Theater der Zeit

Überlegungen

Guerrilla Marika

von César Cisternas und Cristián Aravena

Assoziationen: Südamerika Performance Dossier: Chile

Performer:innen im Rahmen des Umzugs im Karneval de La Legua auf der Straße. Foto Ana Carolina Alba
Performer:innen im Rahmen des Umzugs im Karneval de La Legua auf der Straße Foto: Ana Carolina Alba

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Der Staatsstreich im September 1973 ist eine offene Wunde in der Geschichte unseres Landes. Die untersten Schichten der Gesellschaft wurden verfolgt, und wir, die sexuell dissidenten Personen, sollten uns unter Androhung von Waffengewalt die Schminke aus dem Gesicht wischen. Und das nicht zum ersten Mal: Schon Carlos Ibáñez del Campo (und sein diktatorisches Regime zwischen 1927 und 1931) steckte uns in Konzentrationslager und warf uns ins Meer, bewusstlos und mit High-Heels aus Zement an den Füßen, damit unsere Schwuchtelei nie wieder an die Oberfläche dringen würde.

Im Jahr 2023 begehen wir nicht nur den 50. Jahrestag des Militärputschs, sondern auch einen historischen Meilenstein in der Geschichte sexuell dissidenter Personen in Chile: Am 22. April 1973, zu Zeiten der Regierung der Unidad Popular, inszenierte eine Gruppe proletarischer Transvestitinnen die erste öffentliche, kaum zu übersehende queere Intervention in Chile, von der Presse Las Locas del 73 getauft, die verrückten (Frauen) von 1973.

Diese Demonstration hatte stattgefunden, weil die Genossinnen verfolgt, verhaftet und während der Razzien der Repressionskräfte misshandelt worden waren, noch bevor uns bösartige Soldaten den proletarischen Spaß der 1970er verderben sollten. Dieser Protest war ein Kratzer am Geschichtsbild jener heterosexuellen, heroischen Männer, die es gewohnt sind, die Erfahrungen der Verwundbarsten unter den Marginalisierten zu ignorieren.

Fünfzig Jahre nach diesen Ereignissen im Jahr 1973 und trotz der ganzen schmerzvollen Geschichte im Gepäck, verteidigen wir nach wie vor die Positionen der Schwächsten innerhalb der Gesellschaft, auch mit unseren Aktionen. Doch unser Verhältnis zu dieser Bevölkerungsschicht ist bis heute nicht völlig konfliktfrei, denn obwohl wir uns selbst, ganz im Sinne der Zapatisten, als ziemlich „links und unten“ verstehen, sind wir uns im Klaren darüber, dass wir auch innerhalb dieser Randgruppe am Rand stehen, ein Schwellendasein fristen, anders sind; in einem Milieu, das uns historisch genauso diffamiert und verfolgt hat wie andere auch. Die Ideale der Revolution, wie sie in der lateinamerikanischen Linken verbreitet sind, haben uns nie mitgemeint. Und obwohl wir uns dieser Klasse zugehörig fühlen, trennen uns nach wie vor die unterschiedlichen Ausdrucksformen von Gender. Wir sind eine „wilde Mischung“, so wie auch die Geschichte unseres Landes und sein Aufschwung, das angebliche „Erwachen des Jaguars“. Wir sind ehrliche Straßenköter, die sich vom Zusammenrotten nicht abhalten lassen, Mischlinge, die glauben, dass die Suche nach einer gemeinsamen Basis wichtiger ist als je zuvor.

Fünfzig Jahre danach begreifen wir uns als Überlebende des feigen und verhängnisvollen Putschs und der zahllosen Angriffe aus dem Hinterhalt, ob mit Kugeln oder Dolchen, Fäusten oder Beleidigungen. Unserer beschmutzten, angespuckten kurzen Röcke, die in die Straßen der Außenbezirke zwangsumgesiedelt wurden – und es noch werden. Überlebende einer Gewalt, die unser Begehren auslöschen will, bis heute. Aus diesem Grund gehen wir auf die Straße, zeigen unsere Körper, erinnern an den Schmerz, den unsere Leute durchgemacht haben.

Fünfzig Jahre danach beobachten wir ein weltweites konservatives Rollback, der auch die chilenische Gesellschaft erfasst hat. Wieder einmal müssen wir uns neu erfinden, ausgehend vom Hässlichen, Prekären, Marginalisierten; es ist eine politische Entscheidung, die auf unsere Herkunft verweist, und dorthin, wo wir Mischlingstransvestiten unsere Kräfte einsetzen wollen – dieses Mal im Kontext einer Gesellschaft, die den Hass verinnerlicht hat, die großgeworden ist mit einer Kultur der Stiefellecker und Karrieristen, einer Gesellschaft, die uns am liebsten wegsperren würde, um zu verbergen, wofür sie sich schämt: nicht zuletzt auch für ihr eigenes, schuldhaftes Verlangen nach unseren Körpern.

Übersetzung Miriam Denger

Erschienen am 29.9.2023

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