Unort-Projekte
ID-clash
von Angie Hiesl + Roland Kaiser und Roland Kaiser
Erschienen in: Recherchen 127: Darstellende Künste im öffentlichen Raum – Transformationen von Unorten und ästhetische Interventionen (12/2017)
Ziel des Projekts
Thema des Projekts ist Transidentität mit Blick sowohl auf individuelle wie gesellschaftliche Dimensionen. ID-clash stellt die Ausschließlichkeit der geschlechtlichen Zweiteilung in männlich und weiblich in Frage und wirft einen Blick auf andere Dimensionen der Geschlechteridentifikation. Transidente Menschen widerlegen die Gültigkeit eines rein binären Systems und damit verbundene Rollenerwartungen. Dies stößt gesellschaftlich oftmals auf Widerstand. Der Diskurs um Gleichstellung ist von Tabuisierungen und Vorurteilen belastet. Es schwingt die Frage nach der „Gesellschaftsfähigkeit“ von Transidentität mit. Die Akteurinnen des Projekts kommen aus Europa, Südamerika und Bangladesch (sogenannte Hijra, das Dritte Geschlecht). Es sind Menschen, die das Thema durch ihr Sein verkörpern: Transidente, Menschen, die sich der Geschlechterrolle, die ihnen durch Geburt zugekommen ist, entziehen, da sie sich durch sie nicht beschrieben fühlen. Biografien und persönliche gesellschaftliche Hintergründe der Performerinnen bildeten die Grundlage für die künstlerische Umsetzung von ID-clash. Die Gegenüberstellung und Zusammenführung kulturell unterschiedlicher Umgangsweisen mit dem Thema „ver-rückt“ beim Betrachter Wahrnehmungsmuster und weitet den Blick für eigene Denk-Schablonen.
Der Begriff Unort wurde für die künstlerische Konzeption auf zwei Ebenen interpretiert:
–Auf einer persönlich individuellen Ebene: Die Erfahrung des eigenen Körpers als Unort, als „falsch“ und das damit verbundene Gefühl der gesellschaftlichen Ver-un-ortung sind persönliche Dimension von Transidentität. Oft wird der Schritt zur eigenen „Neu-ver-ortung“ mittels geschlechtsangleichender Körpermodifikation vollzogen.
–Auf einer räumlichen Ebene: Der urbane Unort, an dem das Projekt realisiert wurde, war eine zentrale Reibungsfläche in der künstlerischen Umsetzung des Themas.
Unter der thematischen Klammer Unorte mag die Wahl der Stadtgärtnerei zunächst befremdlich klingen, sie kommuniziert mit dem Thema des Projekts jedoch genau. Die Stadtgärtnerei ist einerseits ein Ort des Wachsens und Gedeihens, andererseits auch ein Ort der tausendfachen Zucht und Reproduktion von Pflanzen, der bei der Abweichung von Normen nur in Maßen tolerant ist. Die Produktionsanlagen beinhalten Besamungsmaschinen, Umtopfungsanlagen und Gewächshäuser, die in unterschiedlichen Stadien optimierte Entwicklung garantieren. Für die installatorische Umsetzung von ID-clash wurde auf diese materielle Erscheinung der Gärtnerei zugegriffen und so die Erwartung an Normen und Regeln ironisch überhöht.
Die Stadtgärtnerei in Köln bringt zusätzlich den besonderen Umstand mit sich, vom Hochhaus des TÜV Rheinland (Technischer Überwachungsverein) und von einem Friedhof eingerahmt zu werden. Zuschauer betraten die Aufführungsfläche entweder über die TÜV- oder über die Friedhofseite, wodurch das Projekt bereits ein atmosphärisches Fundament gefunden hatte. Die Uraufführung fand am 10. Oktober 2013 in der Stadtgärtnerei Am Grauen Stein in Köln statt.
