Theater der Zeit

„Schwerterschmiede“

Das Landestheater Altenburg und Wieland Wagner

von Anno Mungen

Erschienen in: 150 Jahre Theater Altenburg (04/2021)

Assoziationen: Theatergeschichte Musiktheater

Anzeige

I. 

In einem Interview mit dem ORF schildert der Dirigent Karl Böhm seine erste Begegnung mit dem Opernregisseur und -ausstatter Wieland Wagner. Nicht erst im Jahr 1962 sei man zum ersten Mal aufeinandergetroffen, führt er aus, sondern schon früher. Er sei auf den Wagner-Enkel „aufmerksam geworden durch einige Bühnenbilder“ von ihm zum Ring des Nibelungen, die Böhm gefielen. „Damals war meine erste Operndirektorenzeit in Wien“, sagt Böhm. Er habe Wieland Wagner angeboten, mit ihm dort „einen neuen Ring zu produzieren.“ Erst auf Nachfrage des Journalisten, wann diese Begegnung stattgefunden habe, berichtet Böhm, dass man sich seiner Erinnerung nach Ende des Jahres 1943 begegnet sei. Erstaunt fragt der Reporter zurück: „1943, während des Krieges?“ Böhm bejaht und ergänzt, dass Wieland Wagner ihm „Entwürfe zu Bühnenbildern des Ringes“ gezeigt habe, die aber, so Böhm, nach dem schweren Bombenangriff auf Wien, bei dem die Staatsoper am 12. März 1945 stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, „in meinem Direktorszimmer verbrannt“ seien.2 

Böhm berichtet von der angeblichen Vernichtung der frühen Ring-Arbeit Wieland Wagners und der Begegnung mit ihm in der Zeit des Zweiten Weltkriegs in einer inhaltlichen Verdichtung einerseits und in einer zeitlichen Streckung, die die Begegnung ein Jahr nach vorne verlegt, andererseits. Tatsächlich fanden die geschilderten Ereignisse ein Jahr später als angegeben statt. Erst im Juli 1944 disponierten Böhm und Wagner gemeinsam einen neuen Ring, der auf die Initiative des Wiener Gauleiters Baldur von Schirach zurückging. Die erste Aufführung dieses Rings, die Walküren-Premiere, war demnach für Anfang Februar 1945 anberaumt.4 Somit liegen die Planungen für das Opernprojekt vollkommen in der Schlussphase des Kriegs, an dessen „Endsieg“ nicht wenige noch glaubten. Aus den spärlichen Dokumenten zu dem Wiener Ring-Projekt geht nicht hervor, ob man davon ausging, der Krieg sei dann tatsächlich gewonnen oder man würde einfach während des Kriegs – wie bis dato auch – wieder spielen. Als eine inhaltliche Verdichtung der Sache ist der Umstand deutbar, dass Böhm nicht genau angibt, wie er von den „Bühnenbilder[n]“ des Rings von Wieland Wagner Kenntnis bekommen hatte. Seine Geschichte impliziert, dass dieser ihm „Entwürfe“ gezeigt habe, die dann verbrannt seien. Tatsächlich sind bis heute keine Ring-Entwürfe Wagners dieser Zeit aufgefunden worden, was aber auch für die anderen Opernprojekte des Regisseurs bis 1945 zutrifft. Die Anekdote um die frühe Ring-Arbeit Wieland Wagners impliziert, dass diese kriegsbedingt im Keim erstickt worden war. Böhm aber konnte mit seinem Wunsch, den Ring mit Wieland Wagner zusammen realisieren, daran anknüpfen, was die Presse verbreitet hatte und was in der Szene allgemein bekannt war: Wagner wurde im Nationalsozialismus als Regisseur und Ausstatter der Opern seines Großvaters bewusst aufgebaut. Wahrhaftige „Bühnenbilder“ Wieland Wagners zum Ring hätte Böhm in zwei Städten des Reichs sehen können: in Altenburg und in Nürnberg. 

Wieland Wagner hatte den Ring nämlich bis dato – das heißt bis zum Spätsommer 1944 – schon zweimal an Theatern im nationalsozialistischen Deutschland begonnen zu inszenieren, und zwar in parallelen Produktionen an den beiden genannten Theatern. Wieland Wagners Ring-Produktionen waren zu dem Zeitpunkt, als er mit Böhm zusammenkam, fast vollständig abgeschlossen. Nur das Rheingold für Nürnberg, dessen Premiere Ende August noch folgte, sowie die gesamten zyklischen Aufführungen standen im Juli 1944 noch aus. In Altenburg kam es nicht zu einer solchen Gesamtaufführung, anders als in Nürnberg, wo der Ring kurz vor der Theaterschließung mit allen vier Opern aufgeführt wurde. Die Götterdämmerung stand am Schluss: gleichsam krönend, doch auch fragil und fragend, wie es mit dem „Dritten Reich“ nach einem möglichen Untergang weitergehen könnte. Sie markierte das Ende des Theaters in Nazi-Deutschland mit der Aufführung am 31. August 1944, dem Datum, an dem die von Joseph Goebbels verordnete Theatersperre in Kraft trat. 

II. 

