Bericht
Grenzbefreite Schöpfungen
„Jubiläumskonzert der Dinge“ in der Schaubude
Im Mai 2018 feierte die Berliner Schaubude mit dem „Jubiläumskonzert der Dinge“ ihr 25-jähriges Bestehen und präsentierte an fünf Abenden einen Parcours mit internationalen Produktionen zwischen Objekttheater, Klangkunst und Installation.
Erschienen in: double 38: Face-Off – Politiken von Gesicht und Maske (11/2018)
Assoziationen: Berlin Puppen-, Figuren- & Objekttheater Schaubude Berlin
Die Stadt bauen die Zuschauer*innen selbst. Sie besteht aus Holzklötzen, zwischen die Spielzeugautos und Miniatur-Menschen gesetzt werden. Man kann die Objekte verschieben und es aus einem Zuckerstreuer auf das kleine Häusermeer und seine Bewohner*innen schneien lassen. Doch was nach Beschaulichkeit und Verspieltheit klingt, gewinnt eine beklemmende Dimension durch die aufgezeichneten Interviews, denen man über Kopfhörer lauscht. „Das Haus der obdachlosen Frauen“ hat die katalanische Künstlerin Xesca Salvà ihre interaktive Installation betitelt und eben diese berichten auf der Audiospur von einem täglichen Existenzkampf, der gleich nach dem Aufwachen beginnt. Wo ist eine Toilette? Wo ist ein kurzes Auffrischen möglich, ohne des Platzes verwiesen zu werden? Und, die vielleicht dringlichste Frage: Woher die Energie nehmen, den Sisyphoslauf des Immergleichen zu bewältigen?
Dokumentarisches Objekttheater
Die weiblichen Wohnungslosen, mit denen Salvà im Zuge ihrer Recherche gesprochen hat, berichten von ihrem Dasein im Draußen und im gesellschaftlichen Abseits mit staunenswerter Klarheit und vollkommen selbstmitleidfrei. Sie erzählen von gestohlenen Habseligkeiten, der Angst, im Schlaf angezündet zu werden, oder von schlechten Ratschlägen der verbliebenen Wohlmeinenden: „Du könntest doch einfach bei Bekannten übernachten.“ Währenddessen puzzelt man, zusammen mit einer Spielpartnerin oder einem Partner, auf einer Glasplatte das anonyme Setting zusammen, die unbehauste Urbanität en miniature, und entrollt schließlich ein Transparent mit der Aufschrift: „Es ist kalt hier draußen!“
Die Arbeit, die im Foyer der Berliner Schaubude aufgebaut ist, gehört zu einem größeren Projekt. Insgesamt gibt es drei solcher Häuser, denen man lauschen und die man bespielen kann, und sie alle erzählen von Einsamkeit. „Das Haus der Großmutter“ hat das Alleinsein im Alter zum Thema und lässt hinter geblümten Tapeten die Tragödie der irreversiblen Ungebundenheit aufscheinen. Das „Haus der Lust“ hingegen gehört den Sexarbeiterinnen. Es sieht nach Puppenstube aus, ein Rollo lässt sich hochfahren und gibt den Blick auf Beine in roten High Heels frei, in einer oberen Etage ist ein Pornokino im Taschenformat eingerichtet. Dazu berichten die Frauen vom Alltag im Job. Von Vorurteilen gegenüber SM zum Beispiel. Diese Spielart des Verkehrs gelte ja als düster, als abgründig, „aber ich lache die ganze Zeit“, berichtet eine der anonymen Stimmen.
Salvàs „Häuser“ sind Teil des Festivals „Das Jubiläumskonzert der Dinge“, mit dem die Schaubude, das Figuren- und Objekttheater an der Greifswalder Straße, sich selbst zum 25-jährigen Bestehen gratuliert. Die Arbeit sticht hervor, weil sie dem Genre, das ja viel mehr noch als das Schauspiel vom grenzbefreiten Schöpfungsgedanken lebt, eine dokumentarisch-realistische Ebene einzieht, die trotzdem das Sinnlich-Haptische nicht erstickt. Und der in allen drei Fällen das Kunststück glückt, im Spielerischen die sozialen Sujets nicht zu verzwergen. Gerade der Kontrast zwischen trostloser Schilderung und eigenem Begreifen der Dinge öffnet die Räume des Uneindeutigen, die das Werk vor aller Didaktik bewahren.
