Gespräch
Der Griff in die Zeitlosigkeit
Jan Pappelbaum versetzt Shakespeares Stücke in einen schwebenden Zustand – Das Globe Theatre für „Richard III.“
von Jan Pappelbaum und Ute Müller-Tischler
Erschienen in: Arbeitsbuch: Bild der Bühne, Vol. 2 / Setting the Stage, Vol. 2 – 17 Bühnenbildner:innen im Porträt (06/2015)
Assoziationen: Kostüm und Bühne Akteure

Jan Pappelbaum, nach „Sommernachtstraum“, „Hamlet“, „Othello“ und „Maß für Maß“ haben Sie kürzlich die Bühne für die fünfte Shakespeare-Produktion von Thomas Ostermeier ausgestattet. Aber erst „Richard III.“ spielt in einem richtigen Globe Theatre. Warum erst jetzt?
Den halbrunden, kleinen Saal als Shakespeare-Arena, als ein Globe einrichten, das wollten wir schon lange. Der Grundraum dafür ist in der Form der Apsis in der Theaterarchitektur angelegt. Als die Berliner Schaubühne Anfang der Achtziger gebaut wurde, gab es die Idee, hier alle Raumformen der Theatergeschichte einrichten zu können. Und nichts anderes haben wir dann auch gemacht. Diese Art von Theater, bei der es eine so große Nähe zwischen Spielern und Publikum gibt, ist ein alter Traum von uns.
Die Unmittelbarkeit der Kommunikation mit dem Publikum spielt bei „Richard III.“ eine weit größere Rolle als in den anderen Shakespeare-Stücken. Insofern war auch die Besetzung der Hauptrolle mit Lars Eidinger nicht unwichtig für unseren Entwurf, weil er einfach ein großer Meister der Interaktion ist. Von allen Bühnen, die ich für Ostermeiers Shakespeare-Block gebaut habe, ist das Globe eine mit der größten Referenz zum Original. Die Bühne und der Zuschauerraum bilden einen Einheitsraum. Durch das direkte Gespräch der Hauptfigur mit dem Publikum befindet es sich mit ihm in derselben Zeit. Das hat sich bei den anderen Shakespeare-Bühnen nicht so einfach hergestellt. Vielleicht bei „Hamlet“ noch, auch da ist es im Text angelegt. Allerdings hatte ich damals noch stärker die architektonische Obsession der freistehenden Bühnenkörper, die aber eine gewisse Distanz schaffen. Weil sie als Schmuckstücke oder als Kunstwerke funktionieren, muss die Hürde zwischen ihnen als Bühne und dem Publikum erst überwunden werden.
„Maß für Maß“ war eher ein Zwischenschritt, ein riesiges goldenes Kabinett mit einer Sogkraft. Hier, bei „Richard III.“, ist es eine gebaute architektonische Einheit.
Das Globe verbindet Elemente des Volkstheaters mit denen der antiken Arena. In frühen Arbeiten von Ihnen hat diese Bühnenanordnung auch schon eine maßgebliche Rolle gespielt, wenn man an „Personenkreis“ oder „Das Kontingent“ denkt. Welche Bedeutung haben die historischen Modellbühnen für Sie?
