner). Warten auf Wellness? Bettina Riebesel verkörpert lustvoll die ältere, erfahrene Kundin. Ganz anders Sylvana Schneider als äußerst aufgeregte, hypernervöse Erstkundin. Beim Junggesellenabschied bekam sie einen Besuchergutschein geschenkt, hinter dem sie sich am liebsten verstecken möchte. Es braucht seine Zeit, bis der Zuschauer begreift: Wenn die Tür sich öffnet, bietet die „Liebesdienst-GmbH“ Vergewaltigung als wählbare Wellness-Einheit an. Die Kunst der Überredung beherrscht Bettina Riebesel glänzend; in ihrem Sog lässt sich das Publikum dazu verführen, das Tabu einer „Vergewaltigung“ hinzunehmen.
Es sind durchweg höchst beunruhigende Blicke auf unsere Gesellschaft, die LaBute zeichnet. Hinter der Fassade partnerschaftlicher Zuneigung verbergen sich häufig die Risse von Gewalt, Exzess, Mitleidlosigkeit. So plant ein homosexuelles Pärchen in „Hassverbrechen“ (Regie Neil LaBute) einen Mord aus Habgier, als handele es sich um eine ganz selbstverständliche Handlung. Die Vertrautheit der beiden Schauspieler Ingo Biermann und Georg Melich bricht auf nonverbale Art und Weise die sprachliche Brutalität der hasserfüllten Imaginationen. Motivisch verschränkt LaBute in seinen Kurzstücken gerne Sexualität und Tod. In „Die Furien“ (Regie Andreas Bauer) versucht Jörg Dathe als Barry seinem unwissenden Lebenspartner (Peter Posniak) beizubringen, dass er in wenigen Wochen sterben müsse. Die Aussprache scheitert an der Anwesenheit einer dritten, äußerst skeptischen Person: Jonas Pätzold spielt die Schwester des Lebenspartners. Die Todesnachricht geht im permanenten Flüster-Dialog der Geschwister unter. Der Terror des Ungesagten quält Barry mehr als seine Lebensprognose. Eine verstörende Kommunikationssituation.
LaButes Stücke leben von der Inszenierungskunst, die Situationen nur anzuspielen. „Theater unplugged“ für die insgesamt drei Schauspielerinnen und sechs Schauspieler. Ihrem Vermögen überantwortet LaBute die sprachliche Genauigkeit seiner ungeheuerlichen Skizzen. Dieses Vertrauen belohnt das Konstanzer Ensemble. //