Stück
Essen Zahlen Sterben. Ein Theaterabend von Dominik Busch, Michael Fehr und Ariane Koch am Luzerner Theater, in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste
Die Beflissenen. Luzerner Fassung
von Dominik Busch
Erschienen in: Theater der Zeit: Freude verdoppelt sich, wenn man sie teilt – Geld nicht. – Lukas Bärfuss (01/2017)
Assoziationen: Dramatik Luzerner Theater
Es wurde alles rascher, damit mehr Zeit ist.
Es ist immer weniger Zeit.
Elias Canetti
Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: „Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Große deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge (...). Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!“ – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete?
Friedrich Nietzsche
Personen
Ein Chor von Knaben
Der Chauffeur
Die Köchin
/ = markiert den Beginn der nächstfolgenden Replik bei gleichzeitigem Sprechen.
1. SZENE (Chor)
– Was ist der Mensch? Ist das eine gute Frage?
– Warum sind Pferde so anmutig? Ist das eine gute Frage?
– Und wofür steht der Clown?
– Ist das eine gute Frage?
– Warum weiße Handschuhe? Und ist Gewalt eine Lösung?
– Ist Milchpulver eine Lösung?
– Ist das Böse nur ein Wort? Sind die Meere leergefischt? – Lügt die Suppe?
– Ich weiß nicht, ob das gute Fragen sind.
– Können wir das? Trauen wir uns das zu?
– Steuern wir das?
– Wer steuert das denn?
– Wie viele Firmen passen in einen Raum? Ist das zu eng formuliert?
– Wie viele Firmen passen in einen Raum von vier mal fünf mal drei Meter?
– Woran erkennt man eine Firma?
– Woran erkennt man eine gute Frage?
– Das könnte eine gewesen sein.
– Ist die Frage: Warum gehen wir ins Theater? eine gute Frage?
– Und wer hat damit angefangen?
– Mein Großvater? Die Russen?
– Oder mein Steuerberater?
– Irgendjemand muss doch damit angefangen haben!
– Wem gehört das denn alles? Da, da drunter: das Grundwasser. Wem gehört das denn?
– Gute Frage.
– Und warum schießt er auf seinen eigenen Sohn?
– Und warum dieses Loch?
– Hier muss man sauber machen.
– Warum dieses große, runde Loch?
– Kann mal bitte jemand sauber machen!
– Warum dieses Loch auf beiden Seiten des Kopfes? Und das Gehirn, verspritzt auf der Straße?
– Ja genau: warum das Gehirn auf der Straße? Ist das jetzt vielleicht eine gute Frage?
– Was ist Notwendigkeit? Und warum hören diese Kinder nicht auf zu heulen?
– Warum das Loch im Kopf des Gewerkschaftsführers? Ist das eine gute Frage?
– Kann das jetzt endlich mal jemand sauber machen?!
2. SZENE
KNABE Bin schon unterwegs, sagst du
CHAUFFEUR schweigt
KNABE du sagst: bin schon unterwegs
CHAFFEUR Bin schon unterwegs, sagst du
KNABE du sagst: bin schon unterwegs – Sag es.
CHAUFFEUR Bin schon unterwegs, sagst du,
du sagst: bin schon unterwegs
KNABE und du bist schon unterwegs, bist fast schon unterwegs Nochmal von vorn.
CHAUFFEUR Bin schon unterwegs, sagst du,
du sagst: bin schon unterwegs, und du bist schon unterwegs, bist fast schon unterwegs, und während du mit der Rechten den Anruf wegdrückst, und mit der Linken die Gabel auf den Tisch legst, / kaust du...
KNABE neben den Teller legst
CHAUFFEUR die Gabel neben den Teller legst, kaust du schneller, / kaust und...
KNABE Nochmal von vorn. Nochmal von vorn.
CHAUFFEUR Bin schon unterwegs, sagst du, du sagst: bin schon unterwegs, und du bist schon unterwegs, bist fast schon unterwegs, und während du mit der Rechten den Anruf wegdrückst, und mit der Linken die Gabel – neben den Teller legst, kaust du schneller, kaust und schluckst, und kaust und schluckst abermals, und greifst mit der Rechten nach der Tasse, und spürst den Kaffee auf der Zunge, und schluckst noch einmal, und versuchst mit der Linken jetzt die Krawatte, versuchst den Knoten, drückst den Knoten leicht nach oben, während du mit der Rechten nach deinem Jackett greifst, und in dein Jackett greifst, in die Innentasche deines Jacketts greifst, und das Knistern der Durchdrückpackung hörst, und dir dann zwei Pastillen in die Hand drückst, und sie dir in den Mund steckst, und lutschst – und jetzt dein Handy wieder vibriert, zwischen Tischrand und Teller wieder vibriert, und du abnimmst, und dann zu deinem Vorgesetzten sagst, klar rufe ich vorher an, sagst du zu deinem Vorgesetzten, und fragst ihn dann, versprechen? indem du „echen“ hinten hochziehst, um gleich anzufügen, natürlich kann ich das versprechen, fügst du gleich an, und dann versprichst du es ihm, versprichst es ihm hoch und heilig, und sagst, dass dir klar ist, dass das wichtig ist, und wiederholst, dass dir klar ist, dass das wichtig ist, dass das wichtig sein muss, weil man sonst jemand andern gefragt hätte, nicht dich dafür fragen würde, worauf du nickend, obwohl er es ja nicht sieht, dein Vorgesetzter sieht es ja nicht, nickend sagst, dass du im