Die Schaubude beweist mit dem „Jubiläumskonzert“ jedenfalls eine Kontinuität: den State of the Art des Figuren- und Objekttheaters abzubilden beziehungsweise ihn voraus zu spüren und mitzuformen – nunmehr im 25. Jahr nach der Neugründung 1993. Gerd Taube war es damals, der das abgewickelte staatliche Puppentheater Berlin auf neue Beine stellte und erstmals einen Spielplan für Erwachsene etablierte. Das Genre hatte zu der Zeit ja noch mit einigen Vorurteilen zu kämpfen und dazu noch den Brückenschlag zwischen (Ost-)Puppentheaterkunst und (West-)Figurentheater zu leisten. Intendantin Silvia Brendenal, die das Haus 1997 übernahm, internationalisierte in den folgenden Jahren das Programm – maßgeblich beeinflusst vom französischen Théâtre d’objets, das ähnlich dem Neuen Zirkus im Nachbarland schon lange viel avantgardistischer ausgeprägt war als das deutsche Pendant.
Mit Tim Sandweg schließlich, der die Schaubude nun seit 2015 leitet, hat neben vielem anderen die Digitalisierung Einzug ins Berliner Figuren- und Objekttheater gehalten. Bemerkenswerte Festivals auf der Höhe der Zeit hat es seitdem an der Greifswalder Straße gegeben, etwa das internationale „Theater der Dinge“ unter dem Tocotronic-Motto „Digital ist besser“. Überhaupt ist es ja beachtlich, mit welchem Geschwindigkeitsvorsprung vor anderen Genres die Figuren- und Objektkünstlerinnen und -künstler bisweilen auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren vermögen.
Mechanisches Wunderwerk
Doch auch dort, wo nicht der technische Fortschritt im Fokus steht, überraschen die Erlebniswelten der Objekte. Wie in der Installation „No em va fer Joan Brossa – Ich entstamme nicht Joan Brossa“ der katalanischen Gruppe Cabosanroque. Sie verbeugt sich vor dem titelgebenden Dichter, Grafiker, Theater- und Filmemacher Brossa mit einem mechanischen Wunderwerk. Es besteht aus Schreibmaschinen, die selbsttätig tippen können, einem Meer aus Bechern und Gläsern, in denen die Flüssigkeit unversehens zu blubbern beginnt, und einer weißen Plane, die sich hydraulisch hebt – eine Anspielung auf Brossas Sonett „halb mit einem Betttuch bedeckt“. Wie sich überhaupt der gesamte, auch mechanisch musizierende Apparat aus Verweisen aufs Werk des Avantgardisten zusammensetzt. Der ist anfangs in einer Tonaufnahme mit einer Rückschau auf seine Verwundung im Spanischen Bürgerkrieg zu hören. Erzählt, wie eine Krankenschwester an seinem Bett bemerkte: „Dieser Typ wäre besser tot.“ Bestürmend, wie Cabosanrouqe die undurchschaubare Verbundenheit von Gewalterfahrung und künstlerischem Schaffen komplex erfahrbar machen.
Weit lichter geht es im „Petit Cirque“ zu, dem kleinen Zirkus, den der französische Künstler Laurent Bigot aufgebaut hat. Bigot lädt in eine elektroakustische Miniatur-Manege ein, in der kleine Ballerina-Figuren auf dem Seil tanzen, eine Lautsprecher-Membran als Trampolin dient und ein Brummkreisel-Panda seine eigenwilligen Runden dreht. Womit ein circensisches Spektakel spielerisch bedient, eine Oberflächlichkeit aber auch gewitzt unterlaufen wird. Das „Jubiläumskonzert der Dinge“ überzeugt in jeder Tonart. –
www.schaubude.berlin