Theater der Zeit

Gespräch

Raumkörper Faust

Barbara Ehnes über architektonische Alchemie

von Barbara Ehnes und Ute Müller-Tischler

Erschienen in: Arbeitsbuch: Bild der Bühne, Vol. 2 / Setting the Stage, Vol. 2 – 17 Bühnenbildner:innen im Porträt (06/2015)

Assoziationen: Akteure Kostüm und Bühne

QUIJOTE. TRIP ZWISCHEN WELTEN Thalia Theater Hamburg, 2012. Regie Stefan Pucher, Kostüme Annabelle Witt, Video Chris Kondek, Musik Carsten „Erobique“ Meyer.
QUIJOTE. TRIP ZWISCHEN WELTEN Thalia Theater Hamburg, 2012. Regie Stefan Pucher, Kostüme Annabelle Witt, Video Chris Kondek, Musik Carsten „Erobique“ Meyer.Foto: Foto: Krafft Angerer

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Barbara Ehnes, als Sie vorschlugen, uns in der „Kohlenquelle“, eine Bar im Berliner Prenzlauer Berg, zu treffen, habe ich mich gefragt, was das für ein Ort sei.

Es ist ein Raum, in dem ich mich wohlfühle und gerne verabrede. Ich mag auch dieses einfache, unaufgeregte und zusammengewürfelte Design.

Das scheint aber gar nichts mit Ihrer Arbeit zu tun zu haben.

Finden Sie?

Nehmen wir mal die Produktion „Faust. Erster Teil“ in Frankfurt am Main. Das war von der Raumstimmung her fast ein atmosphärisches Gegenmodell.

Das stimmt. Es war eine Konstruktion, eine Erfindung.

Für mich war das eine Zauberbühne. Sie hat sich laufend bewegt, verschiedene Perspektiven gezeigt und viele Spielräume gehabt. Ich habe mich gefragt, ob Sie nach einem ­idealen Raum suchen. Fast schien es so, als sei alles Zufällige und Störende von außen ausgeschlossen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Es war eine Kunstwelt, die von der Faustfigur als räumliches Zentrum aus gedacht war. Die ­Außenwelten, die von Mephisto und ihm bereist werden, waren die Rückseiten seiner „Zelle“. Insofern tatsächlich hermetisch.

Bei der Beschäftigung mit Ihrer Arbeitsweise dachte ich, wir sollten unbedingt über das Mephistophelische reden. Sind Sie der Geist, der Böses will und Gutes schafft?

Ich verfolge keine bösen Absichten. Aber eine inhalt­liche Verneinung, das stimmt, war hier tatsächlich mein Einstieg. Am meisten hat sich meine Ablehnung an der „Gretchenfrage“ ­entzündet. Ich habe Probleme mit einem Männerbild, das sich in Allmachtvorstellungen hineinsteigert.

Wie konnten Sie mit dieser widerstrebenden Distanz arbeiten?

Ab dem Moment, wo ich mir Faust als Vampir definierte, war eigentlich auch die ­Distanz weg. Von da an konnte ich Bilder suchen und eine Welt erfinden. Ich begann, mir alte Stummfilme anzuschauen. Ich glaube, das sieht man immer noch ein bisschen an dieser „zusammenstürzenden“ Bühnenarchitektur.

Wie in der Film­legende „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau.

Genau, oder in „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Inspiriert war ich auch von Thomas Hirschhorns Kristallinstallation im Schweizer Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig 2011. Haben Sie die gesehen? Hirschhorn hat eine ­gigantische Installation geschaffen, in der alles mit allem zu tun hat. Da musste ich sofort an Faust denken. Ein gigantischer Kosmos und irgendwie auf ganz vielen Ebenen durch eine Art Röhrensystem miteinander verbunden.

Vom Himmel durch die Erde in die Hölle?

Das habe ich im Prinzip mit meiner Schlauchzentrale aufgegriffen. Man hat immer wieder Durchblicke und Verbindungen.

Ja, mal klappte da was auf, mal drehte sich dort etwas. Man rutschte hinein und wieder heraus. Auf mich wirkte die Bühne tatsächlich wie ein kristalliner Körper. Manche sagen, es war ein Pentagramm.