Laden erst anrufen würdest, vom Wagen aus anrufen würdest, um zu fragen, ob sie sie da hätten, worauf du die drei spanischen Namen aussprichst, die dein Vorgesetzter noch einmal laut und deutlich ins Telefon hinein gesagt hat, und sie jetzt wiederholt, die drei spanischen Namen, und dir vorsagt, wie ein Lehrer dir vorsagt, worauf du etwas, mit leichter Tendenz gegen „ungehalten“, aber dann doch nicht wirklich ungehalten, aber mit einem Nebenton der Unnötigkeit, der Unnötigkeit in dem Sinne, dass du meinst, dass es unnötig sei, die drei spanischen Namen noch einmal zu wiederholen, was du aber gleichwohl jetzt tust, noch einmal die drei spanischen Namen der Zigarre aussprichst, worauf sich dein Vorgesetzter mit einem: vielen Dank, und einem: ich verlass mich auf dich von dir verabschiedet, und noch während er sich von dir verabschiedet, greifst du mit der Linken nach deinem Jackett, du jetzt sitzend, mit dem linken Arm hinein ins Jackett, und drückst den Anruf mit der Rechten weg, und stehst auf und im Aufstehen ziehst du das Jackett an, und noch während du das Jackett anziehst, packst du deine Magen-Pastillen und dein Handy und deine Auto-Schlüssel ein, und gehst aus dem Raum, und gehst jetzt den Gang entlang, gehst jetzt den langen Gang entlang, und biegst um die Ecke, und – fuck! – stößt mit einem Kellner zusammen, stößt fast mit einem Kellner zusammen, der – pass doch auf! – jetzt, ein Tablett mit Gläsern in der Hand, um die Ecke biegt, und schreit: fuck! pass doch auf! schreit er, während er an dir vorbeischießt, sodass das Tablett in Schräglage und er ins Stolpern gerät, und du schaust ihm nach, schaust ihm über deine Schulter hinweg nach, und siehst, dass er fallen wird, siehst ganz genau, dass er fallen wird, klarer Fall, dass er fallen wird, dass er fallen muss, weil er vom Gang her im Gang drin immer schräger, und so zur Seite – und bist total überrascht, als er sich wieder fängt, im letzten Moment wieder fängt, das Tablett irgendwie ausbalanciert, und du dich wieder umdrehst und die Schwingtür zur Küche aufstößt, die Schwingtür zur Küche mit beiden Händen jetzt vorsichtig aufstößt, und: Dampf! siehst,
KNABE wie die Freude über eine Eisenbahn Dampf!
CHAUFFEUR Dampf, siehst du, du siehst Dampf,
KNABE Dampf!
CHAUFFEUR was also heißt, dass du gar nichts siehst, du siehst rein gar nichts, außer eben: / Dampf!
KNABE Dampf!
CHAUFFEUR siehst du, aber nicht deine Frau, die du jetzt suchst, in diesem / Dampf
KNABE Dampf!
CHAUFFEUR siehst du sie nicht, deine Frau, aber gerade hier wär das doch jetzt mal möglich, genau hier sollte das doch jetzt klappen, hier müsste das doch jetzt stattfinden, hier müsste das doch jetzt möglich sein: du und sie, ihr beide allein zu zweit, in aller Ruhe, und schaut euch in die Augen, und fasst euch bei den Händen, und sie sagt, was sie meint, und du sagst, was du meinst, und du sagst so etwas wie: Hier bist du?
KNABE zur Köchin und sie sagt:
KÖCHIN schwach Und sie sagt: –
KNABE Klar bin ich hier. Warum fragst du?
KÖCHIN schweigt
CHAUFFEUR Klar bin ich hier. Warum fragst du?
KÖCHIN Klar bin ich hier.
CHAUFFEUR Warum fragst du?
KÖCHIN Warum fragst du?
CHAUFFEUR Weil ich nochmal weg muss, sagt er, wortkarg, wie er ist, und verschweigt die Zigarre, also muss sie fragen,
KÖCHIN schweigt
CHAUFFEUR also muss sie fragen,
KNABE und sie fragt:
KÖCHIN und sie fragt: Er kommt doch mit dem Hubschrauber? fragt sie zurück,
CHAUFFEUR worauf er sagt: Ich hol nicht ihn. Ich hol bloß seine Lieblings-Zigarre. Zur Feier des Tages – was ihr die Gelegenheit gibt zu fragen:
KÖCHIN Was feiern wir eigentlich? fragt sie.
CHAUFFEUR Er soll begnadigt worden sein.
KÖCHIN Begnadigt?
CHAUFFEUR Von irgendeinem hohen Tier.
KÖCHIN Wer?
CHAUFFEUR Ich weiß nicht. Ein Politiker. Hat was unterschrieben. Alle Anklagen gegen ihn sind fallengelassen.
KÖCHIN Ich wusste nicht, dass er angeklagt ist.
CHAUFFEUR Du, wann kommst du hier weg?
KÖCHIN Sechs, halb sieben.
CHAUFFEUR Wie lange kann Betty heute?
KÖCHIN Bis um sieben.
CHAUFFEUR Dann ist ja alles gut. Bis sieben bin ich auch zu Hause. Spätestens.
KÖCHIN Okay, bis später. Fahr vorsichtig, ja?
CHAUFFEUR Klar – könnte er dann zu seiner Frau sagen, oder: Mach ich – so könnte es sein, so könnte es ablaufen, und mit leichten Schritten würde er jetzt gehen – aber stattdessen stehst du hier im –
KNABE Dampf!
CHAUFFEUR und siehst rein gar nichts, und schon gar nicht deine Frau, und jetzt gehst du zum Wagen, und während du zum Wagen gehst, merkst du, dass du noch aufs Klo musst, eigentlich müsstest du noch aufs Klo, aber so schlimm ist es nicht, ganz so schlimm ist es nicht, das hat Zeit, denkst du, das kann warten, denkst du, das muss warten, denkst du, erst die Zigarre, dann das Klo, und jetzt steigst du in den Wagen und fährst los.
