Theater der Zeit

Auftritt

Burgtheater Wien: Der Tod ist eh wuascht

„Zentralfriedhof“ – Regie und Bühne Herbert Fritsch, Kostüme Bettina Helmi / Elena Kreuzberger, Maria-Lena Poindl, Musikalische Leitung Hubert Wild, Trampolinchoreografie Yahya Micah James

von Christoph Leibold

Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Herbert Fritsch Burgtheater Wien

Elisa Plüss, Hans Dieter Knebel, Dorothee Hartinger, Hubert Wild, Arthur Klemt, Tilman Tuppy und Sabine Haupt in „Zentralfriedhof“, Regie Herbert Fritsch am Wiener Burgtheater. Foto Matthias Horn
Elisa Plüss, Hans Dieter Knebel, Dorothee Hartinger, Hubert Wild, Arthur Klemt, Tilman Tuppy und Sabine Haupt in „Zentralfriedhof“, Regie Herbert Fritsch am Wiener BurgtheaterFoto: Matthias Horn

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Als der Wiener Zentralfriedhof 1974 einhundert Jahre alt wurde, widmete ihm der Austropop-Musiker Wolfang Ambros ein Lied, das zu einem seiner größten Hits werden sollte: „Es lebe der Zentralfriedhof!“ Noch einmal fünfzig Jahre später hat sich nun Regisseur Herbert Fritsch einen Theaterabend über einen der größten Totenacker Europas ausgedacht. Mehr noch als ein Beitrag zum 150-jährigen Jubiläum des Zentralfriedhofs ist seine Inszenierung eine Art Epilog zur nur fünf Jahre kurzen Ära von Martin Kušej am Wiener Burgtheater: „Zentralfriedhof“ war die letzte Premiere unter dessen Direktion, ehe im Herbst Stefan Bachmann das Haus übernimmt.

Die „Nachrufe“ auf den scheidenden Intendanten, mit dem Teile von Publikum und Presse nie recht warm wurden, sind bereits geschrieben. Weil der ja aber erfreulicherweise noch unter den Lebenden weilt, griff das alte Motto „De mortuis nihil nisi bene“ hier nicht. So mancher Abgesang fiel äußerst gehässig aus. Doch wie auch immer man die Ära Kušej an der Burg bilanzieren mag: Das hat der 63-jährige nicht verdient.

Herbert Fritsch hat sich davon nicht den Spaß verderben lassen. Von trauerumflorter Friedhofsatmosphäre oder Grabesruhe kann auf seinem „Zentralfriedhof“ jedenfalls keine Rede sein.

Rund 330.000 Gräber gibt es auf dem echten Zentralfriedhof. Auf der Bühne des Wiener Burgtheaters hingegen: kein Grabstein, nirgends. Nur eine rechteckige Aussparung klafft im Bühnenboden. Ein Mann kommt hereingeschlendert. Sein grauer Anzug und die Uniformmütze geben ihn als Friedhofsangestellten zu erkennen. Kurz hält er die Fußspitze in das Loch, gerade so, als wolle er in einem Swimmingpool die Temperatur des Wassers testen. Später werden auch Menschen hineinpurzeln in die Grube und von einem fürs Publikum nicht sichtbaren Trampolin darin wieder hinauskatapultiert. Zu Beginn aber gesellt sich erstmal ein zweiter Friedhofswärter zum ersten, jede Menge Schaufeln schleppend, ehe auf einen Schlag neun weitere, identisch gekleidete Kolleginnen und Kollegen auftauchen.

Sie zwängen sich aus einer Wiener Würstelbude heraus. Diese hier trägt den schönen Namen „Eh scho wuascht“ (hochsprachlich: „auch schon egal“). Einen Imbiss, der so heißt, gibt es neben dem Zentralfriedhof tatsächlich. Für eine Käsekrainer mit Senf und Kren aber ist keine Zeit. Ächzend wird jetzt gebuddelt, was das Zeug hält. Weil das auf den Bühnenbrettern so ganz ohne Erde freilich wenig Sinn ergibt, hat die Plackerei etwas von Luftgitarre-Spielen. Kein Wunder also, dass sich die Totengräber-Simulanten mit den Schaufel-Stielen in die Quere kommen, so wie sie sich zudem alle miteinander in ihren Hosenträgern verheddern zu einem kuriosen Knäuel von Körpern.

„Am Zentralfriedhof ist Stimmung“, sang schon Wolfgang Ambros. Der Friedhofsbesuch von Herbert Fritsch fällt ebenfalls bestens gelaunt aus. Das erste Drittel dieses – übrigens weitestgehend wortlosen – Abends ist tokomisch, abgrundtief albern. Nur abgründig ist es nicht. Soll der Abend wohl aber auch gar nicht sein. Spätestens als Fritschens Friedhofsbelegschaft auf Fahrrädern übermütige Runden dreht, wird klar: Der Regisseur will den Wiener Hang zum Morbiden und damit auch die Erwartungen an ein Stück über den Zentralfriedhof bewusst nicht bedienen. Slapstick statt schwarzhumoriger Schmäh scheint seine Devise. Natürlich gibt es daher auch mit den Rädern bald komische Komplikationen. Da liegt dann schon Mal einer am Boden, die Hände immer noch am Lenker, das Fahrrad über ihm, und strampelt in die Pedale wie ein Käfer auf dem Rücken. Ein köstliches Kabinettstückchen von viele.
Irgendwann scheint dann aber doch Schluss mit lustig zu sein. Ein Skelett schwebt herab vom Schnürboden. Die Schauspieler:innen haben sich schwarze Rüschenkleider übergezogen und so in trauernde

Witwen einer lateinamerikanischen Totenfiesta verwandelt, die Gesichter hinter den Schleiern geschminkt wie Horrorclowns. Auf das Klappern der Gebeine des Knochenmanns reagieren sie mit Zappeln, Zetern, Zittern und Zagen, ehe sie eine Art Ausdruckstotentanz in Zeitlupe performen. Eine gibt den sterbenden kohlrabenschwarzen Schwan.

Gruselig ist das nicht, eher ein bisschen zu gewollt grotesk. Sagen wir mal so: In der Mitte der Aufführung herrscht tendenziell tote Hose. Dann aber schneit es Konfetti, das Ensemble verwandelt sich noch einmal, wickelt sich in bunte Binden. Wie scheckige Mumien sehen nun alle aus. Oder aber: wie Insekten-Larven, frisch verpuppt. Nicht moribund, sondern bereit zur Metamorphose. Da findet der zirkusnummern-verliebte Regisseur zu einer geradezu zauberhaften Nonchalance. Vielleicht ist der Tod ja wirklich „eh wuascht“, also unbedeutend, weil nicht das Ende, sondern nur der Anfang von etwas Neuem. Insofern setzt diese Inszenierung auch einen tröstlichen Schlusspunkt ans Ende der Direktion von Martin Kušej. Herbert Fritsch schlägt nicht den Sargdeckel zu. Denn auch das Burgtheaterleben wird nach einer Metamorphose ja weitergehen.

Erschienen am 23.4.2024

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