Man kann auch an ein Molekül denken. Ich habe die Grundform vom Oktaeder abgewandelt.

Haben Sie dabei an Alchemie gedacht?

Absolut, das ist am ganzen „Faust“ eine interessante Farbe. Schon deshalb danke ich Hirschhorn, dass er eine so zeitgenössische Alchemie hat. Wenn er mit seinen Bergkristallen arbeitet, mischt er alles wild durcheinander und macht dabei ganz klare Aussagen. Auch Einar Schleefs „Droge Faust Parsifal“ hat mich mit seiner Annäherung an Faust als großem Rausch stark beeinflusst.

Sie haben mal gesagt, dass Sie für Schauspieler physische Herausforderungen schaffen.

Ich versuche, für die Schauspieler Spielmöglichkeiten zu entwerfen, die sie vielleicht überraschen und manchmal körperlich in ungewöhnliche Situationen bringen. Ich hoffe, dass sie sich den Raum aneignen, ihn zu ihrem Raum machen, und unterstütze sie dabei. Für mich ist Raum immer total, also auch die Fragen: Was für ein Theater ist es? Welches Verhältnis Bühne – Zuschauerraum gibt es? Mit welcher Dimension haben wir es zu tun? Und ich arbeite immer skulptural im ­Modell. Im Prinzip schnitze ich so lange am Material – wie bei „Faust“ an so einem Polyeder – herum, bis ich eine Form gefunden habe, die mich auch im Sinne der Spielorte interessiert. Ich habe Bildhauerei studiert, und manchmal denke ich, was ich damals ganz klassisch in Stein ­gehauen habe, steht heute bei meinen Drehbühnen als Raumkörper auf der Bühne. Das begreife ich als Gesamtform, und die ist für mich durchaus bild­hauerisch.

Und sehr körperlich. Schließlich sind Sie auch bei Marina Abramović in die Lehre gegangen.

Richtig, sie war damals Gastprofessorin in Hamburg, wo ich bei Wilfried Minks Bühnenbild studiert habe. Als sie bei uns anfing, sind wir für eine Woche auf eine dänische Insel gefahren und haben geschwiegen, nichts gegessen und morgens um vier Uhr Yoga gemacht. Jeder Tag war voller extremer Erlebnisse, die sie inszeniert hat. Abramović hat mich extrem beeinflusst, auch ihre eigene Form von Spiritualität. Später habe ich sie auch für meine Bühnenbilder konsultiert und für ihre Ausstellungen Modelle gebaut.

Das Extreme findet man auch in Ihren Arbeiten, vielleicht sogar einen vergleichbaren Überwältigungseffekt. Selbst wenn Sie jetzt immer noch Yoga machen, schleppen Sie darüber hinaus eine ganze Menge von Abramović mit.

Das schleppe ich gerne mit. Mich hat immer ihr Freiheitswillen begeistert, zum Beispiel, wenn sie mit Ulay im Auto durch die Welt gereist ist.

„Trip zwischen Welten“, so hieß eine Inszenierungsserie von Stefan Pucher am Thalia Theater in Hamburg.

Wir hatten ein Thema, aber es war noch nicht klar, was wir daraus entwickeln würden. Im weitesten Sinne sollte es um die Werke von Hans Christian Andersen gehen.

Genau, das Bühnenbild sieht aus wie ein Märchenschloss.

Ich habe viele Märchen gelesen und mich mit der Biografie von Andersen beschäftigt. Irgendwann habe ich entschieden, dass ich mit Elementen eines historischen Innenraums umgehe, um die Spielorte anzulegen. Jetzt wirkt der Raum zwar sehr barock, mein Motiv war aber ein Stich aus der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, der ein Musterzimmer zeigt. Der gesamte Raum war plastisch ausgepolstert und mit zigtausend Tackernadeln zusammengesteckt. So sind, wie beim Möbelaufpolstern, die ganzen Konturen entstanden.

Wie hat das Ganze als Bühne funktioniert?

