Theater der Zeit

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Essay

Fließende Zukunft

Choreografie als Modell des Miteinanders

von Paraskevi Tektonidou

Erschienen in: And here we meet: Choreography at the edge of time – Alexandra Waierstall (06/2025)

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Alexandra Waierstalls choreografisches Schaffen setzt sich intensiv mit dem Miteinander, Austausch, Freiheit und Fürsorge auseinander. Ihre Arbeit veranschaulicht, inwiefern Choreografie als Modell dafür dienen kann, eine neue Denkweise zu entwickeln – in Bezug auf soziales Miteinander, gegenseitige Anerkennung, kollektives Handeln und eine zukunftsorientierte Ethik von Fürsorge. Ihre Arbeiten, die sich vor dem Hintergrund eines von Bojana Cvejic und Hannah Arendt beeinflussten, philosophischen Diskurses um zeitgenössische Kunstpraktiken einordnen lassen, sind sowohl ästhetisch ansprechend als auch zutiefst sozial engagiert. Ihre Performances üben Kritik an gegenwärtigen sozialen Strukturen und entwerfen zugleich alternative Visionen für die Zukunft.

Machtstrukturen in den Darstellenden Künsten

Die Darstellenden Künste obliegen schon lange einer hierarchischen Struktur, in der Choreograf:innen und Regisseur:innen an der Spitze des kreativen Prozesses stehen. Traditionell sind sie diejenigen, die die ursprüngliche Idee entwickeln, Mitarbeitende engagieren – Performer:innen, Dramaturg:innen, Lichtdesigner:innen, Szenograf:innen und Komponist:innen – und die Verantwortung für die Entscheidungen tragen, die das Kunstwerk prägen. Dieses hierarchische System, das noch den Nachhall eines anderen Zeitalters trägt, sorgt oft dafür, dass Verhaltensweisen legitimiert werden, die nicht nur streng und fordernd sind, sondern grob, verletzend und aggressiv. Allerdings hat die MeToo-Bewegung eine notwendige Auseinandersetzung mit dem Erbe von schlechter Behandlung und Machtmissbrauch in den Künsten initiiert. Wir befinden uns nun in einem Moment des Übergangs, der Hinterfragung bestehender Verhältnisse.

Führung überdenken

Dieser Übergang wirft kritische Fragen auf. Benötigt der kreative Prozess zwangsläufig eine Führungskraft? Und umgekehrt: Können rein kollaborative Praktiken ästhetisch überzeugende Ergebnisse hervorbringen? Diese Debatten unterstreichen das dringende Bedürfnis nach alternativen Entwürfen von Führung und neuen ethischen Herangehensweisen an künstlerisches Schaffen. Die Gewährleistung eines sicheren Arbeitsumfeldes, Transparenz, empathische Führungsfähigkeiten und Arbeitsweisen, die das Wohlergehen aller Beteiligten priorisieren, sind nun essenziell.

Alexandra Waierstalls Vorgehensweise ist beispielhaft für diese Grundsätze. Gespräche mit einigen ihrer Tänzer:innen (Ioanna Paraskevopoulou, Scott Jennings, Evangelia Randou, Karolina Szymura) eröffnen einen Schaffensprozess, der ausgeglichen, entgegenkommend, befreiend und fürsorglich ist. Er dient als Ort der Gleichberechtigung, an dem Unterschiede sowohl anerkannt als auch in die Arbeit einbezogen werden, und Selbstvertrauen, Ruhe und Gelassenheit entsteht. Ioanna: „Es liegt eine gewisse Großzügigkeit darin, wie Alexandra sich der Arbeit hingibt. Das führt zu Ausgeglichenheit im Arbeitsprozess. Ihre Arbeit ist sehr offen und auf eine erstaunliche Weise präzise.“ Dieses Paradox lässt sich am besten anhand der Erfahrungen der Tänzer:innen verstehen.