Wieland Wagner hatte als Enkel von Richard Wagner und als Sohn des ehemaligen Festspielleiters Siegfried Wagner im Nationalsozialismus begonnen, sich einen Namen in der Theaterwelt zu machen. Er sollte zwar ausdrücklich als Enkel Richard Wagners wahrgenommen werden, dessen Genie er den Rassentheorien der Zeit zufolge geerbt hatte. Aber er wollte auch als eigenwertiger Künstler gesehen werden. Die Presse hatte begeistert von seinen Produktionen berichtet. Besonderes Interesse erregten 

bereits seine Bayreuther Meistersinger- Bühnenbilder aus dem Jahr 1943. Als noch bedeutender empfand man den Umstand, dass er bei seinen Ring-Produktionen in Altenburg und Nürnberg alleine für alle Belange des Szenischen verantwortlich zeichnete – Regie, Bühnenbild, Kostüme und Lichtdesign. Das war eine Neuerung im Bereich der Produktion von Oper, wo die genannten Aufgaben in aller Regel getrennt wurden. Regietätigkeit oder – um den damals üblichen Begriff zu nennen – Spielleitung standen auf der einen und das Entwerfen der Ausstattung auf der anderen Seite. In Altenburg und Nürnberg sollte Wieland Wagner alles zusammen erledigen. Das große Haus der Wiener Oper war nun die geplante nächste Stufe vorgesehen, um seine Karriere im Nationalsozialismus zu befördern. Die finale Stufe wäre die Einsetzung Wieland Wagners als Festspielleiter von Bayreuth gewesen, wo er 1945 ebenfalls einen kompletten Ring hätte produzieren sollen. 

Als eine inhaltliche Verdichtung von Böhms Erinnerung kann auch der von ihm dargelegte Umstand der ausdrücklich persönlichen Absprache zwischen ihm und Wagner zu einem Ring-Projekt in Wien verstanden werden. Dies lässt außer Acht, dass letzterer stets gemeinsam mit einer Reihe von Unterstützern an der Etablierung seines Namens als Regisseur und Bühnenbildner intensiv arbeitete und der Kontakt nach Wien hierauf basierte. Adolf Hitler gehörte zu diesem Kreis, ebenso wie Wielands Mutter Winifred Wagner. Diese aber kann man nur mit Abstrichen hier erwähnen, weil sie die Festspielleitung in Bayreuth noch nicht aufzugeben bereit war und den Sohn als Konkurrenten betrachtete, den sie fern von sich zu halten versuchte. Im Zusammenhang mit Wieland Wagners Engagements nach Altenburg und Nürnberg sind ebenfalls die dortigen Intendanten Ernst Lüsenhop und Willi Hanke sowie Wagners Lehrer, der Dirigent Kurt Overhoff, der mit 

Wieland Wagner zusammen nach Altenburg engagiert worden war, aber auch Joseph Goebbels5 sowie Kulturpolitiker des Nationalsozialismus wie Hans Severus Ziegler oder Baldur von Schirach zu nennen. 

Die Rahmenbedingungen des Engagements von Wieland Wagner nach Altenburg hat Frieder Krause in einem Aufsatz von 2017 ausführlich dargelegt. Wieland Wagners Vertrag war demnach mit dem Beginn der Beschäftigung auf den 16. August 1943 fixiert und auf eine Spielzeit begrenzt.6 Da Wagner zu Vertragsbeginn die Ring-Produktion für die Nürnberger Oper bereits begonnen hatte, war er sachlich schon vor Altenburg mit Arbeiten befasst, die ihn hier beschäftigen sollten. Hinzu kommt, dass er in Vorbereitung aller seiner Regieaufgaben mit Overhoff, seinem Lehrer, den Ring und andere Wagner-Opern anhand der Klavierauszüge im Privatunterricht schon studiert hatte. Es bestätigt sich hier etwas, das sich schon mit den angegeben Karriereschritten zeigte: Das Engagement Wieland Wagners an das Altenburger Theater ging im Rahmen eines größeren Plans vonstatten und war Bestandteil des Konzepts zu einer Ausbildung des Wagner-Enkels zum Regisseur und Ausstatter der Opern seines Großvaters. Die erste Premiere, die Wieland Wagner in Altenburg zu verantworten hatte, war die Walküre, die am 12. September 1943 stattfand. Bis zum Ende der Vertragslaufzeit mit der Schließung des Hauses am 6. August 1944 leitete er insgesamt sechs Produktionen. Er inszenierte und stattete die vier Ring- Opern aus (die weiteren Premieren waren: Götterdämmerung am 19. Dezember 1943, Siegfried am 30. Januar 1944 und Rheingold am 14. Mai 1944), inszenierte den Freischütz (Premiere am 10. Oktober 1943)7 und übernahm wiederum Regie und Ausstattung der Oper An allem ist Hütchen schuld von Siegfried Wagner, eines Stücks, das man für den Geburtstag seines Vaters für die Stadt Bayreuth ins Programm genommen hatte (Premiere dort am 6. Juni 1944). 

Theater zu machen, Stücke auf die Bühne zu bringen – ob im Schauspiel oder im Musiktheater – unterlag in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anderen Bedingungen als heute, wo die Produktion eines Werks als einer Inszenierung mit eigenem hohen künstlerischen Anspruch deutlich längere Vorbereitungszeiten benötigt als damals. Die Schlagzahl an Premieren, die ein Regisseur, der als Oberspielleiter fest an einem Haus angestellt war, leisten konnte, war demnach höher. Wieland Wagner folgte diesem Prinzip nicht mehr vollständig. So hatte er – trotz des festen Engagements als „Spielleiter u. Bühnenbildner“, wie es in seinem Ausweis der Reichstheaterkammer heißt8 – in Altenburg die Privilegien eines Stargasts, den man besonders behandelte. Sein Altenburger Engagement zeigt zudem, dass man begann, sich der Praxis vieler Premieren im Sinne einer Spielleitermentalität, mit der das Einrichten von Gängen und Abläufen im Zentrum der Arbeit stand, am Theater zu widersetzen. Es zeichnete sich mit der Art, wie Wieland Wagner in Doppelfunktion als Regisseur und als Ausstatter zu arbeiten begann, ein neuer Typus des Opernregisseurs ab. Hierzu gehörte die verabreichte extreme Förderung Wieland Wagners im Infrastrukturellen sowie im Finanziellen, um mit dem Opernregisseur einen Künstler eigenen Rechts im Nationalsozialismus zu verankern. Maßgeblich wirkte hier das Ringen um die sogenannte Werktreue, die, obschon als Richtschnur nationalsozialistischer Opernästhetik von vielen präferiert, ein eigenkünstlerisches Agieren gerade nicht einschloss. Das war ein Widerspruch, aus dem Wagner eigene Lösungen zu schöpfen begann. 

