Grenzgänge – 13 neue Kurzstücke – geschrieben für das Schauspielhaus Graz
Die Gegenwart Stille
von Thomas Arzt
Erschienen in: Theater der Zeit: Fuck off (09/2015)
Verschwommen ist’s, die Grenz. Schau raus da, aufs Land, in der Fahrt vom Zug, schau hinaus durch das Fenster, und die Grenz ist verschwommen. Zerrinnt mir, die Grenz von dem Land. Hab das Aug nah am Fenster, die Nase am Fenster, die Hand auch am Fenster, fast als könnt ich’s begreifen, das Land, mit der Hand an dem Fenster. Versuch’s zu begreifen, verschwommen vor mir, mein Land. Tut gut, das Verschwommene, gut, denk ich, gut, dass nicht alles so klar immer ist, dass im Fahren des Zugs man auch denken könnt, alles ein Ganzes und alles im Werden und alles vielleicht auch ganz anders, so über die üblichen Grenzen hinaus. Grenzenlos fast, möcht ich denken, so grenzenlos, Österreich ganz neu zu denken. Das wär so mein Traum in dem Zug auf der Fahrt grad aus Wien in den Süden, die Südbahn hinab, und dann hält’s.
Alles hält an, das Bild von dem Land da im Werden hält an. Das Bild voll Veränderung, grad noch im Schwung, es hält an und ist Stillstand. Und der Zug steht ganz still in seiner Station, Wiener Neustadt, ganz still, und das Österreich da, so wieder vertraut, so wieder wie’s war, so wie’s eben ist, mit den Grenzen, ganz klar, das Bild ein bekanntes. Ich denk, ja, so kenn ich’s, das Österreich kenn ich, bin da geboren, gewachsen, die Landschaft in mir. Gemütlich die Hügel, die Wiesen, die Wälder, die Dörfer bequem überschaubar und freundlich, glückselig, ein echt schönes Land. Auch wenn da und dort nichts, auch wenn tiefste Provinz, am Weg mit der Südbahn nach Graz, auch wenn Manches verstorben, verfallen, vergangen, der Glanz von dem Gestern, nostalgisch auch sagt man, grüß Gott. Und Servus, Grüß Gott. Ein Plakat voll der Heimat so schön, es begrüßt mich, Grüß Gott, ganz glückselig. Schau’s an, dieses Bild, das ich kenn. Bin geboren, gewachsen, die Landschaft in mir, und ich würd mich gern freuen, die Landschaft gemütlich, bequem und so schön, aber doch. Heut auf der Fahrt ist’s ein Doch und ein Aber und ich weiß nicht woher, ist der Magen verzwickt? Ich schluck’s runter, ganz leis.
Jetzt rollt’s wieder los, die Schönheit im Nichts, die Provinz, das schön freundliche Land, das ich kenn. Es rollt los und irgendwas anders. Ich denk, weiß nicht was, doch irgendwas anders. Der Bahnsteig vielleicht, die Menschen darauf, der Schaffner aus Kärnten, ich kenn’s an der Sprach, ist es er? Da kommt jetzt das Boardservice, freundlich, ein Lächeln, halb schon gezwungen, das Lächeln, die Sprache gebrochen, Ungarin, denk ich, oder Slowenin, Tschechin, irgendwie eben gebrochen, die Sprach, ihre Herkunft verschwimmt mir im Reden, ich sag halt, der Osten. Eine vom Osten fragt, ob ich was will, ich sag, Kaffee wär jetzt gut, ich bezahl, und ihr Lächeln ein angenehm freundliches. Dann rollt sie weiter, die Boardservicefrau. Und ich denk, was ist anders? Ich kenn sie, die Boardservicefrau, auf den Strecken durchs Land, meist die Boardservicefrau mit gebrochener Stimm, aus Slowenien, Tschechien, Ungarn, auch Slowakei, ich weiß nicht, sag Osten. Vom Ausland, denk ich, und merk jetzt, das Wort, es ist dieses Wort, das im Magen so zwickt! Noch am Bahnsteig gestanden, das Wort am Plakat, neben dem Servus, Grüß Gott, neben Schöne Region voll Genuss und voll Seengebiet und voll Alpenverzaubert, da stand auch recht unübersehbar und groß jenes Wort am Plakat, mit Blau auf dem Weiß, dieses Ausland. Das Reden vom Ausland, mir war’s erst nicht klar, hat das Bild in dem Stillstand mir unruhig gemacht. Weil, was Ausland? Warum sagt man Ausland? Ist’s das Land, das erst dort ist, wo nicht mehr das Inland? Das Reden von Außen und Innen, ist es denn wirklich so deutlich? Oder doch ganz verschwommen, wie der Blick durch das Fenster?
