Theater der Zeit

Stück Labor – Neue Schweizer Dramatik

We all!

Julia Haenni über ihr Stück „frau verschwindet (versionen)“ im Gespräch mit Elisabeth Maier

von Elisabeth Maier und Julia Haenni

Erschienen in: Theater der Zeit: Cordelia Wege – Schöpferisches Risiko (02/2020)

Assoziationen: Dramatik Schweiz Bühnen Bern

Julia Haenni, als Performerin und Regisseurin waren Sie oftmals selbst an der Inszenierung Ihrer Stücke beteiligt. „frau verschwindet (versionen)“ hat Marie Bues am Konzert Theater Bern uraufgeführt. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit erlebt?

Als Autorin des Stück Labor-Förderprogramms war mir von Anfang an klar, dass da eine ­Regie hinzukommt. Dadurch habe ich beim Schreiben eine enorme Freiheit gespürt. Sonst überlege ich mir als Regisseurin meistens schon vorher, wie wohl die Schauspielerinnen und Schauspieler von Szene A zu ­Szene B kommen. Und das war nun nicht so. Mit Marie Bues und dem Team traf ich mich bereits, als ich noch am Schreiben war. Da haben sich Arbeitsprozesse verzahnt. Ideen für das Bühnenbild zum Beispiel haben mich beim Schreiben weitergebracht. Diesen Austausch mag ich als Autorin sehr, dieses ­gemeinsame Denken inspiriert mich. Man macht dann nicht alles mit sich selbst aus. Und das ist meistens besser so.

Das Stück haben Sie im Jahr des Frauenstreiks geschrieben. Mehr als 500 000 Frauen haben 2019 in der Schweiz demonstriert und gestreikt, um für ihre Rechte zu kämpfen und auf strukturelle Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Wie hat diese Bewegung Ihre Arbeit inspiriert?

In „frau verschwindet (versionen)“ geht es um Zuschreibungen und um eindimensionale Rollenangebote. Am zweiten Tag der Proben war der Frauenstreik. Endlich wurde und wird in der Schweiz wieder groß über Frauenrechte diskutiert. Überall wird der Widerstand wieder sichtbar. Die Schubladen, in die Frauen in der Gesellschaft gesteckt werden, sind auch in den Publikumsgesprächen das dominierende Thema. Da sehe ich, wie groß der Redebedarf ist – von Frauen wie auch von Männern. Dass die Inszenierung in Bern so erfolgreich läuft und verlängert wurde, zeigt ja auch, wie sehr über das Thema geredet werden muss. In „frau verschwindet (versionen)“ stehen ­Generationen von Frauen auf der Bühne. In Bern sind es drei Spielerinnen. Ich habe den Text aber bewusst so geschrieben, dass wir viele Frauen in verschiedenen Rollen sehen und dass es auch mehr sein können. Dazu gehört auch die mittelalte Frau, die auf den Bühnen viel zu wenig vorkommt. Das ist ein strukturelles Problem im Theater, da ver­zahnen sich Wirklichkeit und Stückinhalt, und danach suche ich in meinen Arbeiten als Theaterschaffende.

In „frau verschwindet (versionen)“ stehen ­Frauen auf der Bühne. Ihr inoffizieller Untertitel lautet indes „ein feministisches stück für alle“. Wie denken Sie die Sicht der Männer mit?

Ich denke sie immer mit. Weil es Themen sind, die alle betreffen, egal, wie man sich definiert, als Mann oder Frau oder Stern. Es geht ja darum, dass diese Zuschreibungen uns alle einschränken und wir gerade auch im Theater versuchen sollten, sie aufzubrechen oder zumindest mit dem Finger auf sie zu ­zeigen. In meinem aktuellen Stück „Don Juan. Erschöpfte Männer“, das im Frühjahr im Thea­ter Tuchlaube Premiere hat, geht es um männliche Rollenbilder.

Im Zuge der #MeToo-Debatte ist die Frage der Repräsentation von Frauen im Theater zum dominierenden Thema geworden. Das Berliner Theatertreffen hat zum Beispiel eine Frauen­quote eingeführt, damit mehr Regisseurinnen in der Zehner-Auswahl vertreten sind. Was halten Sie von diesem Weg?

Ich finde die Quote super. Es ist der richtige Weg, um schnell etwas zu ändern. Das hat vor allem mit der Frage der Repräsentation zu tun. Daran glaube ich total. Wenn man als junge Frau im Theater etwas erreichen will, sollte nicht die Frage sein, ob man es darf oder ob man eine „spannende weibliche Perspektive“ mitbringt. Es sollte längst eine Selbstverständlichkeit sein, dass Regisseurinnen und Regisseure, Autorinnen und Autoren an den Theatern wie auch beim Berliner Theatertreffen in gleicher Anzahl vertreten sind. In der Praxis herrscht da ein großes Ungleichgewicht. Aber je mehr junge Menschen aller Art Menschen in aller Art Positionen sehen, desto größer wird die Selbstverständlichkeit. Und das ist doch das Wichtigste. Auch wenn die Quote vielleicht zunächst zu Ungerechtigkeiten führen mag. Wir müssen den Wechsel hinbekommen. Deshalb macht es Sinn, zumindest zwei oder drei Jahre mit einer Quote zu arbeiten. Bei zu vielen ist noch nicht angekommen, dass wir in Bezug auf die Repräsentation von Frauen noch längst nicht so weit sind, wie von vielen behauptet wird. //

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