Es war das Landestheater Altenburg, welches man im Rahmen einer solchen Neukonzeption des Opernregisseurs, der auch Ausstatter sowie vor allem Künstler eigenen Zuschnitts war, zu dessen Ausbildungstheater gemacht hatte. Den Hintergrund für diese Entscheidung bildeten die sehr guten Beziehungen zwischen Bayreuth und Altenburg, die auch geografisch und verkehrstechnisch günstig zueinander lagen. Beide Häuser, an denen Wieland Wagner engagiert gewesen war (Nürnberg, Altenburg), kooperierten auf das Engste mit dem Bayreuther Festspielhaus sowie mit der Stadt Bayreuth, wie im Fall der Siegfried-Wagner-Oper An allem ist Hütchen schuld. Bereits am 15. Dezember 1912 hatte die Oper Der Bärenhäuter unter der Leitung Siegfried Wagners in Altenburg Premiere gefeiert. Ab dem 21. Januar 1942 stand die Oper Schwarzschwanenreich des einzigen Sohns von Richard Wagner auf dem Spielplan, für deren Produktion sich Winifred Wagner eingesetzt hatte. Altenburg, als Ort der Wagner-Pflege ohnehin etabliert, verfügte auch über persönliche Beziehungen in die Festspielstadt. Welche Rolle hier Heinz Drewes spielte, der Intendant des Landestheaters Altenburg von 1933 bis 1937, ist heute nicht mehr nachvollziehbar, da seine Personalakte im Staatsarchiv Altenburg diesbezüglich keine genaueren Hinweise liefert. Drewes, der in Altenburg in der Zeit vor 1933 eine Ortsgruppe des Kampfbundes für deutsche Kultur gegründet hatte und schon hierüber mit der im Kampfbund ebenfalls aktiven Wagner-Familie in Verbindung gestanden haben dürfte – ideologisch war man auf einer Linie –, galt in der Zeit nach seinem Engagement in Altenburg als einer der wichtigsten Funktionäre des NS-Staates in Sachen Musik und Theater überhaupt.9 

Arthur Schmolitzky, zu dessen Leben heute sonst nicht viel bekannt ist, arbeitete in den 1940er Jahren als Journalist für die Altenburger Zeitung. In Wagners Nachlass finden sich eine Reihe seiner Besprechungen zu den Altenburger Inszenierungen von Wieland Wagner sowie andere Zeitungsartikel über ihn. Kurz nach der Walküre veröffentlichte er einen Artikel, mit dem er den Regisseur der Altenburger Bevölkerung vorstellte. Schmolitzky macht hier zunächst auf die Rassenlehre des Nationalsozialismus aufmerksam und bezieht sich auf Studien, welche die Vererbung von Talent auf die „Kräfte des Blutes und des Geistes“ beziehen. Wieland Wagners Vorfahren, so führt er aus, lassen auf Großes hoffen: „Er ist Enkelsohn Richard Wagners und der Cosima, Franz Liszts Tochter; Sohn Siegfried Wagners und der Winifred.“ Hierüber stellt er einen Bezug her, der die zentrale, 1943 alles beherrschende Frage angeht: Wie erklärt man einer vom Krieg geplagten Bevölkerung, dass Oper, Kunst und Theater immer noch eine so eminent wichtige Rolle im Staat einnehmen, obwohl die Existenz vieler unmittelbar gefährdet ist? Den Namen des Wagner-Enkels stilisiert er zur Chiffre, an die er eine Art Heilsfunktion von Kunst und Oper knüpft: „,Wieland Wagner in Altenburg‘ bedeutet eine glückliche Stunde für unsere Stadt, trotz Not und Tod des Krieges.10 

Schmolitzky erklärt in seinem Artikel auch den Umstand, dass Overhoffs Engagement als Dirigent nach Altenburg aus dessen aktueller Tätigkeit in Bayreuth als Lehrer Wieland Wagners heraus resultierte, da „unsere Bühne als praktische Ausbildungsstätte für Wieland gewählt wurde“. Overhoff war vor der Annahme seines Postens in Altenburg für diese Sonderaufgabe von Winifred Wagner nach Bayreuth berufen worden. Sein Vertrag als Generalmusikdirektor in Heidelberg war zum 1. September 1940 aufgelöst worden, sodass er als exklusiver Privatlehrer von Wieland Wagner in Sachen Musik und Richard Wagner tätig werden konnte. Er widmete seine vollständige Arbeitskraft bei gleichem Lohn wie in Heidelberg diesem Unterfangen,11 das offensichtlich zunächst auch eine Dirigentenausbildung von Wieland Wagner hätte einschließen sollen. Wie dessen Vertraute dieser Jahre, Gertrud Strobel, in ihrem Tagebuch schon im Dezember 1941 festhielt, sollte dieser Ausbildung im Anschluss an den theoretisch ausgerichteten Musik- und Theaterunterricht eine Praxisausbildung folgen, die an einem „kleinen Theater“ vonstatten zu gehen hätte. Diesem Eintrag vom Dezember 1941, als das Altenburger Engagement noch nicht spruchreif war, entnimmt man auch, dass Wagner zu dieser Zeit mit Hitler persönlich verhandelte – wegen der Festspiele in Bayreuth. Ob hier die Idee mit Altenburg schon entwickelt wurde, ist nicht überliefert. Strobel notiert aber auch, dass man Wagner zu diesem früheren Zeitpunkt an diesem zu findenden Theater auch als Dirigenten hätte ausbilden lassen wollen.12 Idealiter hätte er nicht nur eine Doppelfunktion als Regisseur und Bühnenbildner übernommen, sondern wäre als Dirigent der Opern seines Großvaters dreifach tätig geworden. Dem theoretischen Privatunterricht bei Overhoff folgte das Engagement der beiden nach Altenburg, wo Wagner seine Ausbildung nun in der Praxis fortsetzte, um hier – das war das zentrale Projekt – den Ring zu inszenieren und in enger Abstimmung mit seinem Lehrer, dem Dirigenten Overhoff, arbeiten zu können. 