Ioanna: „Ich erinnere mich noch daran, wie ich 2016 das erste Mal an einer Probe teilgenommen habe und Alexandra gesagt hat: ‚Lasst uns einen Durchlauf machen‘. Plötzlich performt man also einen Ablauf von Bewegungen, die man nie richtig geprobt hat. Eine Art Code war schon durch die Tänzer:innen etabliert worden, die zu ihrem festen Team gehören. Jahrelang hatten sie dieses Material mit sich getragen – Alexandras Material und auch ihr eigenes. Meine erste Begegnung bestand darin, einen Code zu beobachten, der nicht konfiguriert oder geordnet war, weder mittels konkreter Werkzeuge noch klar artikulierter Regeln. Er hatte kein spezifisches Vokabular oder eine bestimmte choreografische Handschrift, das den kreativen Prozess unmittelbar nachvollziehbar hätte machen können. Meine erste Erfahrung war also der Versuch, diese Art von abstrakter Bewegung zu beobachten, zu begreifen und zu imitieren, sie in meinen Körper zu integrieren.“


Eine entgegenkommende Herangehensweise in den Proben

In Waierstalls Proben werden Neuzugänge oft mit einem Code konfrontiert, der von Tänzer:innen, die schon lange bzw. kontinuierlich dabei sind, etabliert wurde – ein Vermächtnis, das durch jahrelange Arbeit weitergegeben wurde. Die Integration in dieses sich ständig weiterentwickelnde Gefüge erfolgt nicht durch die Befolgung starrer Regeln oder expliziter Einordnungen, sondern durch die Beobachtung und Aneignung einer fluiden choreografischen Sprache. Ioanna formuliert es folgendermaßen: „Es hat sich so angefühlt, als würde ich das Vermächtnis von früheren Tänzer:innen weitertragen, was faszinierend war. Dieses Vermächtnis hat mir dann meinen eigenen Zugang zu Alexandras Arbeit ermöglicht.“

Die Proben drehen sich um wiederholte Durchläufe, die einen dynamischen Prozess schaffen, in dem Struktur und Offenheit koexistieren. Während die Tänzer:innen performen, finden sie gemeinsam mit Waierstall Timing und Struktur. Um die Unvorhersehbarkeit und Schönheit dieses Schaffensprozesses zu beschreiben, bedient sich Ioanna einer Metapher: „Es ist wie einen Stein ins Wasser zu werfen; man kann nicht vorhersagen, wie viele Kreise sich bilden werden.“ Das Werfen eines Steins, eine Handlung, die so alltäglich ist wie die Probe, verfolgt dabei eine Absicht, die sich mit der Intention der Choreografin vergleichen lässt, die den kreativen Prozess initiiert. Folgt man dieser Analogie, so spiegelt die Wirkung der Kreise – und die Freude daran, ihnen zuzusehen – die Erfahrung derer wider, die die Performance gestalten. In beiden Fällen ist es entscheidend, alles anzunehmen, was auch immer entstehen mag.


Annehmen, was auch immer sich entfaltet

Alles anzunehmen, was sich in den Proben entwickelt, ist eine Kernstrategie in Waierstalls choreografischer Praxis. Sie versucht nie, den Prozess zu kontrollieren oder ihm ihre Ideen aufzudrängen. Stattdessen beeinflusst sie dessen Richtung auf subtile und indirekte Weise. Es liegt bei den Performer:innen, das Material zu formen. Die Choreografin schafft ein Umfeld, in dem alle Vorschläge willkommen sind und nie sofort abgelehnt werden. Sie lässt es zu, dass sich Ideen ganz natürlich über die Zeit hinweg entwickeln und schätzt ihre Wirkung nach zwei oder drei Proben ein. Ab und zu schlägt sie unter Umständen behutsam vor: „Vielleicht funktioniert das hier gerade nicht so ganz.“ Waierstalls Herangehensweise legt den Fokus auf Behutsamkeit als zentrales organisatorisches Prinzip, das mehr als nur die Fürsorge um ihre Mitwirkenden betrifft. Rücksicht und Aufmerksamkeit lenken ihren Schaffensprozess und werden zum grundlegenden dramaturgischen Aspekt. Diese Methode lässt sich vergleichen mit Joan Trontos Begriff der Fürsorge als „Ausdruck der Unterstützung, sowohl eine ethische Verpflichtung als auch eine praktische Notwendigkeit“.1 In Waierstalls choreografischer Arbeit findet Fürsorge ihren Ausdruck in Form von Aufmerksamkeit für andere, um sicherzustellen, dass alle unterstützt werden und niemand übersehen wird. Dieser Ansatz stellt relationale Dynamiken über hierarchische Strukturen.


Relationalität als choreografisches Prinzip

Eine grundlegende Strategie sowie ein Angelpunkt ihres choreografischen Schaffens ist Relationalität. Einer der schönsten Aspekte von Alexandras Praxis ist, wie sie dazu ermutigt, einander auf der Bühne mit Rücksicht und Aufmerksamkeit zu begegnen.

