Der Skandal der Öffentlichkeit
Die „City of Change“ als Kunst des Urbanen
von Timon Beyes
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
In seinem 1968 erschienenen Buch „Le droit á la ville“1, das derzeit Stadtaktivisten als Stichwortgeber fungiert, postuliert der Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre, dass die Zukunft der Kunst urban sei. In Auseinandersetzung mit der städtischen und verstädterten Gesellschaft und dem urbanen Wandel müsse sich Kunst neu erfinden. Abseits von Repräsentation, Ornament und Dekoration gehe es um eine Kunst des Lebens in der Stadt, der praxis und poiesis im Maßstab des Sozialen. Glaubt man den Beobachtern der zeitgenössischen Kunst- und Theaterszenen, so hat der hellsichtige Lefebvre zumindest teilweise Recht behalten. Zwar ist das Feld der Kunst ein enorm heterogenes, doch scheint sich ein Paradigma herausgebildet zu haben, das die Kunsttheoretikerin Rosalyn Deutsche in ihren Studien zu „Art and Spatial Politics“2 als urban-ästhetischen Diskurs bezeichnet. Der Kurator Nicolas Bourriaud3 spricht von einer wachsenden Urbanisierung des künstlerischen Experimentes, und dem Theaterwissenschaftler Nicolas Whybrow zufolge ist das urbane Leben von zunehmender Bedeutung für die künstlerische Arbeit – „both in the art artists endeavour to make and in that which is held to come within the province of art“4.
Dabei verfließen die Grenzen zwischen einer Theaterpraxis, die den Theatersaal verlässt oder Stadtleben auf die Bühne bringt und dabei mit...