3. SZENE
KNABE leise Nein.
KÖCHIN schweigt
KNABE Sag es.
KÖCHIN leise Nein.
KNABE Lauter.
KÖCHIN Nein! Warum kann ich nicht nein sagen?!
KNABE Nochmal von vorn.
KÖCHIN Nein. Nein! Warum kann ich nicht nein sagen?! – fragst du dich, und drückst den Anruf weg, und schaust auf die Uhr, und du weißt: du musst bald gehen, du weißt, dass du bald gehen musst, dass du eigentlich bald gehen müsstest, nach Hause gehen müsstest, und darum verstehst du nicht, warum du ja gesagt hast, warum du grade ja gesagt hast, ein ganzes Essen mit Buffet bis um acht, das ist nicht zu schaffen, das ist nicht zu machen, jedenfalls nicht in der Zeit, und selbst wenn es zu schaffen, selbst wenn es zu machen wäre, musst du um sechs hier los, musst du um sechs hier weg, spätestens um halb sieben, musst um sieben zu Hause sein, um deiner Tochter was zu kochen, musst um sieben zu Hause sein, weil der Babysitter nicht länger kann – und jetzt weißt du, was du tun musst, jetzt weißt du, dass du nein sagen musst, einfach nein sagen musst, und also rufst du zurück, und also drückst du auf eingegangene Anrufe, und hörst das Tuten, drin im Telefon jetzt das Tuten, und hörst, wie dein Vorgesetzter sagt: gut, dass du anrufst, sagt er, dein Vorgesetzter, ich wollte dich auch grade anrufen, sagt er, dein Vorgesetzter, worauf du ja? fragst, indem du mit dem „a“ von ja hinten hoch gehst, und er dir sagt, dass du den Hummertatar fürs Vorspeisen-Buffet unbedingt machen sollst, dass du den Hummertatar mit Wasabi-Tapioka auf ausdrücklichen Wunsch, er spricht die beiden Worte „ausdrücklichen“ und „Wunsch“ besonders klar aus, sodass er sie besonders stark betont, dein Vorgesetzter, wenn er jetzt sagt, dass der Hummertatar mit Wasabi-Tapioka keinesfalls, auch „keinesfalls“ betont er, keinesfalls auf dem Vorspeisen-Buffet fehlen dürfe, da er dies ausdrücklich gewünscht hätte, worauf er dich, du weißt gar nicht wie dir geschieht, wiederholen lässt, dass du selbstverständlich den Hummertatar mit Wasabi-Tapioka nicht vergessen wirst, und dass du dir, du wiederholst es, bewusst bist, was das für ihn für eine Nachricht ist, dass dir klar ist, was heute für ihn für ein Tag ist, vielleicht der wichtigste Tag in seinem Leben, ganz bestimmt der wichtigste Tag des Jahres, dass dir also klar ist, welche Verantwortung in deinen Händen liegt, und dir auch bewusst bist, dass er sich erkenntlich zeigen wird, wenn heute alles zu seiner besten Zufriedenheit, die vier Worte „zu seiner besten Zufriedenheit“ singt er beinahe, dein Vorgesetzter, wenn heute Abend alles zu seiner besten Zufriedenheit abläuft, was du sofort bejahst, was du sofort bestätigst, worauf dein Vorgesetzter enttäusch mich nicht sagt, enttäusch mich nicht, sagt er, dein Vorgesetzter, und du sagst: nein, sagst endlich nein, und er hängt auf – und jetzt stehst du hier und schaust auf deine Uhr, und fragst dich, ob das zu schaffen ist, und du weißt nicht, ob das zu schaffen ist, du weißt wirklich nicht, ob das zu schaffen ist, aber du weißt auch: es ist zu schaffen, ist eben schon zu schaffen, weil es andere auch geschafft haben, es andere vor dir geschafft haben, und so eine Chance kommt nie wieder, der Küchen-Chef weg, und jetzt picken sie dich, von allen Möglichkeiten picken sie dich: vermassel das nicht, denkst du, du denkst: vermassel das nicht, und du schließt deine Augen, und siehst –
KNABE und siehst?
Die KÖCHIN will fliehen, kommt aber aus dem Bannkreis der Knaben nicht heraus.
KNABE du schließt deine Augen
KÖCHIN flehend Bitte.
KNABE du schließt deine Augen, und siehst
KÖCHIN schweigt
KNABE und siehst
KÖCHIN die Sellerie-Blutorangen-Suppe –
KNABEN mit?
KÖCHIN mit Chili-Öl und Gurkenheu,
KNABE du siehst
KÖCHIN siehst die Fenchelsuppe mit Couscous und Kirschtomaten, siehst die Bouillabaisse, den Fleischtopf, siehst die Gemüse-Bouillon mit Shitakepilz-Frittaten, siehst die Gurkenkaltschale, die Gurkenkaltschale mit Pai-Mu-Tan-Melonen-Tee,
KNABEN Weiter.
KÖCHIN du siehst das Zitronengras-Süppchen mit Jakobsmuscheln, die Apfel-Karotten-Suppe mit Prosecco, du siehst den Lattich-Salat, den Linsensalat, siehst den warmen Linsensalat mit gegrilltem Schafskäse im Speckmantel,
KNABE Gut.
