Zwischenrufe
Theater fürs Leben
von Roman Schulz
Erschienen in: 70 Jahre Zukunft – Theater der Jungen Welt Leipzig (03/2017)
Assoziationen: Kinder- & Jugendtheater Sachsen Theater der Jungen Welt
Das TdJW hat mich als einzige Kulturstätte durch mein bisheriges Leben begleitet. Das schafften nicht einmal Oper, Schauspiel- und Gewandhaus. Auch wenn die Erinnerungen an den ersten Besuch im TdJW nur noch vage vorhanden sind, ist das spannende Gefühl »raus aus der Schule, Abwechslung im Alltag« noch spürbar. Waren doch die Kindheitsjahre im vergangenen Jahrhundert tatsächlich eine Zeit ohne permanente Eventkultur, Dauerberieselungs-TV, Web 2.0 und Smartphones. Theaterbesuche avancierten zu Höhepunkten im Schulalltag. Und so begaben wir uns 1970, die Mädchen in blitzsauberen Kleidchen, die Jungen frisch gekämmt und mit geputzten Schuhen, auf eine »Tagesreise« mit der halboffenen Straßenbahn von Gohlis bis zur Kongreßhalle. Ehrfürchtig betraten wir den Weißen Saal und warteten, bis sich der Vorhang öffnete. Weitere Besuche folgten, Theater war eine sehr schöne Abwechslung zum Schulalltag, auch immer ein Eintauchen in eine andere Welt. Als jungen Deutschlehrer verschlug es mich in den 80er Jahren in den trostlos verfallenden Leipziger Osten, wo graue Tristesse bleischwer über maroden Häusern und in Eile errichteten Plattenbauten lag. Nähe Rabet und Kohlgartenstraße wohnte man nicht gerade auf der »Sonnenseite« der Stadt. Die Kids meiner Klasse nahmen Besuche im TdJW dankbar an, waren sie doch teilweise Erstbegegnungen mit kultureller Bildung. Die 90er Jahre muss ich in den Nachwehen der Revolution theatermäßig irgendwie verschlafen haben. Dank meiner Kinder rückte das TdJW kurz vor der Jahrtausendwende wieder in den Fokus. Mit Blick auf meine Favoriten der letzten Jahre »Aus der Traum!«, »Tod eines Handlungsreisenden «, »Human Being Parzival«, »2 Uhr 14«, »Crystal« und »Brennpunkt: X« kann man sagen, dass das TdJW durch seine Aktualität sowie künstlerischen Höchstleistungen längst mehr als ein Theater für Kinder und Jugendliche ist. Das Ensemble kann es auch mit anderen Bühnen aufnehmen. Im Spielzeitheft 2009/10 hatte ich angemerkt, »dass ein Kinder- und Jugendtheater provokant, kreativ und anders sein muss. Konservativ wird man von ganz allein«. Und ich wünsche dem TdJW natürlich für die nächsten Jahrzehnte alle Kraft und die notwendigen Portionen an Kreativität sowie Provokation. Theater fürs Leben? Lebenstheater? Theater ein Leben lang? Ich sage einfach: alles zusammen!