Ioanna: „Dieses Gespür für Rücksichtnahme wird als gemeinsame Praxis kultiviert, weil Alexandra selbst einen Geist der Großzügigkeit verkörpert. Ihre Herangehensweise schafft ein Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit jeder einzelnen Interaktion, dafür, dass jede Berührung und jede Verbindung mit einer anderen Person auf der Bühne von Bedeutung ist. Es hat viel mit Nähe zu tun – Berührung, Umarmung und dem Bedürfnis nach Verbundenheit.“

In HEART MOMENT (2024) entwickeln die Performer:innen dynamische Gruppierungen mit einer gemeinsamen Absicht, indem sie durch synchronisierte Bewegungen wechselseitige Abhängigkeit verkörpern. Die Tänzer:innen entwickeln eine intime Verbundenheit: die Hände in Herzhöhe auf der Brust der jeweils anderen, ein Symbol für Zärtlichkeit und Anerkennung. Diese anfängliche Verbundenheit geht in kraftvolle, sinnliche Bewegungen über, die in Slow Motion performt werden und eine meditative Atmosphäre erzeugen, in der alles zu schweben scheint.2

Die wechselseitige Energie der Tänzer:innen stärkt das kollektive Umfeld, in dem sie kinetische Information frei und verständlich austauschen. Hin und wieder zieht das Tempo an: Dann wirbeln die Performer:innen über die Bühne und es entstehen Momente gemeinsamer Beschwingtheit. In diesen Wechseln tritt das Gleichgewicht zwischen Individualität und Gemeinschaftlichkeit hervor und verdeutlichen, wie Solidarität ein Ergebnis geteilter physischer und emotionaler Anstrengung ist.3


Raum, Kontinuität und Interaktion

Die Arbeit konzentriert sich entscheidend auf den Energieaustausch zwischen Menschen im Raum. Die Performer:innen teilen kinetische Information in einer dynamischen, kinästhetischen Weise, anstelle einer streng strukturierten Methode. Diese Interaktion zwischen den Performer:innen erzeugt Ioanna zufolge das Gefühl, „von der Strömung getragen zu werden“ – ein Fluss, der es den Beteiligten ermöglicht, Orientierung in etwas Veränderlichem und Bindendem zu finden.

Ioanna: „Es passiert sehr viel Bewegung im Raum; man hört auf sein Umfeld und darauf, was die gesamte Gruppe in kinetischer Hinsicht hervorbringt. So tritt ein gemeinsamer Code hervor, der uns, obwohl er nie explizit kommuniziert wurde, zueinander bringt – so als sprächen wir alle dieselbe Sprache. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, was wir für unterschiedliche Hintergründe haben. Sobald dieser Kontext fehlt, streben wir eigentlich in völlig verschiedene Richtungen. Aber mit Alexandra scheint alles stimmig. Ich kann es nicht physisch beschreiben, weil es nicht von einem festen Takt oder strukturierter Choreografie abhängig ist.“

Karolina: „Alles ist aber auch nicht erlaubt – es ist nicht komplett unkontrolliert. Manche Qualitäten werden erwartet und einige Elemente werden von einem ins andere Werk mitgenommen. Ein bisschen so wie Recycling, bei dem das Material einer Sache durch die vorhergehende Sache definiert wird. Strukturell und kinetisch erbe ich etwas von früheren Mitwirkenden, das ich dann wiederum selbst in andere Projekte weitertrage.“

Indem Alexandra Waierstall ihre choreografischen Werke zu einem komplexen Netz aus Kontinuitäten webt, stellt Waierstalls Praxis die kulturell vorherrschende Obsession mit Originalität zur Debatte. Aus ihrer Sicht trägt jede Performance die Essenz der vorherigen und zugleich das Potential für die nächste. In dieser zyklischen Vorstellung vom künstlerischen Schaffensprozess spiegeln sich ökologische Vorgänge der Natur, bei denen Zerfall und Regeneration nicht als entgegengesetzte Kräfte auftreten, sondern als grundlegende Komponenten im Rhythmus des Lebens.4 Dadurch, dass sie ihr Werk als ein lebendiges Ökosystem und nicht als eine Reihe von isolierten Artefakten behandelt, definiert Waierstall den Akt des künstlerischen Schaffens neu – als einen Akt der Verbindung statt des flüchtigen Konsums.5

Indem sie jede Performance als Teil eines großen, vernetzten Ganzen betrachtet, bringt Waierstalls Methode eine ethische Haltung zum Ausdruck. Diese lehnt die extraktive Logik des Neoliberalismus ab, innerhalb derer Ressourcen, Ideen und Menschen oft nur als entbehrliche Objekte im Streben nach Profit gesehen werden. Stattdessen legt Waierstall den Fokus auf Fürsorge, Kontinuität und Wertschätzung vergangener Bemühungen als Fundament für zukünftige Entwicklung. Dieses Ethos fördert ein Verantwortungsbewusstsein bei ihren Mitwirkenden und ermutigt sie so, für sich selbst und andere Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung dient hier als Voraussetzung, für Gleichberechtigung und eine den gesamten Probenprozess durchdringende Verbundenheit. Diese Verbundenheit ist wiederum ausschlaggebend für die befreiende Wirkung, die von vielen Tänzer:innen erwähnt wird.


