Auftritt
Hamburg/München: Im Casino-Kapitalismus
Deutsches Schauspielhaus Hamburg/Residenztheater München
Erschienen in: Theater der Zeit: Theater Thikwa Berlin: Ungezähmtes Spiel (06/2018)
Assoziationen: Residenztheater Schauspielhaus Hamburg
Ayad Akhtar ist als Sohn pakistanischer Eltern im Mittleren Westen der USA aufgewachsen. Bisher begab er sich in seinen Stücken wie „Geächtet“ meist auf das Konfliktfeld interkultureller Konfrontation. „Junk“ scheint da aus der Reihe zu fallen. Akhtar taucht darin ein in den US-amerikanischen Finanzkapitalismus. Die Hauptfigur, Bob Merkin, schuf der Autor nach realem Vorbild: Michael Milken galt als der „Junk Bond King“ der achtziger Jahre. Mit hochverzinslichen Schrottanleihen köderte er Investoren, um mit deren Geld feindliche Übernahmen kriselnder Unternehmen einzufädeln. Das Zinsversprechen war dabei allein mit dem Kapital der erst noch zu kaufenden Firmen zu halten. Eine hochriskante Wette auf die Zukunft. Aber im Erfolgsfall auch höchst profitabel. „Junk“ spielt also zu dem Zeitpunkt der Kapitalismusgeschichte, da sich der Finanzsektor von der Realwirtschaft abkoppelte. Milken heißt hier Merkin, und die Firma, die sich dessen Angriff ausgesetzt sieht, Everson Steel. Ein taumelnder Industrieriese mit glorreicher Vergangenheit.
Befeuert wird die Geburt des Finanzkapitalismus im Stück durch die Aufstiegssehnsüchte religiöser und ethnischer Minderheiten. Hier kommt Akhtars Kernthema also doch ins Spiel. Firmenpatriarch Everson steht für das alte Amerika und die bröckelnde Dominanz weißer Männer. Merkin ist Jude. Unter den Beratern, Investoren und Spekulanten, die auf beiden Seiten mit in die Übernahmeschlacht ziehen, finden sich ein Kubaner, ein Ire und ein Weißrusse. Des Weiteren treten auf: ein italoamerikanischer Bundesanwalt, eine asiatische Journalistin und eine afroamerikanische Anwältin. Alle mischen mit, wittern ihre Chance.
Diese Diversität lässt sich auf der Bühne – angesichts der im Drehbuchrealismus gehaltenen Dialoge Akhtars – eigentlich nur mit einer entsprechend realitätsnahen Besetzung darstellen, sprich: mit einem multiethnischen Ensemble. Oder man macht es wie Jan Philipp Gloger, der „Junk“ am Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit einem rein weißen Ensemble inszeniert, dazu aber die Verweise auf die Herkunft der Figuren weitgehend streicht. Das nimmt dem Stück natürlich eine Dimension – und ist doch nicht die schlechteste Entscheidung. Zum einen, weil Diversität auf der Bühne immer dann fragwürdig ist, wenn ein Theater erst entsprechende Darsteller als Gäste engagieren muss. Zum anderen, weil das Stück auch ohne diese Facette ausreichend Potenzial hat. Gloger schöpft es gekonnt aus und inszeniert „Junk“ als packenden Wirtschaftskrimi, der viel darüber erzählt, warum die Welt, in der wir heute leben, so ist, wie sie ist.
Zu Beginn der Aufführung sitzen die Schauspieler aufgereiht im Halbdunkel vor einer massiven Wand (Bühne Marie Roth). Scheinwerfer setzen rechteckige Spots und machen so jeweils diejenigen Akteure sichtbar, die gerade miteinander konferieren, telefonieren oder verhandeln. Das erlaubt schnelle Schnitte zwischen wechselnden Schauplätzen. In Breaks zwischen größeren Szenenblöcken flackert das Licht stroboskopartig auf, dann blinkt die Bühne zum Thrillersound von Kostia Rapoport wie ein riesiger Glücksspielautomat. Willkommen im Casino-Kapitalismus!
Eine gespannte Grundstimmung trägt den ganzen Abend. Großen Anteil daran hat das durchweg überzeugende Ensemble, angeführt von Samuel Weiss. Sein Bob Merkin ist ganz Spielernatur, smart, ein Zocker, aber auch: ein Getriebener. Alles in allem nicht uncharmant. Nicht minder grandios: Ernst Stötzner als Merkins Gegenspieler Tom Everson, Vertreter eines alten amerikanischen Geldadels; bei Stötzner ein knurriger Aufrechter, der sich um das Ansehen der eigenen Industriellendynastie freilich mindestens ebenso sehr sorgt wie um die Zukunft seiner Stahlarbeiter.
Am Münchner Residenztheater macht sich Oliver Nägele in derselben Rolle leider arg bräsig breit und spielt die Borniertheit in Person. Auch Till Firit fällt hier zu Bob Merkin nicht viel mehr ein als ein gleichförmig schneidender Ton. Die Ambivalenz, die die Antagonisten in Hamburg auszeichnet, fehlt in München völlig.
Anders als Jan Philipp Gloger versucht Tina Lanik Akhtars Besetzungsvorgaben zumindest im Ansatz gerecht zu werden. Der italoamerikanische Bundesanwalt wird hier von Michele Cuciuffo gespielt, der tatsächlich italienischer Herkunft ist. Mit Cynthia Micas als Journalistin steht eine Schauspielerin auf der Bühne, deren Vater aus Mosambik stammt. Erkennbar ist zudem Laniks Versuch, den Antisemitismus, der Merkin immer wieder entgegenschlägt, als Stachel sichtbar zu machen, der die Figur antreibt. Und doch bleiben Laniks Bemühungen halbherzig.
Auch sonst hat sie keinen überzeugenden Zugang gefunden. Auf der Bühne von Stefan Hageneier verlieren sich die Darsteller in einem kreisenden, karussellartigen Gerüstbau. Das macht es dem Publikum nicht gerade leichter, in der Fülle der Figuren den Überblick zu behalten. Vor allem aber rückt es die Schauspieler weit weg vom Zuschauerraum und zwingt sie so zu einem aufgepumpten Ton, der allenfalls noch zu der Zeit modern war, zu der Akhtars Stück spielt. Die Entfesselung des Kapitalismus, die damals einsetzte, hat die Welt nicht zum Besseren verändert. Die Befreiung des Theaters aus überkommenen Konventionen hingegen ist eigentlich eine Errungenschaft. Der altmodisch theaternden Münchner Inszenierung von „Junk“ ist davon wenig anzumerken. //