Zu Beginn des Abends ist das Bühnenbild eine Wand mit angesetzten Möbeln in völlig falscher Perspektive, die relativ zweidimensional wirkt. Dann werden langsam Orte rausgeklappt, zum Beispiel oben das Bett. Es gibt zwei Wandelemente, die komplett wegfahren können. Dahinter ist eine Spiel­ebene, ein Steg, auf dem steht immer dieser Emu. Der Raum öffnet sich auf drei Ebenen in die Tiefe. Aber eigentlich war das Bühnenbild eine flache Kletterbühne, die ich in die Höhe gebaut habe, weil die meisten meiner Regisseure die Schauspielerinnen und Schauspieler vorn, präsent haben wollen.

Es gibt solche gepolsterten Lackbilder, die meistens ein romantisches Motiv ­haben. An ein solches Sehnsuchtsbild erinnert mich auch dieses Bühnenbild.

Das glatte, pralle Material habe ich eher mit einer Art Gummizelle mit gepolsterten Türen und Fenstern in Verbindung gebracht, was etwas mit Andersens Biografie und Geisteszustand zu tun hat. Man konnte das durchaus als kalt und klinisch empfinden. Deshalb haben wir auch grandguignolesque Experimente gemacht, Beine abgesägt und blutige Beinstümpfe mit Schuhen weitertanzen lassen.

Eine schaurige Vorstellung. – Sie haben 2013 den Faust-Preis für „Quijote“ erhalten, gemeinsam mit dem Videokünstler Chris Kondek. Diese Inszenierung wirkt wie ein Himmelfahrtsgemälde, war das so beabsichtigt?

Don Quijote war sehr gläubig. Was mich fasziniert hat, war, wie jemand nur in seiner eigenen Vorstellungswelt leben kann, wie sich Wahrnehmung so überdeutlich formuliert und verschiebt. Ich habe im Prinzip eine Schräge entworfen mit bemalten Prospekten mit Landschafts- und Wolkenmotiven, die hochgespiegelt wurden wie beim alten Theatertrick „Pepper’s ghost“, der früher für Spiegelfechtereien eingesetzt wurde. Der Raum hinter dem Spion­spiegel wurde bei Beleuchtung als „Vorstellungsraum“ sichtbar, in dem man stehen konnte. Die reale Präsenz vermischte sich mit der eingespiegelten Bilderwelt. Im Prinzip gab es auf der Rückseite so eine Art Making-of. Das war meine Ursprungsidee: Vorne werden die Bilder produziert, und hinten werden sie hergestellt. Dadurch, dass sich die Bühne drehte, konnte das Publikum alles gleichzeitig sehen. Auch Chris Kondek arbeitet oft mit dem Sichtbarmachen dieser Herstellungsebene.

Zum Schluss noch eine andere Frage, weil Sie gelegentlich auch außerhalb des Theaters und ohne Regisseur arbeiten. Wie war das bei Ihrem Projekt „Istanbul Transgelinler“?

Matthias Lilienthal hatte mich vor Jahren schon zu seinen „X Wohnungen“ ­eingeladen. Zuerst war ich skeptisch, ob ich das kann, aber dann haben mich diese performativen Mischformen immer mehr interessiert. Bei meinen Recherchen in Istanbul bin ich in Tarlabaşı auf Transsexuelle und Transvestiten gestoßen, mit denen habe ich das Projekt dann gemeinsam entwickelt.

Für die Wiener Festwochen 2013 haben Sie auch ein Projekt mit Autorinnen einer feministischen Literaturzeitschrift aus den 1970er/80er Jahren gemacht – „Die Schwarze Botin“, produziert am Schauspielhaus Wien, war wieder ein Genderprojekt?

Mich interessierte vor allem, wie die Leben dieser Frauen verlaufen sind und wie aktuell ihre Texte heute sind. Zudem ist die „Gender­thematik“ im weitesten Sinne für mich als Feministin politisch wesentlich. Von der Zusammenarbeit mit Menschen in völlig anderen Lebenszusammenhängen wird auch meine Arbeit als Bühnenbildnerin sehr be­reichert. //

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