Freiheit praktizieren

Das Gefühl der Befreiung wird, im choreografischen Mikrokosmos von Waierstalls kreativem Prozess, als ein Zustand der Gleichheit und Unterschiedlichkeit wahrgenommen. Während ihrer Arbeit verkörpern die Tänzer:innen Freiheit als gemeinsame Handlung, die auf Gleichberechtigung und gegenseitiger Aufmerksamkeit basiert. Dies unterstreicht die Idee, dass Freiheit nicht isoliert existieren kann, sondern durch Anerkennung und Zusammenarbeit entsteht, was Hannah Arendts Vorstellung des Konzepts widerspiegelt.6 Arendt vertritt die Auffassung, dass Freiheit zur Erhaltung der gemeinschaftlichen Welt untrennbar mit geteilter Verantwortung verknüpft ist. Waierstalls Herangehensweise an choreografische Prozesse verkörpert diese Ethik, indem sie Freiräume fördert, während sie den Zusammenhalt und das Wohlergehen der Gruppe basierend auf der Diversität der Individuen sicherstellt und es ihnen ermöglicht, den ganzen Vorgang hindurch verschieden zu bleiben, während sie Kompromisse findet, die im Sinne der ganzen Gruppe sind. Ihre Choreografien veranschaulichen, inwiefern Freiheit das Produkt eines gemeinschaftlichen Raumes ist.

Raum ist ein entscheidendes Element in Waierstalls Arbeiten, das als Plattform für die Ausübung von Freiheit und das Sichtbarwerden von Verbindungen dient. Waierstall organisiert sorgfältig das physische Umfeld, um Begegnungen und den Austausch zwischen den Performern zu fördern und sie zu ermutigen, sich in gemeinsamen Räumen auf eine Weise zu bewegen, die Verbindung und Anpassungsfähigkeit hervorhebt. Wie Scott Jennings es beschreibt: „Wir drehen einander nie den Rücken zu; und selbst, wenn ich das physisch tue, bleibe ich trotzdem in Verbindung mit allen, sodass ich mich jederzeit beteiligen kann, egal ob es ein Solo ist, ein Duett, oder ein Trio.“

Dieses Prinzip trifft sowohl auf die Tänzer:innen als auch auf alle anderen Beteiligten zu. Soziale Bedingungen mithilfe einer Gemeinschaftlichkeit, bei der Menschen sich nie den Rücken zukehren, neu zu definieren, ist eine kraftvolle choreografische Strategie. Sich nicht den Rücken zuzukehren, ist mehr als nur eine physische Bewegung; es repräsentiert eine ethische und beziehungsorientierte Haltung. Diese Geste verkörpert eine kontinuierliche Bereitschaft, andere innerhalb eines kollektiven Gefüges zur Kenntnis zu nehmen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sich um sie zu kümmern.

Evangelia: „Alexandra eröffnet einen Raum, in dem Gegensätze möglich sind. Gegensätzliche Aspekte können nebeneinander bestehen, ohne aufgelöst werden zu müssen, stattdessen wissen wir sie zu schätzen und wir kultivieren den Kontakt und die Energie, die daraus entstehen. Dadurch ermöglicht sie es auch den Tänzer:innen, Bewegung auf einer tieferen, intuitiveren Ebene zu entdecken, während der Körper nicht Objekt im Raum, sondern Subjekt in der Welt ist.“


Choreografie als soziales Modell

Was wäre, wenn wir Choreografie als Modell für die Gesellschaft betrachten würden, als eine Möglichkeit, ihre Strukturen neu zu denken?7 Was wäre, wenn wir den künstlerischen Prozess als ein Labor betrachten würden, in dem unsere soziale Zukunft erprobt und imaginiert werden kann? Grundsätzlich organisiert Choreografie Körper in Raum und Zeit. Durch das bewusste Herstellen von Interaktionen, in denen die Beteiligten einander gegenübertreten und die Präsenz und den Einfluss der/des jeweils anderen zur Kenntnis nehmen, kann Choreografie zum Mikrokosmos einer idealen sozialen Ordnung werden. Diese Herangehensweise schafft nicht nur ein Kunstwerk von bedeutendem ästhetischem Wert, sondern kann auch als greifbares/konkretes Modell für die Neubetrachtung gesellschaftlicher Beziehungen dienen.8 9