Natürlich habe ich die Qualität der historischen Räume im Kopf und beschäftige mich deshalb intensiv mit den Grundräumen, in diesem Fall mit der Raumstruktur des Shakespeare-Theaters. Das Globe war ein Abbild des damaligen Weltbildes. Man hatte die reale Gegenwartsebene, die Volksebene auf normalem Bühnenniveau, aber auch die Ebene der Hölle, diesen Auftritt von unten. Diesen hatten wir auch einmal so gedacht, aber er brachte dann spielerisch zu wenig. Dafür haben wir den Mittelauftritt aus dem Publikum, der ja mehr oder weniger auch von unten aus dem Schmutz kommt. Und es gab die Ebene des Himmels oder der Aristokratie oben auf dem Balkon. Dieses Element haben wir auch übernommen, weil es auch für die Raumarrangements toll ist. Eigentlich kann man den ganzen Raum als einen Spielplatz sehen. Was mich aber noch viel mehr in meiner Recherche beschäftigte: Wo gibt es solche Formen von Theater oder von Räumen noch, die diese Unmittelbarkeit haben? Und wenn ich jetzt im Globe sitze und auf die Bühne schaue, weiß ich, dass die Stierkampfarena einen großen Einfluss auf den Entwurf hatte. Für mich ist dieser Raum stärker eine Arena als eine Bühne geworden, natürlich auch durch das Holzmaterial der Brüstungen und die Lehmfläche in der Mitte, um die herum das Publikum sitzt und zum Teil des Geschehens wird, hinter Schutzwänden auf einem Schlachtfeld. Bis hin, dass die vorgezogene untere Holzbrüstung nicht nur die Ränge gestalterisch aufbrechen soll, sondern dem Publikum nah an der Spielfläche Schutz anbietet. Das alles scheint fast wie in einer Stierkampfarena zu sein, da gibt es auch immer solche Wandstücke, hinter die sich der Torero in seiner größten Not, bevor er ganz aufgespießt wird, noch flüchten kann. Das alles spielte eine große Rolle für die Auswahl der Materialien des Bühnenbaus. Was ich direkt übernommen habe, sind Motorrad-Arenen, die in den letzten Jahren eine große Faszination auf mich ausübten; und die eigentlich großen Holzzylinder sind ein Kessel, in den man von oben hineinschaut. So eine alte Holzarena, ein Motodrom, habe ich von Schaustellern in Hude aufgekauft, um aus ihr diese Zuschauerraumverkleidung zu machen. Und natürlich lebt der Raum jetzt auch von diesem Material, das in seinem sichtbaren Verbrauch eine eigene Geschichte mitbringt. Genauso wie der Lehm auf der Spielfläche als zeitloses Material unglaublich viele Assoziationen zum Leben, zum Spielplatz, aber auch zu Krieg und Tod hat.
Als Bühnenbildner und Ausstattungsleiter der Schaubühne sind Sie eben nicht gerade dafür bekannt geworden, mit einer Vintage-Optik zu arbeiten. Eher das Gegenteil war der Fall. Heißt das, eine unverbrauchte, glitzernde Bühnenästhetik, wie wir sie von Erfolgsinszenierungen wie „Nora“ oder „Hedda Gabler“ kennen, ist kein Thema mehr für Sie?
Keine Angst, die verführerischen Gegenwartsinterieurs sind nicht verschwunden. Aber sie gehören nicht in die Welten der Shakespeare-Stücke, die ja von der Handlung noch mit der Aristokratie verknüpft sind, daraus kann man nicht mal eben so ein Gegenwartsstück machen wie aus einem guten Ibsen. Bei Shakespeare ist es wichtig, mit dem Material der Bühne einen Bogen über die Zeiten zu schlagen, so dass das Geschehen in der Geschichte und in der Gegenwart spielt. Und genau dafür ist diese Art des gebrauchten, zeitlosen Materials richtig und wichtig. Und wir nutzen das so bereits bei „Hamlet“, oder vor längerer Zeit für eine Eskaladierwand in Brechts „Mann ist Mann“.
Was Sie beschreiben, sind meist Interieurs gewesen, die eine Handlung repräsentativ in die Gegenwart setzen. Der Zugriff, den Thomas Ostermeier bei Ibsen macht, ist der, die Texte als Gegenwartsstücke zu lesen. Ich habe das noch unterstützt mit dem Bühneninterieur und der Architektur, in der sich die Figuren aufhielten. Das ist aber bei Shakespeare etwas anderes, weil Shakespeare eben nicht aus einer bürgerlichen Zeit kommt und die gesellschaftlichen Strukturen der Stücke andere sind. Deshalb versuchen wir bei Shakespeare eine Art schwebende Zeitlosigkeit zu schaffen. Man schaut nicht auf „Hamlet“ und sagt, das ist ein Stück, das heute spielt. Allerdings könnte es auch heute spielen, es ist vom Optischen her in einer Zeitlosigkeit belassen.