Wieland Wagners Position in Altenburg war aufgrund des Umstands, dass das Haus als Ausbildungstheater für ihn bestimmt worden war, von Exklusivität geprägt. Dies bedeutete eine Sonderstellung der von ihm vertretenen Produktionen im Haus und zielte dabei nicht nur auf die infrastrukturelle Förderung durch die Institution, die immens war. Sie bewirkte auch eine ästhetische Zuspitzung der Produktion von Oper, die er – wie sich schon andeutete – ausdrücklich als Künstler anzugehen hatte. Wichtige Hinweise hierzu finden sich in Overhoffs Antrittsrede zu Beginn der Spielzeit 1943/44, deren Skript in Wieland Wagners Nachlass überliefert ist.13 Overhoff macht deutlich, dass Veränderungen für die gesamte Belegschaft ins Haus stehen würden. Der angestrebte hohe Anspruch bedeute Verantwortung, die sich an den Namen und das damit angetretene Erbe knüpfe: „Man kann dem Enkel Richard Wagners nicht zumuten, eine Götterdämmerung mit 3 oder 4 Proben zu inszenieren“, stellt Overhoff fest und führt weiter aus: „Es wird notwendig werden, dem jungen Erben von Bayreuth die Grundbedingung zur Entfaltung wahrer Kunst zu schaffen, nämlich die im Alltagsbetrieb der Bühnen kostbarste Substanz: Zeit.“14 

Neben der Zeit bestimmte ein anderer Faktor die Arbeit am Theater wesentlich: das Geld. So stand Wieland Wagner für die Ring-Produktion eine eigens vom Theater eingeworbene Summe von insgesamt 110 000 Reichsmark zusätzlich zur Verfügung, die sich aus Beiträgen des Propagandaministeriums, der Stadt sowie des Landkreises Altenburg zusammensetzte.15 Diese Information findet sich in einem Schreiben, das der damalige Intendant Ernst Lüsenhop nach dem Krieg, nämlich 1961, als Richtigstellung eines Interviews mit Gertrud Wagner in der Zeitschrift Film und Frau, auf das noch zu kommen sein wird, an seinen ehemaligen Mitarbeiter Overhoff formulierte. Er fasst hier auch zusammen, wofür das Geld ausgegeben wurde: für die Verpflichtung von Gastsängerinnen und -sängern der ersten Häuser des Landes, für die personelle Verstärkung des Orchesters sowie für die Erstellung von Dekorationen und Kostümen. Es steht auch zu lesen, dass man, was Kostüme und Kulissen betrifft, in der Spielzeit 1943/44 ausdrücklich nicht auf die Ressourcen des Fundus zurückgreifen wollte. Mit der großen Summe war das Ring-Unternehmen der Kriegsspielzeit 1943/44 als ein originäres Produkt der Arbeit eines Künstlers für Regie und Ausstattung gleichermaßen zu fördern. Um deutlich zu machen, wie bedeutsam diese Sonderzuwendung von 110 000 Reichsmark für sein Haus war und wie viel Bedeutung der Nationalsozialismus dem Altenburger Haus mit der Designation eines Ausbildungstheaters für den Wagner-Enkel zuwies, macht Lüsenhop an der Summe des regulären Zuschusses für das Haus von „RM 767.000, –“ für die Spielzeit 1943/44 fest. Man geht davon aus, dass eine Reichsmark damals circa vier bis fünf Euro entspricht.16 

Die Sonderstellung Wieland Wagners, welche die Abläufe am Haus veränderte, zeigt sich noch an anderer Stelle. Offensichtlich sollte auch die Stadt Bayreuth von dem gemachten Arrangement profitieren. Denn die Premiere der Oper An allem ist Hütchen schuld von Siegfried Wagner war nicht für Altenburg vorgesehen, sondern von vornherein als Sondergastspiel im Markgräflichen Opernhaus für Bayreuth disponiert. Dort fanden drei Aufführungen der Oper statt, die erste am 6. Juni 1944 zum 75. Geburtstag des einstigen Leiters der Festspiele.17 Der logistische Aufwand war enorm. Dem Bayreuther Oberbürgermeister wuchs die Sache über den Kopf. Er bat darum, die Transportkosten für die über 100 Mitwirkenden, Requisiten, Kostüme und Instrumente per Eisenbahn nicht über 15 000 Reichsmark anwachsen zu lassen. Das war die Summe, die man aufbringen konnte.18 In einem Dispositionsbuch des Theaters sind die Probenzeiten für die auch damals selten gespielte Oper, die zuvor weder Regisseur Wieland Wagner noch das Publikum oder die Sänger und Musiker kannten, festgehalten. Diese Proben an 16 halben Tagen fanden im Altenburger Theater statt.19 Nicht nur war dies im Rahmen der damals sonst üblichen Zeiten – man denke an die drei bis vier von Overhoff genannten Proben für eine „übliche“ Götterdämmerung, die man Wieland Wagner nicht zumuten wollte – eine hohe Zahl von Proben, die das kostbare Gut Zeit am Theater auffraß. Hinzu kam, dass dieser Aufwand für eine Produktion erfolgte, die schließlich nur die Premiere in Altenburg erlebte.20 

