5.3. Vom Abschluss der Analyse
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Es gibt also eine ganze Reihe von Vertikalen, mindestens fünf, die sich in Shakespeares wahrhaft apokalyptischem Stück selbstähnlich und wie in einer Kettenreaktion übereinanderfalten und zusammenknüllen: die des göttlichen Kosmos (Verlust der Landschaft), die des Königs (Verlust der Souveränität), die des Vaters (Verlust der Genealogie), die der Sprache (Verlust der metaphorischen Instanz), die des Bildes (Verlust der Perspektive). Was bleibt angesichts eines solchen Totalzusammenbruchs? Um darauf eine Antwort zu finden, ist es ratsam, sich noch eine letzte Dimension der Selbstmordszene Gloucesters zu vergegenwärtigen. Wie bereits erwähnt, folgt auf das Stolpern erst einmal ein Moment radikaler Ungewissheit, in dem Gloucester (oder was auch immer da jetzt spricht) nicht recht weiß, ob er noch lebt oder tot ist, ob er in die Tiefe gestürzt ist oder nicht: »But have I fall’n or no?« (IV,6; Z.56) Nachdem Edgar ihm dann seine Lügengeschichte aufgetischt hat, erklärt Gloucester, von nun an sein Leid tragen zu wollen, bis es von selbst »Genug!« schreie, um dann zu sterben. Offenbar ist Edgars kurz zuvor asidegeäußerte Absicht – »Why I do trifle thus with his despair / Is done to cure it.« – »Weshalb ich so spiele mit seiner Verzweiflung, ist, um sie zu heilen« (IV,6; Z.33/34) – aufgegangen:...