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Vor längerer Zeit, ich war Philosophiestudent der Berliner Humboldt-Universität, reiste ich mit einigen Kommilitonen zu einem Studentenaustausch nach Prag. Dort trafen wir Gleichaltrige, die dasselbe Fach studierten, und eines Nachmittags empfing uns ein Professor der gastgebenden Fakultät zu einem Vortrag. Die Niederschlagung des Prager Frühlings und die darauffolgenden Säuberungen an den Universitäten lagen erst wenige Jahre zurück, worüber also sprechen zu den jungen Leuten aus dem Nachbarland, dessen Führung die Militäraktion unter sowjetischem Kommando ausdrücklich gebilligt hatte? Die Einzelheiten des Vortrags sind mir entfallen, sein Friedrich Schiller entlehnter Titel blieb mir dagegen im Gedächtnis: Auch eine Nicht-Handlung ist eine Handlung.
Es gibt Zeiten, in denen offener Widerstand gegen die Macht sinnlos ist. Deshalb muss man den Machthabern nicht nach dem Munde reden. Man kann Gefolgschaft und Zustimmung verweigern, seine ablehnende Haltung in beredtes Schweigen fassen – das, so denke ich heute, wollte der kurz vor seiner Emeritierung Stehende seinen Ostberliner Gästen mit auf den Heimweg geben.
Auch eine Nicht-Handlung ist eine Handlung: ein lohnender Gegenstand für weitläufigere Reflexionen. Welche näheren Umstände verbürgen die Wahrheit dieser Behauptung? Was stempelt eine Nicht-Handlung zu einer Handlung besonderer Art? Worin besteht das Wesen der Handlung als solcher? Darüber zerbrachen sich Philosophen und Soziologen...