Fahr also jetzt durch das Inland, so denk ich, und denk an das Ausland, dazwischen die Grenz, aber gibt’s die denn noch? Denk mir, die Grenzen sind offen, so heißt’s, sind ganz offen, das Österreich, weltoffen, freundlich und auch liberal, und europäisch im Herzen, im Herzen Europas. Da les ich die Zeitung vor mir, die liegt da am Platz, die Zeitung, sie sagt, neue Grenzen. Das Land, neue Grenzen, der Staat, neue Grenzen, das Geld, neue Grenzen, und Prost, drauf getrunken, Servus, Grüß Gott. Was da steht, ist nicht offen, nicht freundlich, liberal, denk ich, weiß nicht, das Herz da, im Herzen Europas, es schreit dieses Herz, dieses Österreichherz, schreit laut, neue Grenzen, wo ist die Nation? Wenn Europa ganz fern, wenn Europa ganz vage nur, nur ein Begriff, das Europa, dann schreit man Nation. Was soll hier Europa, wir sind wieder wir. Sagt auch die Zeitung, sind wir, sagt der Schaffner, aus Kärnten, oder Steiermark, Burgenland, ist Kärnten nicht überall schon, grad noch in Wien, und gerade in Wien, wir sind wir! Sagen die Felder, die Wege, die Autobahn auch, und der Fluss, wir sind wir. Und die Radfahrer da auf dem Schotter, die Vögel darüber, die Nester, so unschuldig blicken sie drein, wir sind wir. Mir verkrampft jetzt der Blick, mir verkrampfen die Wort. Und ich hör, in dem Krampf in dem Magen von überall her plötzlich Stimmen, die schreien, ist’s wirklich? Sie schreien, ist’s wirklich oder nur hier mein Wahn? Verfolgt in dem Wahn, der aus mir kommt, nur ich gegen außen, das Land voll der Unschuld, ich seh’s nicht. Die Unschuld, ich seh’s nicht. Sie ist viel zu laut. Da hält nun der Zug mir erneut, dieser Zug in den Süden. Es ist Bruck an der Mur.
Ich seh draußen am Bahnsteig den Mann aus Nigeria, Kenia, Ghana, ich weiß nicht, sag Afrika, alles Schwarzafrika, mein Wissen nur schwammig, verschwommen, obwohl das Bild wär ganz klar. Was weiß ich denn wirklich, das frag ich mich jetzt, noch verkrampft in dem Wahn, dass sich alles verschworen. Was weiß ich? Was denk? Was stell ich mir vor, in dem Blick auf den Mann aus, er könnt ja auch einfach von Bruck an der Mur sein, was sagt schon die Farbe? Ich will’s vergessen, die Farben, und die Idee dieser Farben, die Ideologie, das Schwarze, das Rote, das Weiße. Doch blau steht’s jetzt wieder dahinter: Das Plakat, es verfolgt mich. Das Ausland darauf als ein Wort. Auch wenn ich denk, ist egal, wo er her ist, der Mann, das Plakat hinter ihm ist ganz laut: nicht von hier. Das sagt das Plakat hinter ihm: nicht von hier. Er nicht von hier! Soviel nicht von hier! Und viel zu viel Geld für die nicht von hier! Sagt das Plakat! Und einer nur, einer, der sagt, ich für euch! Für niemanden sonst, nur für euch, wir sind wir! Und der Mann aus Nigeria, Kenia, Ghana, ich weiß nicht, der Schwarze davor, nimmt den Müll, den die Fahrgäste hier hinterlassen, er wirft ihn weg. Und ich denk mir, die Welt ist verschwommen, die Grenzen verschwommen, wie lässt es sich sagen, sind wir. Wer ist dieses Wir am Plakat? Dieses Wir in der Zeitung? Und warum ist nicht er aus Nigeria, scheiße, ich weiß nicht, ich frag ihn, schrei raus, aus dem Zug, he, wart, he, du, woher kommst? Den Mund an dem Fenster, der Hauch, er erlischt. Nigeriamann, bist du auch dieses Wir?
