Theater der Zeit

Auftritt

TAK Theater Aufbau Kreuzberg Berlin/Scena Theatre Washington, D.C.: The Entertainer

„Report for an Academy“ von Franz Kafka – Regie und Ausstattung Gabriele Jakobi

von Thomas Irmer

Assoziationen: Theaterkritiken Berlin TAK Theater Aufbau Kreuzberg

Kafkas Parabel über die Grenzen zwischen Mensch und Tier: „Report for an Academy“ inszeniert von Gabriele Jakobi.
Kafkas Parabel über die Grenzen zwischen Mensch und Tier: „Report for an Academy“ inszeniert von Gabriele Jakobi.Foto: TAK Theater Aufbau Kreuzberg Berlin / Scena Theatre Washington, D.C.

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Das Klopfen eines Spazierstocks auf dem Boden begleitet die ersten Schritte von Rotpeter vor das Auditorium einer hochrangigen Akademie. Diese ist das Publikum selbst, und der Referent, eingeladen, um über seine Herkunftsgeschichte und Entwicklung vom Menschenaffen zum Affenmenschen zu sprechen, packt das vorbereitete Manuskript gleich wieder ein. Offenbar hat er es sich anders überlegt.

Kafkas Rotpeter in der 1917 geschriebenen Geschichte „Bericht für eine Akademie“ gilt als Parabel einer erzwungenen Assimilation, so die Deutung des Kafka-Freundes und ersten Herausgebers Max Brod, der dabei insbesondere an das Schicksal des jüdischen Volks dachte. Der in Afrika eingefangene Affe habe sich, von ihm selbst berichtet, kunstvoll an die Menschenkultur angepasst um den Preis der Selbstverleugnung. Heute fällt diese sicher schlüssige Deutung gewiss etwas breiter aus. Denn inzwischen werden die Grenzen zwischen Mensch und Tier anders bedacht, kommt beispielsweise dem Begriff der Intelligenz bei Tieren eine höhere Bedeutung zu, und noch komplexer wird es, wenn man das Gleichnis noch ohne schlüssige Interpretation auf eine schnell lernende Künstliche Intelligenz anwendet, die sozusagen aus Daten zu einem Wesen mit menschenähnlichem Verhalten werden kann, wenn auch nicht in affenartiger Gestalt.

Robert McNamaras Rotpeter kommt indes aus einer anderen Welt mit einer, so lässt sich ohne weiteres sagen, amerikanischen Färbung. Seine Überlebensstrategie nach der gewaltsamen Entführung aus seinem natürlichen Lebensraum war, so gut wie möglich die Regeln des Entertainments zu erlernen, sozusagen ein Performer dessen zu werden, was ein interessiertes Publikum von ihm erwartet: Der Künstler mit einer exzeptionellen Biografie als Selfmade-Man fürs Varieté.

Dementsprechend mündet der Monolog als Referent vor einer wissenschaftlichen Gesellschaft schnell in die autobiografische Perspektive eines mehr oder weniger erfolgreichen, aber freudlosen Künstlerdaseins im Show-Betrieb. Auf der linken Wange hat der Schauspieler das tiefrote Mal einer Schussverletzung bei Rotpeters Gefangennahme. Den Stock braucht er nicht nur für die Eleganz seines Auftritts, sondern auch wegen eines damals verursachten Hüftschadens. Und das, was ihm anfangs beim Eintritt in die menschliche Kultur die größten Schwierigkeiten bereitete, ist längst zur Gewohnheit geworden: Rotpeter trinkt während seiner Ausführungen immer wieder aus einer kleinen Flasche Schnaps. In diesen Momenten schaltet der Schauspieler von seiner Stimmgewalt herunter, mit der er mühe- und mikroportlos auch einen großen Saal bespielen könnte. Musikalisch wird das bereits verfallende Leben des Entertainers u.a. mit Nino Rotas beschwingt melancholischer Zirkusmusik untermalt, die man aus Fellinis Filmen kennt.   

Die Inszenierung wurde noch von der deutschen Regisseurin Gabriele Jakobi gestaltet, die bis zu ihrem Tod 2023 regelmäßig mit McNamara an dessen Scena Theatre in der amerikanischen Hauptstadt arbeitete. Dieses für amerikanische Verhältnisse in seiner Bespielung mit europäischer Avantgarde von Beckett über Václav Havel bis zu in jüngster Zeit auch Stücken von Jon Fosse völlig ungewöhnliche Theater wirkt in Trump-Amerika natürlich noch exotischer – und dieser irgendwie auch gewitzt auftretende Rotpeter-Entertainer hat darin noch einen Echoraum mehr.

Erschienen am 18.7.2025

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