An ganz anderer Stelle war es schließlich auch Wieland Wagner selbst, der eine herausgehobene Stellung in Altenburg vehement einforderte und dies ausdrücklich in Hinblick auf seinen künstlerischen Ansatz, den er – dies wird später noch zu erörtern sein – mit seinen Ring-Arbeiten erstmalig hin zu einer eigenständigen Position im Ästhetischen profilierte. Denn alle Produktionen, die er bis dato zu verantworten gehabt hatte, erscheinen gegenüber dem künstlerischen Ergebnis der Arbeit am Ring als eher unspezifisch. Er beschwerte sich mit einem Brief vom 25. Januar 1944 bei der Altenburger Zeitung, die seine Arbeit kritisiert hatte.21 Der entsprechende Artikel, in dem Wagner zwar verhalten, aber doch unmissverständlich Werkuntreue in seiner Produktion der Götterdämmerung vorgehalten wurde, stammte von Friedrich Preuß. Eine der zentralen ästhetischen Fragen, die in der nationalsozialistischen Operndebatte verhandelt wurden, war diejenige, inwieweit Bühnenbildner oder Regisseur nur den Vorgaben des Komponisten zu folgen haben oder ob sie eigenkreativ tätig werden dürfen, wie Wieland Wagner es für sich beanspruchte. Preuß, der die Auffassung großer Werktreue vertrat, verfasste in der Folge keine Artikel mehr zu Wagners Tätigkeit in Altenburg, dem man auf diese Weise Recht gegeben hatte. 

Die Sonderbehandlung Wieland Wagners am Landestheater Altenburg hatte Auswirkungen auf seine künstlerische Arbeit. So wurde ihm die konzentrierte Probenphase für die Götterdämmerung tatsächlich ermöglicht, als das Haus für eine Woche geschlossen worden war und er sich seiner Probenarbeit in bis dato selten gekannter zeitlicher Zuspitzung widmen konnte. Ein weiteres spezifisches Merkmal kommt hinzu und betrifft die besonderen Umstände, unter denen dieses Engagement vonstattenging: Mit dem Krieg waren Probleme der Bereitstellung von Ressourcen verbunden. Die Tatsache, dass das Altenburger Theater mit Wirkung zum 1. April 1943 zeitgleich zu den Engagements von Overhoff und Wieland Wagner als „kriegswichtig“ eingestuft worden war,22 verbindet die beiden Merkmale. Durch die dem Theater so zugebilligte Bedeutung war nicht nur eine besondere finanzielle Ausstattung möglich geworden. Vor allem sollten sich materielle und personelle Zuwendungen daran ausrichten, dass sie – im weiter gedachten Sinne – dem Kriegserfolg dienlich waren, das heißt, sie wurden nicht nur aufgrund künstlerischer Kriterien bewilligt. Folglich versuchte man in Altenburg auf jegliche Unterstützung zurückzugreifen, welche die Probleme des Mangels an Materialien sowie vor allem an männlichen Solisten ausglich. 

Im November 1943 bemühte sich Lüsenhop – schließlich vergeblich – darum, Kostüme für die Götterdämmerung bei anderen Theatern oder Verleihfirmen zu erhalten. Er handelte sich eine lange Reihe von Absagen ein, weil entweder der Ring, wie in Leipzig, an den angefragten Theatern auf dem Spielplan stand oder der Fundus eines Leihgebers verbrannt war.23 Seine Anfrage zeugt auch davon, dass der eigentliche Anspruch, eine künstlerisch einheitliche Produktion herzustellen, an der Notwendigkeit der Improvisation scheiterte. Denn offensichtlich war es nicht möglich gewesen, dass Wieland Wagner selbst – wohl aus Materialknappheit – für die Kostüme des Rings vorständig verantwortlich zeichnen konnte. Ein Schreiben Lüsenhops aber, das am 14. Juli 1943 an Wagner erging, versicherte diesem für einen anderen Kontext – hier für eine geplante Tannhäuser-Produktion –, den von ihm angefragten „Schleierstoff“ besorgen zu können, wenn Lüsenhop Angaben zur notwendigen Menge des Stoffs vorlägen.24 Theater im Krieg zu machen, bedeutete auch eine Knappheit an männlichen Solisten. Für den Februar 1944 sind Schreiben überliefert, mit denen das Altenburger Theater Sänger freizustellen versuchte. Teil der Begründung in diesen Schreiben ist die Bedeutung der Person Wieland Wagners gerade auch mit Blick auf die Festspiele in Bayreuth, die den Aufwand für Altenburg legitimieren soll. Offensichtlich war das Label „kriegswichtig“ alleine nicht ausreichend, die besondere Behandlung zu begründen. Um den Bariton Kurt Rehm einsetzen zu können, bittet Lüsenhop diesen von April bis Juli 1944 vom Militärdienst zu beurlauben.25 Für den Tenor Fritz Worff ist ein Gutachten von Lüsenhop und Overhoff überliefert, das ihm gesanglich und darstellerisch herausragende Qualitäten zuschreibt: „Aufgrund dieses Urteils würde die Generalintendanz des Landestheaters Herrn Worff sofort als jgdl. und Heldentenor verpflichten, wenn er nicht im Wehrverhältnis stünde.“26