Und der Zug rollt davon, durch das Österreich, wo ich geboren, gewachsen, und immer zurück wieder auch, hierher zurück, in die Landschaft, ich kenn sie, ich trag sie, und schwer wird sie jetzt, furchtbar schwer. Denk an Sätze aus Zeitungen, Internet, Fernsehen, gibt’s Sätze dagegen? Soviel könnt man sagen dagegen, und sollt man, und müsst man, doch tut man’s? Man tut’s und dann doch nicht. Man tut’s und zu leis. Man tut’s und dann denkt man, was hilft’s. Und verstummt. Im Stummen dann denkt man’s, seid offen, seid freundlich, und auch liberal und auch mit Verstand. Dieses Land ist nicht dumm! Will’s nicht glauben, nicht dumm! Will’s nicht glauben! Die Dummheit ist dort, wo das Schweigen beginnt! So denk ich im Stillen und schweige.
Alle schweigen. Ich sitze ganz still und der Zug voll von Stillen, es baumeln die Zeitungen rum, und ganz laut steht es da: Umfragewerte, alles nach rechts. Wieder alles nach rechts, weil die Mitte kaputt. Kein Grund jetzt zur Sorge, sagt draußen mein Österreich, draußen vorm Fenster mein Österreich, alles noch ruhig und bequem, liegt die Landschaft, liegt der Wein in der Landschaft, liegt der Fluss in der Landschaft, schmiegt sich Hügel an Hügel, auch Autobahn, Brücke, und Bergwerk und Wasserkraft, Luftkraft, die Dörfer, die Städte, die Landeswahrzeichen, recht hübsch, ist doch hübsch, keine Sorge. Jetzt mach dich nicht wahnsinnig. Nur ein wenig Gegrantel im politischen Lager, doch alles beim Alten. So lächelt sie rein, bequem, voll von Mitte, sind doch immer die Mitte, wird doch immer die Mitte da sein. Wie sonst, soll’s gedacht sein, das Mittelmaß Österreich, ist niemals extrem. Ist sozial recht und Heimat, recht Heimat, recht traditionell und recht Sicherheit, Treue und Pflicht, doch recht rechts sicher nicht, weil die ist lang schon die Mitte, das Rechte, ist’s das?
