Der Flug nach Graz führt über um diese Jahreszeit malerisch verschneite Alpen und endet in Thalerhof, einem typischen Kleinstadtflughafen mit einer Handvoll Terminals, der kaum auffällt in der beschaulichen Landschaft ringsum. Was lange Zeit viele nicht wussten – oder nicht wissen wollten: Hier, in Thalerhof, existierte vor rund 100 Jahren ein Internierungslager. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurden um die 30 000 Ruthenen in die Steiermark verschleppt, Orthodoxe aus Ostpolen, also dem nordöstlichsten Teil der K.-u.-k.-Monarchie. Als sogenannte Russophile standen sie unter dem Generalverdacht, mit dem Feind zu sympathisieren, und wurden vorsorglich deportiert. Weit weg aus dem Grenzland, damit sie nicht auf kürzestem Weg zur anderen Seite überlaufen konnten. Die hygienischen Zustände im Lager von Thalerhof müssen erbärmlich gewesen sein. Seuchen hatten leichtes Spiel und rafften 1767 Deportierte dahin. Erst seit 2012 erinnern Gedenktafeln an sie. Ein weitgehend verdrängtes Stück Geschichte – in Österreich.
Im östlichen Polen dagegen, in der Heimat der Toten, ist die Erinnerung bis heute lebendig. So jedenfalls steht es zu lesen im Programmheft zu „Thalerhof“, einem Auftragswerk des Schauspielhauses Graz, geschrieben von Andrzej Stasiuk, der selbst aus dem Südosten Polens stammt. „Ich bin ein abergläubischer Slawe und glaube an Geister. Ich lausche, was sie zu sagen...