Im Schrifttum zu Wieland Wagner blitzt immer wieder der Gedanke auf, dass der nach dem Krieg in Bayreuth von ihm verfolgte Reduktionsstil auf den Mangel an Material in Kriegszeiten zuvor zurückzuführen sei – in Altenburg aber auch in Nürnberg. Somit wurde die viel bemühte sogenannte Entrümpelung der Bayreuther Bühne während der Bonner Republik als eine Art philosophisch-psychologischer Rekurs auf die verheerende Zeit des Kriegs gedeutet. Mit der Ästhetik der Entleerung wäre demnach, wenn auch nicht explizit, eine künstlerische Haltung Wieland Wagners gegenüber dem Kriegsgeschehen sowie dem Holocaust implementiert, zu denen er sich zeitlebens ebenso wenig äußerte wie zu seinem engen persönlichen Bezug zu Hitler. Der Umstand der extremen materiellen Ausnahmestellung der Ring-Produktion in Altenburg sowie die enorme finanzielle Förderung durch den Nationalsozialismus dort aber sprechen gegen die Deutung, dass die Altenburger Ring-Ästhetik als eine Art Kriegszufall zu deuten wäre, die Wagner dann kreativ mit „Neu-Bayreuth“ wie eine Mahnung konzipiert habe. Es verhält sich gerade umgekehrt: Die Ästhetik der Nachkriegsjahre entwickelte er im Anschluss an die Ring-Arbeiten der Kriegszeit, die sich in ihrer ästhetischen Reduktionshaltung an der moderaten Moderne, wie sie der Staat auch verfolgte, orientierte. Schon der bemerkenswerte Umstand, dass seine andere Altenburger Inszenierung, das Hütchen, keine Reduktionsästhetik bediente, zeigt, dass er mit seiner Ring-Produktion bewusst eine Ästhetik verknüpfte, die das Ergebnis seiner Ausbildung im Nationalsozialismus sowie seines künstlerischen Wollens im Rahmen von politischen Bedingungen war, die im Regime ausdrücklich die Kunst als wichtiges Element des Staats inkludierte. An allem ist Hütchen schuld inszenierte er zeitgleich mit dem Ring. Wagner aber bediente in dieser sehr gut dokumentierten Produktion eine Inszenierungssprache, die, einer Märchenoper angemessen, von folkloristischen und durch und durch naturalistischen Prinzipien getragen war. 

Anders als die Arbeiten zur Oper seines Vaters ist die Ring-Produktion in Altenburg nicht besonders gut dokumentiert. Dennoch aber ließe sich hierzu ein Bild erstellen.27 In Abgleich verschiedener Unterlagen wie einigen Kritiken zu den Aufführungen, einiger weiterer Berichte sowie weniger Fotos ist eine Grundtendenz zu erkennen, bei der Wagner sich an den Arbeiten des berühmten, moderat modernen Emil Preetorius orientiert hatte. Preetorius hatte die in den 1930er und 1940er Jahren in Bayreuth gespielte Ring-Produktion als Bühnenbildner zu verantworten und setzte mit seiner Arbeit, die auch Hitler schätzte, auf einen entschlackten Naturalismus jenseits kitschiger Bärenfellästhetik. Hier setzte Wagner an, der vorsichtig weiter modernisierte. 

Dass die Presse im Nationalsozialismus als gleichgeschaltetes Medium propagandistisch agierte, lässt sich ganz ausdrücklich an der Rezeption Wieland Wagners in den Zeitungen der Zeit nachverfolgen. Er wird hier in aller Regel einseitig affirmativ wegen seiner Herkunft und seiner Begabung, die man als geniehaft im Sinne der Rassenlehre ansah, als Heilsbringer der Opern- und Kunstwelt verstanden. Wegen der unkritischen Haltung der Presse ist es umso wertvoller, dass für die Altenburger Walküre – die ja als erste der Inszenierungen Wieland Wagners Premiere hatte – ein internes ausführliches Gutachten vorliegt, das aus seinem Nachlass stammt und die Lobeshymnen der Presse nicht dupliziert. Es wurde von Rudolf Hartmann verfasst, einem der führenden Theaterleute im Nationalsozialismus mit Intendantenposten an Opernhäusern in Nürnberg, Berlin und München. In diesem Gutachten28 wird sehr detailliert dargestellt, was Wagner in seiner Produktion gerade auch in Abweichung zu den Vorgaben seines Großvaters ausgeführt hatte. Offensichtlich verfolgte Wagner in der Walküren- Produktion die Tendenz eines Einheitsbühnenbilds, in dem nur hier und da ein wechselnder Bühnenort mit entsprechenden Versatzstücken neu bestückt wurde. Kritisch merkt Hartmann an, dass Wieland Wagner im III. Akt beispielsweise auf den von Richard Wagner geforderten „dichten Tannenwald“ verzichtet hatte und Sieglinde „gänzlich ohne Schmuck auftreten“29 lassen hat. Hartmann erkennt eine „Verbürgerlichung der Götter hinsichtlich der Gewandung“.30 Er wendet sich gegen Regieeinfälle, die er als „illusionsstörend“ bezeichnet31 und beklagt eine insgesamt zu düstere Atmosphäre auf der Bühne. Die hatte Wieland Wagner auch deshalb verfolgt, weil er auf Lichteffekte baute, die u. a. die „Projezierung bewegter Flammen“ vorsah.32 Um die Kritik zusammenzufassen, seien drei Forderungen Hartmanns benannt. Alle drei sind mit der von Wieland Wagner vertretenen moderaten Moderne in der Bühnenästhetik der progressiveren Bühnenbildner der Zeit (wie Preetorius) nicht in Einklang zu bringen, sondern drängen auf eine striktere Einhaltung der Werktreueforderung anderer: 1. die Illusion, die gegeben sein müsse; 2. das Erfüllen des Textes durch das Visuelle, vor allem bezogen auf die Bühnen- und Regieangaben; sowie 3. dem Folgen dessen, was Hartman mit Blick auf die „Steinzeit“ und „Eisenzeit“ als historische Wahrheit – auch wenn es sich im Ring um ein mythologisches Werk handelte – bezeichnete.33 