Im klassischen Globe Theatre hat man unter freiem Himmel und bei Tageslicht gespielt. Man musste damals also auch mit den natürlichen Umwelteinflüssen umgehen. Bei „Richard III.“ wird Lehm wie in der Stierkampfarena verwendet, und bei „Hamlet“ ist es Schlamm auf dem Kampffeld. Sind das auch Referenzen an die elisabethanische Bühne zu Shakespeares Zeiten?
Der Regen zu Beginn bei „Hamlet“ entstand beispielsweise auf der szenischen Probe gemeinsam mit Thomas Ostermeier und den Schauspielern. Das ist jetzt nichts, was ich als Bühnenbildner vorher anlege, sondern es ist eher die Poesie der Materialität, die mich hier interessiert, die Erde, die ganz viele Assoziationen weckt. Es gibt sie heute genauso, wie es sie vor Millionen von Jahren gab, und dazu kommen noch Materialien wie ebendieser goldene Kettenvorhang bei „Hamlet“. Dieses goldene Material ist zwar in seiner Farbe aristokratisch, aber durch seine architektonische Ausformung modern. Das erste Mal gesehen habe ich ihn in einem Nachtclub in Moskau. Ich suche ständig nach Materialien, Oberflächen, Details, die sich selbstverständlich sowohl im Gestern wie im Heute aufhalten. So auch bei dem goldenen Kabinett für „Maß für Maß“. Da war die Oberfläche altes Blattgold, das wir auf die Wände gelegt haben. Dieses Material findet sich in der modernen Innenarchitektur von Hotellobbys oder Schwimmhallen häufig.
Wie im „Sommernachtstraum“, bei dem das Geschehen in ein Hotelfoyer verlegt wurde?
Auch das war ja im Grunde die ähnliche Idee wie jetzt im Globe. Constanza Macras und Thomas Ostermeier brauchten erst mal nur einen großen Spielplatz, um mit den Spielern auf der Probe die konkreten Szenen entwickeln zu können, und wollten räumlich wenige Einschränkungen, aber eine Konzentration und Öffnung zum Publikum haben. Von der Shakespeare-Bühne kam wieder der Balkon mit einer großen Treppe, und wir brauchten die Situation einer Party im öffentlichen Raum. So wurde aus dem Spielraum konkret ein Foyer, durch dessen trübe Rückwand ein unscharfes, geheimnisvolles Außen zu erahnen war. Der Unterschied zu Ibsen und zu reinen Gegenwartsstücken, bei denen es vor allem darum geht, dass wir unsere Zeit und auch uns selbst wiederfinden und deshalb auch die Architektur der Gegenwart zur Verführung nutzen, ist wirklich der Griff in die Zeitlosigkeit.
Hat die Beschäftigung mit dem Globe Theatre Ihre Auffassung, wie man Bühnen bauen sollte, verändert?
Ich finde es natürlich schade, dass ich nicht immer solche Gesamträume bauen kann (lacht). Nein, das war wieder eine Aufgabe, die noch mal ganz andere Leidenschaften bei mir geweckt hat. Der ursprüngliche Impuls, warum ich als studierter Architekt überhaupt ans Theater gekommen bin, über die Baracke am Deutschen Theater und das Bockenheimer Depot zur Schaubühne, war immer der Gedanke, nicht einfach Bühnenbilder zu entwickeln vor einer feststehenden Zuschauersituation, sondern Räume als Ganzes zu denken. Zum einen wie im künstlerischen Grundsatz der früheren Schaubühne, dass jeder Text eigentlich die Raumsituation zum Aufblühen braucht, für die er geschrieben wurde. Ob das stimmt oder nicht, sei mal dahingestellt, aber es hat mit der für die Zeit normalen Kommunikation zwischen Bühne und Zuschauern zu tun, die eben in den Texten steckt. Oder dass man für jede Aufführung individuelle Raumformen findet, die das Optimum für die jeweilige Inszenierungsidee bedeuten. Das haben wir viele Jahre versucht, aber unsere Technik brach uns irgendwann regelrecht zusammen. Das ist in einem Repertoire nicht lange zu machen. Und wir mussten uns eingestehen, dass man nicht für eine gute Aufführung jedes Mal den ganzen Raum verändern muss. //