KÖCHIN du siehst den bunt gemischten Blattsalat mit Cherrytomaten und gerösteten Pinienkernen, siehst den Pulposalat mit grünen Bohnen, du siehst das Karotten-Parfait, siehst die Brosche vom Oktopus, siehst die Ziegenfrischkäse-Mohnrolle mit Feldsalat und Avocado-Crostini, du siehst den Zander, gebraten auf Lauch-Fonduta, siehst den Loup de Mer, den hausgebeizten Loup de Mer, siehst die knusprige Rotbarbe auf Zitronen-Risottino, dazu Calamaretti „minute“ mit Artischocken, du siehst den Parmaschinken im Kräuterfocaccia, die Prättigauer Wild-Terrine, siehst die Trilogie von der Gänseleber mit Passionsfrucht, du siehst die Lasagnetta von Crevetten mit Zucchini und Granatapfel, du siehst den Alpenlachs im Crêpemantel mit Dill-Senf-Sauce, siehst das Forellenfilet, das im Apfelholz geräucherte Forellenfilet mit knusprigen Kresse-Cannelloni und Tabouleh, du siehst den gebeizten Saibling mit Rote Beete-Panzanella und Fenchelcreme, du siehst die Linsen-Pfefferminzmarmelade, siehst die Marroni, siehst das Feigen-Chutney, du siehst das süße Maispüree, und du siehst: den Hummertatar mit Wasabi-Tapioka auf Gurken-Granatapfel-Relish und Tabouleh, siehst natürlich den Hummertatar mit Wasabi-Tapioka auf Gurken-Granatapfel-Relish und Tabouleh,
KNABEN klatschen begeistert in die Hände
KÖCHIN und du weißt, es ist zu schaffen, und du weißt: du wirst das schaffen, und plötzlich –
KNABE plötzlich?
KÖCHIN plötzlich ist sie da: die Lust auf eine Zigarette, die alte Lust auf eine Zigarette, seit Wochen hattest du keine Lust auf eine Zigarette, seit Monaten hattest du keine Lust auf eine Zigarette, aber jetzt hast du Lust auf eine Zigarette, und du klatschst in die Hände, und denkst: natürlich ist das zu schaffen, und du fängst jetzt an –
KNABE (vorsichtig) du fängst / jetzt an
KÖCHIN Du fängst jetzt an!
4. SZENE
KNABE Bitte wie?
CHAUFFEUR fragst du, du fragst, bitte wie?, und siehst die grauen Augenbrauen, siehst die Lesebrille, die goldene Lesebrille mit dem roten Brillenband, siehst den dünnen Hals, den leicht zur Seite geneigten Kopf des Verkäufers, der jetzt nickt, abermals nickt, und sein Nein von vorhin bestätigt, während du, Sie haben sie nicht hier? fragst, schon zum zweiten Mal Sie haben sie nicht hier? fragst, worauf er nickt, der Verkäufer, und: tut mir leid sagt, tut mir wirklich leid, sagt er jetzt, und hätten Sie vorher angerufen, sagt er, er sagt hätten Sie vorher angerufen, dann hätte ich Ihnen das gleich gesagt, meint er freundlich, aber du hast nicht vorher angerufen, hast nicht vom Wagen aus angerufen, obwohl du vorhattest vom Wagen aus anzurufen, du hast vergessen vorher anzurufen, und stehst jetzt hier, stehst kurz vor Ladenschluss hier und hörst, wie der Verkäufer: tut mir leid sagt, tut mir wirklich leid, sagt er, was aber kein Problem sei, weil sie sie bestellen könnten, weil sie sie binnen 24 Stunden hier haben könnten, worauf du: das geht nicht sagst, das geht nicht, sagst du jetzt, weil es nicht geht, weil du sie jetzt brauchst, weil du sie heute Abend brauchst, während er: heute Abend ist leider nicht möglich sagt, er sagt: heute Abend ist leider nicht möglich, sagt er, dann aber drei spanische Namen ausspricht, und sagt, dass sie diese Zigarre hier hätten, dass sie quasi die kleine Schwester der gewünschten Zigarre hier hätten, nur für einen Experten, sagt der Verkäufer, wobei sich seine Augenbrauen-Grübchen wieder plätten, nur für einen ausgekochten Experten wäre ein Unterschied überhaupt zu merken, worauf deine beiden Hände – nein-nein – empor schnellen und abwinken, und du nein-nein sagst, und nochmals nein-nein wiederholst, Experte hin, kleine Schwester her, du bräuchtest, und sprichst die drei spanischen Namen aus, du bräuchtest diese Zigarre, und keine andere, und jetzt spürst du, wie du nach seinem Handgelenk greifst, und ihn bei der Hand packst, ihn über den Tresen hinweg bei der Hand packst und sagst: bitte helfen Sie mir, ich brauche diese Zigarre, ich brauche genau diese Zigarre, ich brauche sie, und ich brauche sie noch heute!
5. SZENE (Chor)
– Wenn Sie ein Clown wären, was für ein Clown wären Sie?
– Ist das eine gute Frage?
– Wenn Sie ein Tier wären, was für ein Tier wären Sie? Ist das eine gute Frage?
– Und was steht da auf dem Stein?
– Da am Ufer steht ein Stein.
– Wenn Sie ein Tier wären, wären Sie dann: a) ein Waschbär, oder: b) eine Honigbiene, oder: c) ein Stachelschwein?
– Ist das eine gute Frage? – Begründen Sie Ihre Antwort.
– Das Fumoir ist am Ende des Ganges.
– Vermeiden Sie in Ihrer Antwort Helvetismen. – Eine Tasse Tee?
– Wenn ein Zug um 22.30 Uhr in Basel losfährt, aber erst um 5.17 Uhr in Chiasso ankommt, ist seine Durchschnittsgeschwindigkeit dann so niedrig, weil er: a) mit sehr schwerem Material beladen ist?
– Oder fährt er: b) so langsam, weil er dann weniger Geräusche macht?
– Oder konnte: c) eine Lokomotive der Reichsbahn nicht mehr leisten?