„In Altenburg wurde vorgeprägt, was hier in Bayreuth nach dem Kriege dann Gestalt gewann“34, stellte Wieland Wagners Frau und künstlerische Mitarbeiterin Gertrud Wagner in dem schon erwähnten Interview des Jahres 1959 fest, für das die Reporterin Carola Höhn im Sommer in die Festspielstadt gereist war. Gertrud Wagner berichtete ganz allgemein zu Wieland Wagners Karrierebeginn vor 1945, dies jedoch unter Verzicht eines Hinweises auf die enge Kollaboration zwischen ihm, den Festspielen und Hitler. Die Jahreszahlen aber fallen dem heutigen Leser – ähnlich dem Reporter, der im Böhm-Interview überrascht nachfragte – auf. Sie allein deuten politische Bezüge zu einem Staat an, der alles der Politik, der Macht und dem Morden unterwarf. Gertrud Wagner folgte in ihrem fast naiv anmutenden Mitteilungswillen zum frühen Ring der Überzeugung, dass Kunst apolitisch und ästhetisch begründet sei. Dies ist deckungsgleich mit der Auffassung des Nationalsozialismus, der seine Kulturpolitik entsprechend steuerte, um sich zugleich im Widerspruch zur Behauptung der Trennung von Kunst und Politik beständig und substanziell bei der Kunst zu bedienen. 

Wären Kunst und Politik in der gedachten Weise – gerade in einem diktatorischen System undenkbar – trennbar, so könnte man heute in Altenburg stolz auf die Initiation des Künstlers Wieland Wagner sein, der die junge Bundesrepublik und die Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts wesentlich prägte. Wie in vielen anderen Fällen aber auch ist die hier festzuhaltende Kontinuitätsbewegung aus dem Nationalsozialismus heraus in die BRD35 problematisch, auch weil Wagner und Bayreuth nach 1945 ein Politikum blieben. Hartmann bemühte in seinem Text, den er im Jahr 1944 verfasst haben dürfte, ein Bild, das der Problematik der Kontinuität schon vorausgreift: Das für Wieland Wagner „besonders als Erziehungsstätte geeignete Altenburger Landestheater wurde so für den künftigen Leiter des Bayreuther Festspielhauses gleichsam die Schwerterschmiede, in der er sich für seinen Kampf und den Sieg und Glanz des Namens Bayreuths rüstete.“36 

Das hier verwendete Bild der „Schwerterschmiede“ ist ein kriegerisches und verweist zugleich auf die herausragende ästhetisch-politische Funktion des zentralen Opernwerks im Nationalsozialismus. Der Ring des Nibelungen ist jenes wichtigste Werk des „Dritten Reichs“, das zugleich als das anspruchsvollste der Opernliteratur überhaupt zu gelten hat und mit dem Wieland Wagner sich früh und ausdrücklich erstmalig in der Doppelfunktion als Regisseur und Ausstatter bzw. Bühnenbildner, wie sie theaterhistorisch herausragt, befasste. Der Begriff der „Schwerterschmiede“ rekurriert konkret auf die Figur Siegfried, dem es im Ring gelingt, Nothung zusammenzufügen, ein Schwert, das ihm überirdische Kraft und Macht verleiht. Wenn Altenburg als Schmiede gilt, so kann in Wieland Wagner in diesem Verständnis selbst so etwas wie eine Wunderwaffe in der Art von Nothung gesehen werden. Er wird vom nationalsozialistischen Staat als ein Instrument konturiert, das im weitesten Sinne seiner Funktion als Künstler auch den Zielen des Kriegs dient. Das geschieht zu einer Zeit, als Deutschland sich längst auf der Verliererstraße dieses Kriegs befand, weshalb die irrationale Betonung eines dennoch als möglich erachteten märchenhaften Siegs mit der Idee der Wunderwaffe – wie sie auch propagandistisch seit 1944 kolportiert wird – plausibel erscheint. Bühne und Opernhaus erweisen sich so als Rüstungsorte, welche die Vernichtung mittragen. Somit sind Oper, Politik und Krieg nicht nur untrennbar verbunden, sie bedingen einander in der Auffassung des Nationalsozialismus. Überraschend ist nur, dass das große nationalsozialistische Projekt dieses Bezugs von Kunst, Wagner- Rezeption und Staat bislang nur in wenigen Aspekten zu Tage gefördert wurde. Die Voraussetzung, hier wissenschaftlich zu arbeiten, ist die stringente Verfolgung der These, dass Kunst und Politik im Nationalsozialismus und in Bayreuth konzeptionell symbiotisch verflochten sind.37

1 Dieser Beitrag fasst wesentliche Aspekte zur Tätigkeit Wieland Wagners in Altenburg zusammen. Er basiert auf einem größeren Forschungsprojekt, das an der Universität Bayreuth zur Nürnberger Oper im Nationalsozialismus von 2014 bis 2019 durchgeführt wurde. Siehe Tobias Reichard, Anno Mungen, Alexander Schmidt (Hrsg.): Hitler.Macht.Oper. Propaganda und Musiktheater in Nürnberg, Katalog zur Ausstellung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände vom 14. Juni 2018 bis 3. Februar 2019, Petersberg 2018, insbesondere S. 141–164; außerdem Anno Mungen: „Wieland Wagners erster ,Ring des Nibelungen‘“, in: Silvia Bier, Anno Mungen, Tobias Reichard, Daniel Reupke (Hrsg.) Hitler.Macht.Oper. Propaganda und Musiktheater in Nürnberg [Aufsätze], S. 207–234, Würzburg 2020. Der Autor bereitet zudem ein Buch zur Karriere Wieland Wagners im Nationalsozialismus vor, in dem der Zusammenhang von Politik, Kunst und Krieg weiter thematisiert wird. Es wird voraussichtlich 2021 erscheinen.