Und ich an dem Fenster, die Hand wie der Bauch nun verkrampft, voll Gedanken verkrampft, voll von Worten verkrampft, weil innen in mir nur die Unruh. Warum noch so hübsch und warum noch so freundlich bequem und so, alles ist gut, wenn die Hässlichkeit deutlich? Da, auf Plakaten, in Fernsehern, im Internet und überall auch in der Sprach da die Hässlichkeit. Redet von: anders soll’s werden, anders muss werden, Umschwung und Umsturz und es ist die Wahrheit! Wir haben die Wahrheit, die keiner sonst spricht diese Wahrheit vom schmerzhaft vergessenen Wir, das nun laut wieder wird, dieses Wir, das nicht Herz sein will, hier für Europa, nicht denkt als ein Herz, das schlägt für Europa, sondern blutet, voll Wut und voll Neid. Weil die Mitte die Ränder schon lange vergessen und sagt, muss sich was ändern, muss sich immer was ändern, doch nichts. Wie viel, denk ich, muss hier verpasst worden sein, dass diese Gedanken so viele bewegen? Ein Viertel wählt rechtsextrem! Ein Viertel wählt rechtsextrem! Jetzt mach dich nicht lächerlich in deinem Wahn, sagt die Landschaft, so träge gemütlich und selig, von Weinbergen, Wiesen und Wäldern beseelt, ist nicht wahr. Nur weil einmal ein Viertel wo rechtsextrem wählt, ist’s lang noch nicht, echt nicht, also das kannst nicht sagen, wieso rechtsextrem jetzt? Und ich schau ins Gesicht von dem Schaffner, die Fahrkarte bitte, und ich such ganz verkrampft, die Fahrtkarte, oder fahren Sie schwarz? Ist er von dem Viertel? Und ich such und bin halb am Verzweifeln, ich hab nur, die Karte ist unten, irgendwo unten, da, sorry, ich hab’s. Und er zwickt mit einem Humor, war es zynisch? Das Viertel vor mir, es zwickt meine Karte, ganz zynisch? Auch du bist willkommen und wirst es noch sehen, wir sind mehr als ein Viertel, wir sind schon die Mitte! Wächst heran, dieses Viertel, rechnet man’s hoch, so im Ganzen, die Mitte ist rechts. Und von links keine Spur. Und von links nur die Dummheit. Und von links nur die Feigheit. Und von links, wer ist denn schon links je gewesen in diesem Land, ich steh auf, geh aufs Klo.
Unter mir jetzt die Schienen, ich merk die Bewegung, es rüttelt der Körper, das Denken blockiert, nur der Blick nach dem Unten. Verschwommen zerfließen die Schienen und ich erinner mich leis an den Anfang, der Blick ins verschwommene Land, voll der Möglichkeit Zukunft, die Utopie Anders. So schön könnt es sein, ließ man sich ein, auf die Zukunft, anstatt auf das Gestern. Anstatt wieder neu hier von Grenzen zu sprechen, die stärker, und lauter, und auch voll Gewalt meine Landschaft durchziehen, was könnt man sich wünschen an Neuland? An Neuland. An Neuland. Da senk ich den Blick und vergess, ich bin lang schon in Graz.
Es klopft. Ist es gut? Hallo, alles gut? Ich sitz immer noch wankend auf der Toilette vom Zug, da die Stimme, gebrochen, ist gut? Ich öffne und es steht die Boardservicefrau jetzt vor mir. Sie haben gerufen, so fest rausgerufen. Sie fragt, alles gut? Ich hab nicht gerufen, sag ich, ich hab nur, ich hab, gedacht hab ich nur, etwas laut. Nur ein bisschen gedacht. Ganz fest gerufen, Sie haben gerufen, sagt sie, und ist was passiert? Ich steh und der Schweiß an der Stirn und die Hand, sie sucht Halt an den Wänden, sie sagt, es ist Graz. Der Zug ist am Ziel. Und ich schau da hinaus, in die Stadt, die ich kenn, dieses Graz und am Bahnsteig die Menschen. Am Weg in die Stadt. Ist es gut? Sie gibt mir ein Taschentuch. Da, für den Schweiß. Sie sind ganz verschwitzt. Ich sag, es ist gut. Steig langsam jetzt aus, es ist gut. Steig rauf, auf den Bahnsteig, geh rein in die Stadt, es ist gut. Mein Blick kurz gewendet, zu ihr, deren Stimme gebrochen, aus Slowenien, Tschechien, Ungarn, ich weiß nicht, ist gut. Dann trink ich Kaffee, irgendwo, und ich zahl. Und die Gegenwart Stille holt mich dann ein.