– Kennen Sie das: man ist auf einem Wanderweg, ein Wanderweg schlängelt sich den Berg hoch, und man geht den Weg entlang, und steigt höher und höher, bis man oben über die Kuppe tritt und plötzlich vor einem See steht;
– ein Bergsee, spiegelglatt, blau,
– türkis,
– und klar,
– und man blickt hinein in den Bergsee, und man sieht die Steine und man sieht die Fische, und plötzlich sieht man diesen Würfel: 20 auf 20 auf 20 Meter.
– Bitte einmal hier
– und einmal hier unterschreiben.
– Und jetzt sehen Sie: der Würfel ist aus purem Gold.
– Mehr gibt es nicht auf der Welt: bloß diesen einen Würfel.
– Noch etwas Zucker in Ihren Tee?
– Wenn alles Gold der Welt zusammengenommen einen Würfel mit der Kantenlänge von 20 auf 20 auf 20 Metern gibt: wie lange wäre dann die Kantenlänge des Würfels aus Blut, das dafür vergossen worden ist? Ist sie: a) zehn Meter, oder: b) 100 Meter, oder: c) 1000 Meter?
– Möchten Sie das Schließfach bei uns behalten?
– Gehen Sie für Ihre Berechnung für einen erwachsenen Menschen von einem durchschnittlichen Blutvolumen von fünf Litern aus.
– Und benutzen Sie für Ihre Antwort die Formel.
– Unbedingt: Benutzen Sie die Formel!
6. SZENE KNABE
klatscht die Köchin mit einem lauten Clap ins Spiel
KÖCHIN Als wolltest du böse Geister vertreiben, klatschst du in die Hände, du klatschst in die Hände, als wolltest du böse Geister vertreiben, nachdem du: wir machen es möglich gerufen hast, du hast: wir machen es möglich gerufen, und sie haben dir zugerufen, nickend zugerufen, die ganze Küchenbrigade genickt und zugerufen, und während du noch einmal klatschst, als ob du böse Geister – also an die Arbeit! – vertreiben wolltest, rufst du jetzt: also an die Arbeit, und während sie an die Arbeit gehen, hältst du einen Moment inne, und denkst an deine Tochter –
KNABE und siehst den Saucier
KÖCHIN und siehst den Saucier auf dich zukommen, und hörst ihn Perigord-Trüffel-Jus und Harissa sagen, und hörst dich Preiselbeer-Chutney und Tzatziki sagen, und siehst ihn an die Arbeit gehen, und siehst den Entremetier auf dich zukommen, und hörst ihn Broccoli und Tamarinde sagen, und hörst dich Taglierini und Brunnenkresse sagen, und siehst ihn an die Arbeit gehen, und spürst plötzlich das Vibrieren,
KNABE und siehst den Pâtissier
KÖCHIN auf dich zukommen, und hörst ihn Macarons und Eclair sagen, und hörst dich Crème Brûlée und Mousse au Chocolat sagen, und siehst ihn an die Arbeit gehen, und spürst noch immer das Vibrieren –
KNABE und siehst!
KÖCHIN den Rôtisseur auf dich zukommen, und hörst ihn Kobe-Rind und Königstaube sagen, und hörst dich Lamm-Gigot und Hirsch sagen, und während das Vibrieren aufhört, siehst du ihn an die Arbeit gehen –
KNABE und siehst den Hors d‘oevrier
KÖCHIN auf dich zukommen, und hörst ihn Onsen-Ei und Butter-Nuss-Kürbis sagen, und hörst dich, während du auf dein Handy schaust,
KNABE Serrano-/Schinken und Wrap!
KÖCHIN Schinken und Wrap sagen, und siehst die Nachricht vom Babysitter,
KNABE und!
KÖCHIN siehst ihn an die Arbeit gehen –
schweigt.
KNABE wo bleibt ihr denn?!!? steht da
KÖCHIN da steht, wo bleibt ihr denn?!!?
KNABE und siehst den Poissonier!
KÖCHIN auf dich zukommen, und hörst ihn Thunfischtatar und Seeteufel sagen, und hörst dich Forellenfilet und Fischfond sagen, und weißt nicht, was das heißen soll, und siehst ihn an die Arbeit gehen, und weißt nicht, was das heißen soll,
KNABE und siehst!
KÖCHIN den Sous-Chef auf dich zukommen, und hörst ihn Ossobucco und Gremolata sagen, und hörst dich Poulet Cassoulet sagen, und weißt nicht, was das heißen soll,
KNABE und weißt nicht
KÖCHIN was das heißen soll.
KNABE und weißt nicht, was das heißen soll.
KÖCHIN und weißt nicht, was das heißen soll.