Die Förderung von Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit hinterfragt vorherrschende hierarchische Strukturen, die Ungleichheit reproduzieren. Ein Bewusstsein für Verantwortung und die Notwendigkeit, einen eigenen Weg in einer offenen Struktur zu finden, zu entwickeln, fördert Anpassungsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit. Dies macht die Choreografie zu einem Vorbild dafür, wie Gesellschaften mit unvorhergesehenen Herausforderungen durch Fürsorge umgehen können – schließlich ist nicht jeder Mensch in der Lage dazu, sich um sich selbst zu kümmern. Des Weiteren veranschaulicht Choreografie, indem sie die Interdependenz fördert, eine kollektive Existenz, die Nachhaltigkeit an erste Stelle setzt. Dieser Ansatz stellt sicher, dass individuelle Verbindungen durch gegenseitige Fürsorge und Rücksichtnahme gestärkt werden, was zum allgemeinen Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft beiträgt.

In diesem Prozesse fungieren Körper auch als Agenten der Zeit. Durch ihre Präsenz und Bewegung verkörpern sie sowohl die Vergangenheit (die historischen Einflüsse auf gesellschaftliche Strukturen) als auch die Zukunft (das Potential für die Neugestaltung dieser Strukturen). Aus dieser Perspektive wird Choreografie als eine durchdachte Praxis dargestellt, die den gesellschaftlichen Wandel durch körperlichen Ausdrucksformen fördert. Indem sie Bewegung sowohl als Metapher als auch Methode nutzt, entwickelt Waierstall Performances, die ästhetisch reichhaltig und sozial von Bedeutung sind.

Choreografie dient hierbei als Versuchsfeld für eine mögliche gesellschaftliche Zukunft und verwandelt Konzepte wie Zusammengehörigkeit und Fürsorge in greifbare, verkörperte Praktiken. Diese zerbrechliche Welt lädt das Publikum dazu ein, sich auf die Gelassenheit von gegenseitiger Präsenz und Wirkung einzulassen. Der Akt, sich einander zuzuwenden, wird zur Geste der Anerkennung und impliziert eine ständige Verpflichtung, sich zu engagieren, anzuerkennen und füreinander zu sorgen. Diese Konfigurationen des Miteinanders stellen die praktischen Mittel und Erfahrungswerte zur Verfügung, um herauszufinden, wie Menschen ein empathischeres und kollaborativeres soziales Umfeld schaffen können. Die konstante Interaktion zwischen Körpern, die einander beachten, fördert ein tiefes Verständnis für eine gemeinschaftliche Lebensweise. Sie laden uns ein, die Möglichkeiten zu empfangen, die sich auftun, wenn wir uns auf die Verbundenheit einlassen, und fördern ein Gespür für Ruhe und Offenheit, während wir durch die Komplexität unserer gemeinsamen Existenz navigieren.

 

1 Tronto, J. (2013). Caring Democracy: Markets, Equality, and Justice. New York: NYU Press. „expression of support, both an ethical commitment and a practical necessity“

2 Kurtz, D. (2024). "In the rhythm of the heartbeat–HEART MOMENT by Alexandra Waierstall.", in: Theaterkompass, September 29, 2024. Retrieved from www.theaterkompass.de

3 Zerban, M. S. (2024). "Retreat to the essentials.", in: O-Ton Kulturmagazin, September 30, 2024.Retrieved from www.o-ton.online

4 Haraway, D. (2016). Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Durham: DukeUniversity Press.

5 Lepecki, A. (2006). Exhausting Dance: Performance and the Politics of Movement. NewYork: Routledge.

6 Arendt, H. (1993). The Human Condition. Chicago: University of Chicago Press.

7 Cvejić, B. (2015). Choreographing Problems: Expressive Concepts inEuropeanContemporary Dance and Performance. London: Palgrave Macmillan.

8 Martin, R. (1998). Critical moves: Dance studies in theory and politics. Duke UniversityPress.

9 Hewitt, A. (2005). Social Choreography: Ideology as Performance in Dance and EverydayMovement. Durham: Duke University Press.

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