Theater der Zeit

Nicht Realismus, sondern Realität

Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)

Assoziationen: Theatergeschichte

Szene aus „Nach Moskau! Nach Moskau“ in der Regie von Frank Castorf. Vorn im Bild Bernhard Schütz als Ossip. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin 2010. Foto Thomas Aurin
Szene aus „Nach Moskau! Nach Moskau“ in der Regie von Frank Castorf. Vorn im Bild Bernhard Schütz als Ossip. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin 2010.Foto: Thomas Aurin

Theaterkunst kann den neoliberalen Verführungen, wie der kurze Blick auf Arbeiten wie die von Sellars, des Théâtre du Soleil, von Thomas Ostermeier zeigte, widerstehen. Die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wurde für über ein Jahrzehnt zu dem wohl bedeutendsten Theater der westlichen Welt mit Inszenierungen, die engagiert-kritisch von gesellschaftlichen Verhältnissen, den „social structures“ und „historically contingent forces“ sprechen, die wesentlich Verhalten der Individuen prägen. Ich nenne hier nur die Arbeit Frank Castorfs. Seine großen Produktionen waren/sind der für mich spannendste Ansatz radikal kritischer Kunst in einer historischen Situation, in der nach der kläglichen Implosion des Realsozialismus für lange Zeit eine grundsätzliche Alternative nicht mehr sichtbar ist, vielleicht für Jahre eine realistische wohl nicht einmal gedacht werden kann. „Eine solidarische Gesellschaft ist der irre, unerfüllte Traum. Eine solidarische Gemeinschaft – ist vielleicht noch möglich“, überlegte Castorf 1996 zum Zusammenschluss Jugendlicher in extrem rechten, faschistoiden Gruppen. Es sei „die Zuflucht gegen eine Gesellschaft, die liberal Moral als Herrschaftsmittel einsetzt: zur Ghettoisierung durch scheinbare Pflege von Tabus, die sie selber ja auch dauernd bricht, freilich viel raffinierter. Die Vorschläge dieser Gesellschaft, und das ist das Heuchlerische dieses Liberalismus, sind unfair; sie gelten nur für die, die es packen.“ Die DDR, wie immer man „über...

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