Im November 1800 zog Heinrich von Kleist aus dem Anblick eines frei stehenden Torbogens „erquickenden Trost“. Wie hier die einzelnen Steine so zusammengefügt waren, dass sie als Ganzes ein stabiles Konstrukt ergaben, nährte in ihm die Hoffnung, dass auch er Halt finden könnte, „wenn Alles mich sinken lässt“. Dieses Zitat (aus einem Brief Kleists) hat Jan Philipp Gloger seiner Bühnenadaption von „Das Erdbeben in Chili“ am Staatstheater Nürnberg vorangestellt, formuliert Kleist in seiner Novelle doch eine ganz ähnliche Utopie: die vom empathischen Schulterschluss zwischen den Überlebenden der titelgebenden Naturkatastrophe, die die gemeinsame Erfahrung von Not (vorübergehend) eint. Für Kleists Protagonisten, das Liebespaar Josephe und Jeronimo, scheint sogar Rettung im Untergang zu liegen. Wegen Unzucht wurden sie zum Tode verurteilt. Doch weil der Erdstoß auch Kerkermauern zum Einsturz bringt, kommen sie frei. In den Wirren nach der Katastrophe finden sie Aufnahme in einer Gruppe von „Menschen von allen Ständen durcheinander“, die gemeinsam in einem paradiesischen Tal lagern „als ob das allgemeine Unglück alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte“.
Kleists Sehnsucht nach einer Solidargemeinschaft, die sich angesichts eines allgemeinen Ausnahmezustands formiert und so dem einzelnen Haltlosen Halt gibt, scheint in Zeiten der Coronapandemie gerade besonders, nun ja, virulent....