Im Rückblick auf das Festspielprogramm zwischen 2012 und 2021 fallen „Langzeitthemen“ auf, die über die Jahre hinweg in zahlreichen Aufführungen, Ausstellungen und Diskursveranstaltungen eine Form von kontinuierlich geführter Auseinandersetzung prägen. Neben Themen wie Nachhaltigkeit, dem Verhältnis von Werk zu Format oder von Ost zu West dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung ist auch die Identitätspolitik ein aufschlussreicher Filter, um die Wandlungen im Veranstaltungsprofil der letzten zehn Jahre besser zu verstehen.
Die verschiedenen identitätspolitischen Konzepte und Praktiken verbindet nachfolgend die Annahme, dass Identitätspolitik stets mit einer Gewalterfahrung zu tun hat, deren Diagnose und Bearbeitung sowohl der Handlungsmotor für diverse Akteur*innen ist, genauso wie sie auch die damit verbundene Gemeinschaftsbildung prägt. Die Spätmoderne, so schreibt der Soziologe Andreas Reckwitz in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten, setzt in ihrer Hyperkultur, ihrem Postindustrialismus von Wissens- und Kulturökonomie, ihrem kuratierten Lebensstil, ihrer Geschlechtergleichberechtigung, ihren Märkten und Projekten und ihrer liberalen Politik stets eine „pazifistische Gesellschaft“ und eine extreme „psychische Selbstkontrolle“ der Individuen in ihrem Alltag voraus. (Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Suhrkamp Verlag 2019, S. 425). Konflikte sind für Reckwitz in der Spätmoderne Konflikte „um Sichtbarkeit und Wertzuschreibungen“ (Ebd., S. 430). Wenn die Kultur der Digitalität, wie sie...