Theater der Zeit

Magazin

Schaulust

Das kleine theater Kammerspiele Landshut wird 25 Jahre alt

von Hannelore Meier-Steuhl

Erschienen in: Theater der Zeit: Die rote Revolution – Russland zwischen 1917 und der Gegenwart (11/2017)

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Kann man nach 25 Jahren immer noch gern in ein Theater gehen, das man ein halbes Berufsleben lang als Pflichtzuschauerin, als Kritikerin, begleitet hat? An dem man fast keinen Premierenabend versäumt hat und über dessen Selbstverständnis man mit jeder Inszenierung von Neuem nachdenken musste, um zu einer Beurteilung zu kommen? Oder ist dieses Theater, das 25 Jahre lang vom selben Intendanten nach immer denselben Prinzipien geleitet wurde, nicht doch etwas langweilig geworden? Hat es sich klammheimlich in einen öden Ort verwandelt, der dringend einmal umgekrempelt und von Grund auf neu erfunden werden müsste?

Um Himmels willen, bloß das nicht! In Zeiten, in denen Theater zunehmend dazu übergehen, sich selbst abzuschaffen, weil ihre Betreiber es spannender finden, statt literarischer Texte die banalen Befindlichkeiten von Selbstdarstellern zu inszenieren, und dazu neigen, alles, was denen gerade durch die Rübe rumpelt, für genial zu halten, sollte man froh sein, dass es hier diese kleine, nach außen unscheinbare Zuflucht gibt. Eine Zuflucht für all diejenigen, die ihr Vergnügen darin finden, einen Abend lang mit Dingen zum Nachdenken, Mitfühlen, Aufregen, Lachen oder auch Zweifeln konfrontiert zu werden. Mit Inszenierungen, in denen Charme, Poesie und Metaphysik keine Fremdwörter sind. Sie liefern das Baumaterial für Gegenwelten, die es in der Realität nicht gibt, für die aber die Bühne der legitime Ort ist.

Für all das steht seit nunmehr 25 Jahren Sven Grunert mit seinen Kammerspielen. In all den Jahren wäre es ihm nie eingefallen, dem Zeitgeist folgend, aus seinem Theaterhaus einen Eventschuppen zu machen, frei nach der Devise: Alles jubelt, alles lacht, wenn es im Gebäude kracht. Für ihn ist Theater immer ein Spiegel des Lebens, und er sieht seine Aufgabe als Regisseur darin, das auf der Bühne zu zeigen. Ein Spiegelbild ist naturgemäß am direktesten in den zeitgenössischen Theatertexten zu finden. Deshalb durfte man sich als Zuschauer in Landshut fortan darüber freuen, in jeder Spielzeit mit Stücken konfrontiert zu werden, die zur gleichen Zeit als Entdeckungen auf den Großstadtbühnen die Runde machten. Schwieriger wird es für beide Seiten beim Umgang mit klassischen Texten, mit überlieferten Autoren.

Sven Grunert ist seiner spezifischen Methode, mit klassischen Texten umzugehen, in den vergangenen 25 Jahren treu geblieben. Gleichgültig, aus welcher Epoche die Stücke stammen, stets versucht er darin das Zeitstück aufzuspüren, in den Figuren die Vorläufertypen unserer Zeitgenossen zu finden. Die Mittel dafür schöpft er aus einem Fundus aus Fantasie und Erfahrung, ästhetischem Bewusstsein und seinem Hang zur Poesie, aus der Lust an Experimenten und den Mühen penibler Textanalyse.

Das alles 25 Jahre lang als Maßstab bewahrt zu haben ist ihm wohl als größtes Verdienst um sein Theater anzurechnen. Zur Seite standen ihm in all den Jahren die vielen Regiekollegen, denen das kleine theater – wie der Regisseur Gil Mehmert es einmal formulierte – zum „Wohnzimmer für Experimente“ wurde und die, trotz schmaler Gagen, gerne nach Landshut kamen, um sich und ihre Ideen hier auszuprobieren. Den Erfolg garantierten dabei immer wieder die Schauspieler, die ihre ganz individuellen Persönlichkeiten einbrachten.

Natürlich gab es im kleinen theater auch Inszenierungen, mit denen weder der Regisseur noch die Zuschauer ganz glücklich sein konnten. Als Zuschauerin, die gleichzeitig Kritikerin sein muss, sitzt man an solchen Abenden zwischen allen Stühlen. Und doch muss man zuweilen auch mal seine Enttäuschung ausdrücken. Wenn man aber dann nach 25 Jahren immer noch zur Premiere eingeladen wird, vom Intendanten immer noch freundlich begrüßt wird und im Theater das Gefühl vermittelt bekommt, ein gern gesehener Gast zu sein, dann spricht das für die Gastgeber, die der Kritikerin ihre Urteile und auch Fehlurteile in all den Jahren nicht verübelt haben. Die es ihr stattdessen immer wieder ermöglichen, den Theaterbesuch zu genießen: den spannungsgeladenen Augenblick, bevor die Aufführung beginnt, wenn die Theaterbesucher durch Verstummen zum Publikum werden. Man blickt auf die leere Spielfläche, wo der Bühnenbildner den Raum, der Regisseur die Zeit neu schaffen wird. Ihr Universum liegt weitab von unserer Welt, gemeinsam betreten wir es mit den Schauspielern. Sie werden uns einen Abend lang hineinziehen in Affären, in Schicksale und Lebensbilanzen. Und sie werden uns vielleicht auch reicher machen an Empfindungen und Argumenten. So einfach ist das. //

Bei diesem Text handelt es sich um eine redaktionell gekürzte Fassung des Beitrags „Schaulust“ von Hannelore Meier-Steuhl aus dem Buch „Das große kleine Theaterwunder. 25 Jahre kleines theater Kammerspiele Landshut“, am 14. Oktober 2017 erschienen im Verlag Theater der Zeit.

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