Theater der Zeit

Gespräch

Was macht das Theater, José Manuel Mora?

von Elisabeth Maier und José Manuel Mora

Erschienen in: Theater der Zeit: Was soll das Theater jetzt tun? – Eine Umfrage (05/2022)

Assoziationen: Akteure Dossier: Was macht das Theater...? Dossier: Spanien

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Als Scout für das Gastland Spanien gestalten Sie das Programm des Heidelberger Stückemarkts im Mai mit. Die spanische Theaterszene ist im Aufbruch. Viele junge Autor:innen kommen auf den Markt. Wie bewerten Sie den Stellenwert der spanischen neuen Dramatik in Deutschland?

Schon als ich 2008 zum ersten Mal beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens mit meinem Stück „Meine Seele anderswo“ in szenischer Lesung dabei war, hatte ich den Eindruck, dass die spanische Dramatik in Deutschland im Kommen ist. Deutsche Bühnen führen spanische neue Dramatik auf, Texte junger Autor:innen werden ins Deutsche übersetzt. Gerade die junge Generation, die noch nicht so etabliert ist, kommt auf die Bühne. Das deutsche Theater ist offener für neue Stücke aus Spanien, als das umgekehrt der Fall ist. Da setzt man auf arrivierte deutsche Dramatik, auf große Namen.

Gibt das spanische Theatersystem denn der jungen Theatergeneration Raum, sich zu entfalten?

Es ist wichtig, Strukturen zu schaffen, in denen sich Autor:innen und Regis­seur:in­nen entfalten können. Da sehe ich noch Defizite im spanischen Theatersystem. Kulturelle Projekte sind sehr stark von den politischen Machtverhältnissen abhängig. Da ist es schwer, Langzeitprojekte zu realisieren, weil sich die Finanzierung nicht langfristig planen lässt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Bühnen in ganz Europa eine Gier nach neuen ­Stücken entwickeln. Es gibt einen Uraufführungs-Hype. Doch es geht ja darum, Autor:innen zu entwickeln. Es darf nicht passieren, dass das Theater zu einer Art Algorithmus des Zeitgeistes wird.

Noch vor wenigen Jahren waren viele junge Thea­terschaffende in Spanien darauf angewiesen, sich in der freien Szene einen Namen zu machen. Oft waren sie auch gezwungen, sich nebenbei den Lebensunterhalt zu verdienen. Hat sich das geändert?

Da hat ein Umdenken stattgefunden. Junge Theatermacher sind heute sehr viel besser in die etablierten Theaterstrukturen integriert. Die großen Häuser spielen neue Dramatik. Und auch die etablierten Bühnen sind offen für Performances oder andere neue Formate. Ebenso werden die freien Gruppen unterstützt, um frei von wirtschaftlichen Zwängen produzieren zu können. Das Problem in Spanien sehe ich darin, dass die umfassende kulturelle Perspektive fehlt. Immer wieder gibt es Projekte, die nicht zu Ende gebracht werden dürfen, weil die Verantwortlichen ausgetauscht werden, wenn die politische Macht gewechselt hat. Die Kultur ist da zu abhängig von der Politik. Wo bleibt da die langfristige Vision für die Kultur?

Es gibt doch aber Bühnen wie das Teatre Lliure in Barcelona, die eben diese Vision für ein ­modernes Theater seit Jahrzehnten leben und diese auch kontinuierlich entwickeln?

Das liegt an den Theaterpersönlichkeiten. Àlex Rigola hat diese Bühne aufgebaut und bis 2010 geleitet. Er und seine ­Nachfolger haben sich aber nie vor den Kämpfen mit der Politik gescheut. Ob sich Projekte realisieren lassen, liegt am Kampf­geist der Theaterpersönlichkeiten.

Was waren die Auswahlkriterien für den­ Autorenwettbewerb beim Heidelberger Stücke­markt, das Sie gemeinsam mit der Regisseurin Carlota Ferrer kuratieren?

Wir haben Wert darauf gelegt, Produktionen von Künstler:innen zu zeigen, die in der Szene bereits etabliert sind. Gleichzeitig ging es uns aber darum, den Blick auf neue, spannende Texte zu lenken. Die Möglichkeit, neue Dramatik zu entdecken, hat uns gereizt. Die aufregendsten Augenblicke für Kuratoren sind ja die, wenn sie auf etwas ganz Neues stoßen. Dem Heidelberger Publikum eine Vielfalt der Stimmen zu präsentieren, das ist unser Ziel. Starkes Theater gibt es nicht nur in den Kulturmetropolen Madrid und Barcelona. Der Blick in die Peripherie lohnt sich. Ein weiteres Kriterium war für uns, starke Theatersprachen zu finden und zu zeigen.

Regisseurinnen sind bei den Gastspielen stark vertreten. Carlota Ferrer hat Ihr Stück „Fragen ans Universum/Preguntando Al Universo“ in Szene gesetzt. Marta Pazos hat „Otello“ nach William Shakespeare von Fernando Epelde in Szene gesetzt. Was sind deren Stärken?

Beide Regisseurinnen suchen nach den versteckten Bedeutungen im Text. Sie arbeiten mit Tiefenschichten, die weit über die naturalistische Betrachtungsweise hinausgehen. Etliche spanische Regisseur:innen sind dagegen noch sehr stark im mimetischen Prinzip verhaftet. Die spanische Tradition ist sehr stark am Text orientiert. Gerade die zwei starken Regisseurinnen Ferrer und Pazos gehen vom Text aus, beziehen aber die anderen Ausdrucksmittel des Theaters ein. Sie arbeiten im besten Sinn interdisziplinär, weil die Sprache an Grenzen stößt. //

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