7. SZENE
CHAUFFEUR Bitte entschuldigen Sie, rufst du, du rufst: bitte entschuldigen Sie, während du mit dem Knöchel des Mittelfingers deiner rechten Hand leise aber bestimmt gegen die silbrig glänzende Metalltür pochst, entschuldigen Sie bitte, sagst du jetzt etwas lauter, rufst es fast schon, rufst es durch die Metalltür, und fügst an, ich habe es wirklich eilig, fügst du an, und wendest nun deinen Kopf, und drückst dein rechtes Ohr gegen die Klotür, spürst die Kälte des Metalls auf dem äußeren Rand deiner Ohrmuschel, und fragst dich, ob das Musik ist, was du hörst, ganz leise durch die Tür hörst, fragst dich, ob da jemand mit Kopfhörern auf dem Klo sitzt und Musik hört, und sitzt und Musik hört, und sitzt und hört, und noch immer sitzt und hört und alle Zeit der Welt, aber auf jeden Fall: dich nicht hört, gar nicht hört, wie du jetzt – Bitte! – lauter gegen die Tür pochst, und: Bitte! rufst, aber keine Antwort bekommst, und jetzt deinen Kopf hin zu den Pissoirs wendest, und dir überlegst, ob du vielleicht ins Pissoir?, Papiertücher hätte es ja, vorne beim Spülbecken wären Papiertücher, und stellst dir vor: die schwarze Anzugshose unten um die Knie, und du, wie du dich setzt, dich hinsetzt auf eines der Pissoirs, dich hinzusetzen versuchst auf eines der Pissoirs, in der Hand die Papiertücher, vielleicht ginge es ja, also gehst du zum Spülbecken und greifst hinein in den Schlitz, und holst dir Papiertücher, einen ganzen Packen Papiertücher, und grade als du den Packen mit Papiertüchern heraus nimmst, hörst du Stimmen, und du streckst deinen Kopf aus der Tür, streckst deinen Kopf heraus aus dem Raststätten-Klo, und siehst den Bus auf dem Parkplatz, ein blauer Reisebus mit orangen Buchstaben, siehst die Leute, die aus dem Bus herausströmen, siehst ihre bunten Verkleidungen, siehst einen Pirat neben einem Engel, siehst Charlie Chaplin, siehst eine Spinne mit acht Beinen, siehst einen Clown, wie er aussteigt und einen roten Ballon hinter sich herzieht, und schaust auf den Clown, und siehst wie sie lachen, sich strecken, siehst wie sie Selfies machen, siehst eine Gruppe langsam auf dich zukommen, und stapfst über die Wiese, zurück zum Wagen, stapfst vorbei am Abfalleimer, fuck, vorbei am Glas-Container, vorbei an der Grillstelle, stapfst – fuck – mit gesenktem Kopf zwischen den verkleideten Leuten hindurch, fuck, den Packen mit Papiertüchern noch immer – fuck – in deiner Linken, und als – fuck – vor dir der Wagen auftaucht, bemerkst du, dass du fuck sagst, dass du alle paar Schritte fuck sagst, dass du fuck vor dich hin sagst, den ganzen Weg über hast – fuck– du schon fuck gesagt, und du steigst in den Wagen und setzt dich, und als die Tür zu ist sagst du: fuck! – und fährst los.
8. SZENE
KNABEN Augenblick!
KÖCHIN Nur einen Augenblick, sagst du, du sagst, nur einen Augenblick, und gehst in die Garderobe, und siehst drei Kollegen in der Garderobe, und winkst und nickst ihnen zu, und drehst dich um und gehst wieder, und gehst einen Gang entlang, zögerst: öffnest die Tür und gehst hinein und stehst jetzt in der Gefrierkammer – und drückst auf Betty und stützt dich mit der linken Hand ab auf einem Pack mit Geflügelfleisch, und sprichst mit ihr: Betty? – Hallo! – Er ist nicht zu Hause? – Nein. – Nein, er hat heute Abend nicht Dienst. – Ich arbeite heute länger. Ja. – Wie lange könntest du denn? – Aha. – Verstehe. – Ja, du. Klar. – Ich ruf ihn an. – Sicher. – Wir kriegen das hin. – Ich melde mich. Bis gleich. Ja. Danke. Tschau. –
KNABE Und du wählst
KÖCHIN Und du wählst die Nummer deines Mannes, du schließt deine Augen, und atmest ein, und spürst die Kälte in deinen Lungen, und jetzt geht die Tür auf, die Tür von der Gefrierkammer geht auf: und du siehst den Confiseur auf dich zukommen, und hörst ihn Mango-Crème-Küchlein und Ananas-Luft-Schokolade sagen, hörst dich Zwetschgen-Crumble und Tabak-Eis sagen, und siehst ihn an die Arbeit gehen, und folgst – hast du mir ne Zigarette? – ihm nach, und er sagt, lass uns eine rauchen gehen, lass uns schnell eine rauchen gehen, und du drückst den Anruf weg, und du gehst eine rauchen.
9. SZENE (Chor)
– Mein Name ist Wilhelm. Richtig oder falsch?
– Sein Name ist Eugen.
– Nein: Ivan. Richtig oder falsch?
– Wir fühlen uns wie zu Hause. Richtig oder falsch?
– Er poliert das Silber. Richtig oder falsch?
– Er mag Schokolade. Richtig oder falsch?
– Einer von uns hat einen Goldzahn. Richtig oder falsch?
– Sein Lächeln ist aus Plastik. Richtig? Falsch?
– Meine Wangen sind kupferrot. Richtig oder falsch?
– Jemand von Ihnen trägt eine Nickelbrille. Richtig oder falsch?
– Hinter dem Gipfel gibt es einen See, und an dem See gibt es eine Höhle, und in der Höhle lebt ein Kobold. Richtig oder falsch? – Don‘t fuck the office. Richtig oder falsch?
– Einer von uns spielt mit gezinkten Karten. Richtig oder falsch?
– Beim Hobeln fallen Späne. Richtig oder falsch?
– Lage, Lage, Lage.
– Richtig oder falsch?
– Hier wird für Sie gebaut. Richtig oder falsch?
– Ihre Meinung ist uns wichtig. Richtig oder falsch?
– Apartheid ist halb so wild.
10. SZENE
CHAUFFEUR Was soll das heißen?, fragst du, du fragst, was soll das heißen, und siehst den Scheibenwischer hin und her, die Lichter sich spiegeln im Asphalt, den Lastwagen vorbeiziehen, auf der rechten Fahrbahn an dir vorbeiziehen, und drückst dein Handy stärker ans Ohr, während du, die Verwunderung ist nicht gespielt, du bist noch nicht zu Hause? fragst, deine Frau du bist noch nicht zu Hause? fragst, indem du „ause“ hinten hochziehst, und auf die Uhr schaust, und siehst, dass es halb acht ist, um gleich anzufügen, dass du nicht zu Hause seist, absolut gar nicht zu Hause seist, vielmehr das reine blanke Gegenteil von zu Hause seist: du mit 130 Sachen auf der Autobahn Richtung Bodensee seist, wo ein Zigarrenverkäufer nach Ladenschluss auf dich warten würde, extra auf dich warten würde, weil du – so eine Scheiße! – schreit deine Frau jetzt ins Telefon und unterbricht dich dabei, wie du soeben die drei spanischen Namen aussprechen willst, die drei spanischen Namen wolltest du aussprechen, und sie schreit: so eine Scheiße,
KNABE Stille.