Resonanz, Herausforderungen und Wünsche
ID-clash ist in einem breiten Netzwerk internationaler Partnerschaften entstanden, von dem das Projekt nachhaltig profitiert. Aufführungen des Projekts innerhalb dieses Netzwerkes sind 2015 und 2016 für vier Städte in drei Ländern in Planung. Für organisatorische Aufgaben war das Goethe-Institut in Dhaka/Bangladesch ein unentbehrlicher Partner. Es hat für Angie Hiesl und Roland Kaiser einen vorbereitenden Workshop in Dhaka organisiert und so die Recherchen vor Ort und die Besetzung des Projekts mit zwei Hijra ermöglicht. Da Hijra in Bangladesch in vielerlei Hinsicht gesellschaftlich ausgegrenzt werden und da nur eine der beiden überhaupt im Besitz eines Passes war, war die Beschaffung von Visa ein mühsamer bürokratischer Weg. Dem Goethe-Institut ist es zu verdanken, dass die beiden Hijra mit Beginn der Proben tatsächlich in Deutschland anwesend sein konnten. Die Recherche des Performance-Orts war ein langwieriger Prozess. Mit Blick auf das sensible Thema und auf die Entscheidung, dass biografische Aspekte der Akteurinnen eine wichtige Grundlage für die künstlerische Umsetzung sein sollten, wurde ein Ort gesucht, der öffentliche und private Räume miteinander verband. Unter diesem Aspekt betrachten wir den Fund der Stadtgärtnerei als wahren Glücksfall.
Dass Angie Hiesl und Roland Kaiser ihre neue Produktion „ID-clash“ in der zwischen TÜV und Friedhof gelegenen Kölner Stadtgärtnerei in Poll zeigen, ist kongenial: Bildhafter als in den Gewächshäusern im städtischen Irgendwo könnte das Spiel nicht sein. […] Hier geht es um Säen, Hegen und Ernten; um das, was in manch einem angelegt ist und wachsen will.
(Brigitte Schmitz-Kunkel: „Zarte Pflanzen im Irgendwo“, Kölnische Rundschau, 12.10.2013)
Offenbar ist es mit ID-clash gelungen, die sehr persönliche Dimension des Themas Transidentität zu kommunizieren. Stärker als bei anderen Projekten der Angie Hiesl Produktion suchte das Publikum das Gespräch und hier insbesondere auch den persönlichen Austausch mit den transidenten Akteurinnen. Die interkulturelle Dimension des Projekts, die Begegnung kulturell bedingt unterschiedlicher Biografien, hat dies verstärkt. ID-clashwurde 2013 für den Kurt-Hackenberg-Preis für politisches Theater und den Kölner Tanztheaterpreis 2013 nominiert.
Uraufführung: 10.10.2013, Köln-Poll, Stadtgärtnerei
Beteiligte: Künstlerische Leitung und Stab 16 Personen,
5 Darstellerinnen
Aufführungen: 15 (davon 5 in Köln, 5 in Düsseldorf und 3 in Bangladesch, Dakha)
Zuschauer: ca. 1300
Länge der Aufführung: ca. 110 Min.
Freier Eintritt
Akteure
Angie Hiesl, aufgewachsen in Venezuela, Perú und Deutschland, lebt seit 1975 in Köln. Seit den 1980er Jahren ist sie als Regisseurin, Choreografin, Performance- und Installationskünstlerin tätig. In Deutschland war sie Pionierin für ausschließlich ortsspezifische Tanz- und Theaterprojekte.
Roland Kaiser, aufgewachsen im Schwarzwald, lebt seit 1987 in Köln. Er hat eine Ausbildung in experimentellen Theaterformen und Tanz, ist Regisseur, Choreograf, Performance- und bildender Künstler.
Unter dem Label Angie Hiesl Produktion realisieren Angie Hiesl und Roland Kaiser seit 1997 gemeinsam interdisziplinäre Projekte im öffentlichen und privaten Raum. Ihre bildnerischen und performativen Interventionen verwandeln kunstfremde, urbane Orte temporär in Kunsträume. Hiesls und Kaisers originäre ästhetische Ausdrucksformen sind sinnliche Provokationen und eine Einladung an Publikum und Passanten, einen neuen Blick auf vertraut Geglaubtes zu werfen. Ihre Projekte wurden vielfach ausgezeichnet und erfahren weltweit große Anerkennung.
Performerinnen: Anonnya (Bangladesch), Katha (Bangladesch), Melissa Marie Garcia Noriega (Kuba – Deutschland), Michelle Niwicho (Deutschland), Greta Pimenta (Brasilien – Deutschland);
Technische Leitung: Lutz Dunsing, Kostüme: Rupert Franzen, Management: Burkhart Siedhoff, Projektassistenz: Simone Kieltyka, Mitarbeit Organisation: Pascale Rudolph
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