Musizierendes Berlin
Siegfried Borris
Erschienen in: Theater der Zeit: Surrealismus und was man dafür hält (12/1946)
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Daß das Leben erst mit 40 Jahren neu beginne, hat für mich eine besondere Aktualität erhalten. Dadurch gliedert sich mein Leben in ein ‚Vorleben' (bis 1933), in eine Art ‚Winterschlaf' und ‚das Neue'.
Meine frageböglichen Personalien verraten meine Beziehung zur Musik; sie enthalten ein Leitmotiv. Denn ich bin von Geburt und Konfession: Berliner, und selbst in der Parteinahme: Berliner.
Meinen ersten bedeutsamen Fehlschlag erlebte ich ebenfalls in Berlin: ein nationalökonomisches Studium an der Berliner Universität. Die Flucht zur Musikhochschule gelang jedoch (1927). Glücklicherweise ging es mit dem Studium dort um so schneller. Einige Verwirrung gab es nur bei den gestrengen Lehrern, als nach drei Semestern der Schüler Borris zum Kollegen Borris geworden war (1929). Neben meinen eigenen Vorlesungen über Musikerziehung erwarb ich mir den musikwissenschaftlichen Doktorhut kurz vor Beginn meines ‚Winterschlafs' (1933).
Dann durfte ich lange Zeit schweigen, schaffen und Pläne machen. So reifte vieles. Für die Schublade. Als ich damit 1945 ins neue Leben trat, hielten das manche für einen Fehler. Denn als unbescholtener Seminarspezialist war ich ehemals harmlos. Heute bin ich vielen zu mobil, auf zu vielen Gebieten aktiv.
Es tut mir leider nicht leid, da ich glaube, für den Neuaufbau unseres Berliner Musiklebens alle schöpferischen Kräfte voll...