CHAUFFEUR Ja, jetzt – er hat den Faden verloren
KNABE und jetzt ist es still –
CHAUFFEUR Ja.
KNABE und in der Stille hörst du den Motor.
CHAUFFEUR und in der Stille hörst du den Motor. Hörst das Atmen deiner Frau – und was sollen wir jetzt machen? fragt deine Frau, deine Frau fragt: was sollen wir jetzt machen?, und du weißt es nicht, du weißt es wirklich nicht, ich rufe Betty nochmal an, sagt deine Frau jetzt, dann muss sie halt länger, sagt deine Freu jetzt, und du sagst, ja, gut, nur ja, gut, sagst du, und hörst, wie sie den Anruf beendet, und erhöhst die Geschwindigkeit des Wagens ganz langsam auf 150 Stundenkilometer.
11. SZENE
KNABE So eine Scheiße
KÖCHIN rufst du, du rufst: so eine Scheiße, und jetzt ist es still – und in der Stille hörst du den Motor vom Kühlaggregat. Hörst Geräusche aus der Küche. Das Scheppern eines Deckels. Hörst dein eigenes Atmen. Hörst das Atmen deines Mannes –
KNABE und was sollen / wir jetzt machen
KÖCHIN wir jetzt machen? und denkst an deine Tochter, und denkst an Betty, und sagst jetzt: ich rufe Betty nochmal an, sagst du jetzt, dann muss sie halt länger, sagst du jetzt, und drückst den Anruf weg, und weißt, du musst zurück zur Arbeit, aber nachher, sobald es möglich ist, nachher rufst du Betty an, sobald es möglich ist, und als du die Tür der Gefrierkammer öffnest –
KNABE kommt die Lust
KÖCHIN kommt die Lust nach einer Zigarette, aber jetzt hast du keine Zeit –
KNABE und du gehst
KÖCHIN und geht zurück an die Arbeit.
12. SZENE (Chor)
– Schlagen Sie das Buch auf Seite 194 Schrägstrich 95 auf.
– Betrachten Sie die Darstellung des Prozesses auf der Abbildung 1.
– Auf der rechten Seite.
– Sie müssen nachher in der Lage sein, die drei Schritte – Fraktionierung, Konversion, Behandlung – in eigenen Worten zu beschreiben.
– Sie kennen außerdem die Begriffe: Naphtha, Coker Naphtha und Caustic Washing.
– Eine Erläuterung des Begriffs Oktanzahl,
– und Oktanzahlerhöhung,
– finden Sie im roten Kästchen auf der nächsten Seite.
– Lesen Sie dann den Artikel der New York Times.
– Lesen Sie, genau, diesen Artikel, und wenn Sie mögen: markieren Sie sich wichtige Stellen für die Diskussion.
– Auf den Kopien finden Sie eine Karte. Nehmen Sie einen Stift und zeichnen Sie die Stationen der im Text beschriebenen Odyssee nach.
– Zeichnen Sie Pfeile.
– Konsultieren Sie einen Atlas.
– Oder suchen Sie im Internet nach der geografischen Lage von:
Cadereyta
Brownsville
La Skhirra
Paldiski
Malta
Augusta
Gibraltar
Amsterdam
Lagos
Abidjan, und:
Slovag.
– Ziehen Sie anschließend Ihre Kleider aus und legen Sie sich nackt auf den Boden.
– Schließen Sie Ihre Augen,
– schließen Sie beide Augen,
– denken Sie an die Toten.
– Denken Sie an die Toten und schweigen Sie. –
– Leihen Sie den Toten Ihre Stimme.
– Versuchen Sie es.
– Es wird nicht funktionieren,
– es wird nicht möglich sein,
– es wird völlig unmöglich sein,
– tun Sie‘s trotzdem
– tun Sie‘s deswegen.
13. SZENE
KÖCHIN Ich flehe dich an, bitte nicht, sagst du, und gibst dem Kellner ein Zeichen, während Betty
KNABE unmöglich sagt, sie sagt, schlicht unmöglich, und steigt in ihren linken Schuh,
KÖCHIN es ist deine Aufgabe, sagst du, es ist deine Verantwortung, sagst du, du musst bei ihr bleiben,
KNABE sieben Uhr war ausgemacht, sagt Betty, auf sieben Uhr habe ich mich eingestellt, und steigt in den anderen Schuh,
KÖCHIN wir haben uns letztens über eine Erhöhung deines Stundenlohns unterhalten, Betty, sagst du und machst dich auf den Weg zum Entremetier, und musst jetzt etwas auf die Antwort warten – Sag mir, wie viel du brauchst, vergiss deine Verabredung, heute nicht, heute Abend nicht, ich zahle es dir.
KNABE Nein, sagt sie, unmöglich, sagt sie, heute nicht, sagt sie, heute Abend nicht.
KÖCHIN Sie ist fünf! Ich weiß nicht, wann er nach Hause kommt! Das kannst du nicht machen!
KNABE Doch. Sag früher Bescheid. Schick ihn her.
KÖCHIN Gib ihr zu Essen!
KNABE Hab ich. Da sind Kekse, da ist Brot, ein Apfel, da sind Sachen.
KÖCHIN ICH HASSE DICH! FAHR ZUR HÖLLE! –
Betty? – Betty? – BETTY?!