2 Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=4C9E_3RDe9s, aufgerufen am 3. August 2020.

3 Gertrud Strobel: Tagebücher, Eintrag vom 15. Juli 1944, im Richard Wagner-Nationalarchiv. Siehe auch Frieder Krause: „Wieland Wagners Wirken als Spielleiter und Bühnenbildner am Landestheater Altenburg 1943/44“, in: Altenburger Geschichts- und Hauskalender 2017, S. 159–164, S. 163.

4 Siehe Krause 2017, S. 163.

5 Ebd., S. 161.

6 Ebd., S. 159.

7 Zu dieser Produktion sind außer einer Kritik keine Materialien wie etwa Fotos oder Entwürfe überliefert.

8 Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg, Nr. 467, S. 54.

9 Theodora Oancea, Artikel „Heinz Drewes“, in: Kollaborateure – Involvierte – Profiteure. Musik in der NS-Zeit, hrsg. von Rebecca Grotjahn, Universität Paderborn/Hochschule für Musik Detmold, siehe: https://kollaborateureinvolvierteprofiteure.uni-paderborn.de/index.php/Heinz_Drewes, aufgerufen am 3. August 2020.

10 Arthur Schmolitzky: „Wieland Wagner in Altenburg“, in: Altenburger Zeitung vom 16.9.1943, Ausriss im Bayerischen Hauptstaatsarchiv

München/Nachlass Wieland Wagner, 93.

11 Kurt Overhoff: Neu-Bayreuth (I), in: Staatsbriefe 6–7/1991, S. 30.

12 Gertrud Strobel: Tagebücher, Eintrag vom 25. Dezember 1944, im Richard Wagner-Nationalarchiv.

13 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München/Nachlass Wieland Wagner, 180. Krause (2017) erwähnt eine „Morgenfeier“ am 4. April 1943 zur Einführung Overhoffs und Lüsenhops. Dies könnte der Anlass der Antrittsrede gewesen sein.

14 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München/Nachlass Wieland Wagner, 180, S. [41].

15 Siehe Brief von Ernst Lüsenhop an Kurt Overhoff vom 2. Mai 1961, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München/Nachlass Wieland Wagner, 4, S. [1].

16 Ebd.

17 Siehe Statistik des Landestheaters Altenburg, Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg, Nr. 170, S. 24.

18 Brief Oberbürgermeisteramt an Ernst Lüsenhop vom 11. Mai 1944, Landesarchiv Thüringen–Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg, Nr. 843, S. 67 f.

19 Probenplan Februar 1944 bis Juni 1944, Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg, Nr. 843, S. 81–85.

20 Siehe Statistik des Theaters Altenburg, Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg, Nr. 170, S. 24.

21 Wieland Wagner an die Schriftleitung der Altenburger Zeitung, 25. Januar 1944, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München/Nachlass Wolfgang Wagner, 164.

22 Brief der Intendanz des Landestheaters an den Schuhmachermeister Ernst Schiebold, Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg, Nr. 843, S. 53.

23 Korrespondenz der Intendanz des Landestheaters mit diversen Firmen und Geschäften vom November und Dezember 1943 sowie Januar 1944, Nr. 843, S. 39–51.

24 Ernst Lüsenhop an Wieland Wagner am 14. Juli 1944, Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg, Nr. 658, S. 64.

25 Intendanz Landestheater Altenburg an das Reichspropagandaamt Thüringen am 5. Februar 1944, Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg

26 Vom 28. Februar 1944, Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Altenburg, Landestheater Altenburg

27 Siehe die Beiträge vom Autor im Katalog sowie im Textband zu Hitler.Macht.Oper.

28 Gutachten „Die Walküre (Neueinstudierung vom 12. Oktober 1943)“, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München/Nachlass Wieland Wagner, 93. Das Faksimile ist abgedruckt in Mungen 2020.

29 Ebd., S. [4].

30 Ebd., S. [5].

31 Ebd., S. [7].

32 Ebd., S. [8].

33 Ebd., S. [4].

34 Carola Höhn: „... gesehen mit den Augen einer Frau. Wieland Wagner“, in: Film und Frau, Heft 18/XI, 3. Vierteljahr 1959, S. 88–96, hier S. 96.

35 Heinz Geuen, Anno Mungen (Hrsg.): Kontinuitäten – Diskontinuitäten. Musik und Politik in Deutschland 1920–1970, Schliengen 2006

36 „Vorwort“ zum Gutachten „Die Walküre (Neueinstudierung vom 12. Oktober 1943)“, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München/Nachlass Wieland Wagner, 93, S. [1].

37 Eine Aufarbeitung der Bayreuther Festspiele als zentraler macht- und raumpolitischer Einrichtung des Staats und seiner Propaganda sowie der in einer Art von Affiliationssystem (wie bei Klöstern im Mittelalter) vonstattengehender Wagner-Rezeption ausgehend von Bayreuth in Deutschland würde von dieser These auszugehen haben. Bislang hat die strikt aufrecht erhaltene Behauptung der Trennung von Kunst und Politik versucht, die Kunst als solche zu retten, da sie und ihre Macher unschuldig seien.

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Theater unser"
"Pledge and Play"