2.5 Wabi Sabi
von Dan Richter
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Im japanischen Zen gibt es das ästhetische Konzept Wabi Sabi, das sich an der Wertschätzung des Unperfekten orientiert. Natur kennt keine Perfektion. Alles ist vergänglich, alles ist im Prozess. Diese Beobachtung können wir auf die Kunst und die Gestaltung übertragen. Eine alte Kirche ist nicht trotz sondern wegen ihrer Patina schön. Asiatische Tusche-Zeichnungen wirken lebendig, weil wir den Strich in seinem Schwung und seiner Imperfektion sehen. Der Zeichner versucht erst gar nicht, den Prozess des Zeichnens zu verbergen. Durch den Strich, dessen Ansatz und Ende wir erkennen, das Auslaufen der Tinte, erleben wir gewissermaßen den Prozess des Zeichnens, der vielleicht vor Hunderten von Jahren stattgefunden hat, nach.
Da wir im Improtheater keine Möglichkeit zur Korrektur haben, müssen wir ebenso wie jede andere improvisierte Kunst mit dem Unperfekten leben. Mehr noch: Wir genießen den Prozess, das Unperfekte zu erschaffen. Und wir genießen es, anderen dabei zuzuschauen.
Was sich aus Wabi-Sabi-Perspektive in der Keramik als unbeabsichtigte hauchdünne Glasur-Riss darstellt, in der Architektur als Patina, in der Malerei als Spuren der Pinselhaare, das ist im Improtheater die kaum wahrnehmbare Geste des Suchens nach dem nächsten Satz, der kleine verstolperte Schritt, der Versprecher und so weiter. Diese Mikro-Fehler sollten wir freilich nicht forcieren (gleichsam...