14. SZENE
CHAUFFEUR Bin gleich zurück, sagst du, du sagst, bin gleich zurück, während du den Laden verlässt und zurück zum Wagen gehst, zurück zum Wagen rennst, und die rechte Hand gegen deinen Bauch drückst, weil die Magenschmerzen wieder stärker sind, und du die Tür aufreißt, und jetzt siehst, dass es nicht auf dem Nebensitz liegt, das Portemonnaie liegt nicht auf dem Nebensitz, und jetzt schreist, die Scheibe anschreist, und dich siehst, dein Gesicht in der Scheibe siehst, und siehst, wie du verschwindest, weil die Scheibe jetzt beschlägt, wie mit Dampf jetzt beschlägt, und jetzt schlägst du ein auf die Scheibe, schlägst mit voller Wucht ein auf die Scheibe – – und dann stehst du wieder im Laden, und sagst: ich werde morgen zahlen, morgen zahl ich, und er sagt: das ist bei dem Preis leider nicht möglich, und du sagst: ich lasse Ihnen etwas hier, ich lasse Ihnen ein Pfand hier, und hältst ihm deine Armbanduhr hin, deine Armbanduhr, die dir deine Frau zu Weihnachten geschenkt hat, und er schaut ungläubig, und zögert, und greift dann nach der Uhr, und wiegt sie in der Hand, und schaut sie näher an, und du greifst nach der Zigarren-Kiste, drehst dich um, und rennst aus dem Laden, rennst zum Wagen, reißt die Tür auf, setzt dich ans Steuer –
KNABE und siehst
CHAUFFEUR schweigt
KNABE und siehst
CHAUFFEUR und siehst: Konfetti auf der Windschutzscheibe, bunte Konfetti auf der Windschutzscheibe, die ganze Windschutzscheibe voller Konfetti, und du startest den Motor, und siehst, wie der Scheibenwischer die Konfetti nach links und nach rechts, und nach links und nach rechts wischt, und jetzt legst du die Zigarren-Kiste auf den Nebensitz, und fährst los.
15. SZENE
KNABE Du musst sie holen
KÖCHIN Ich kann nicht mehr.
KNABE Du musst sie holen
KÖCHIN Aufhören, bitte.
KNABE Du musst sie holen, sagst du – nachdem du geschrien hast.
KÖCHIN Schreit. Dann: Du musst sie holen, sagst du – und du streifst die Asche am Aschenbecher ab, und sagst: Du musst sie holen. Du musst sie herholen.
CHAUFFEUR Ich kann sie nicht holen, sagst
du: Du musst sie holen, und musst einen Moment auf ihre Antwort warten,
KÖCHIN weil du erst den Rauch gegen das Tourismus-Plakat bläst, bevor du sagst: Ich kann sie nicht holen, ich kann hier nicht weg.
CHAUFFEUR Kann ich hier weg?! sagst du, und siehst die Nebelschwaden,
KÖCHIN es ist elf, sagst du, und drückst die Zigarette aus, und siehst neben dem Aschenbecher eine rote Pappnase liegen, sie ist seit drei Stunden allein!
CHAUFFEUR Wo soll sie denn da hin, da ist kein Platz.
KÖCHIN Ich muss los, sagst du: Versprich mir, dass du Laura holst. Sag es!
CHAUFFEUR Ich bin zu spät, sagst du, und siehst, dass der Nebel dichter wird.
KÖCHIN Nein, bist du nicht, sagst du, und lässt dir die erste Dessert-Platte zeigen, und sagst: Es ist egal!
CHAUFFEUR Egal? Warum soll es egal sein?, fragst du und drosselst die Geschwindigkeit.
KÖCHIN Er ist noch nicht beim Dessert, sagst du, du hast Zeit, und winkst die ersten beiden Platten durch.
CHAUFFEUR Hab ich nicht, sagst du, und siehst die Rücklichter des Wagens vor dir erst im letzten Moment auftauchen.
KÖCHIN Verdammt, wenn ich doch sage: er ist noch nicht beim Cognac, sagst du und winkst wieder zwei Platten durch, ich muss Schluss machen, du musst sie holen. Hol sie!
CHAUFFEUR So eine Scheiße! –
KNABEN sagst du
CHAUFFEUR sagst du, und fährst weiter, fährst weiter auf der Autobahn und siehst nichts, und fährst weiter, fährst weiter im Nebel – und jetzt siehst du deine Tochter, das Zimmer deiner Tochter, auf dem Boden verstreut die Spielsachen, das Zimmer im Dunkeln, und im Bett deine Tochter, allein deine Tochter, und neben dem Bett: steht ein Clown, ein Clown steht neben dem Bett und beugt sich über das Bett, und schaut herunter auf deine Tochter, das siehst du jetzt, das siehst du.
16. SZENE (Chor)
– Was ist der Mensch? Ist das eine gute Frage?
– Warum sind Pferde so anmutig? Ist das eine gute Frage?
– Und wofür steht der Clown?
– Ist das eine gute Frage?
– Warum weiße Handschuhe? Und ist Gewalt eine Lösung?
– Ist Milchpulver eine Lösung?
– Ist das Böse nur ein Wort? Sind die Meere leergefischt?
– Lügt die Suppe?
17. SZENE
KNABE Bin schon unterwegs, sagst du
CHAUFFEUR schweigt
KNABE du sagst: bin schon unterwegs
CHAFFEUR widerwillig Bin schon unterwegs, sagst du
KNABE du sagst: bin schon unterwegs – Sag es.
CHAUFFEUR Bin schon unterwegs, sagst du,
du sagst: bin schon unterwegs
KNABE und du bist schon unterwegs, bist fast schon unterwegs
CHAUFFEUR schweigt
KNABE Nochmal von vorn.
FINE
Die Aufführungsrechte liegen beim Suhrkamp Theater Verlag, Berlin.