Auftritt
Landestheater Niederösterreich St. Pölten: Amerikanisch-österreichischer Akzent
„Iowa“ von Stefanie Sargnagel (UA) – Bühnenfassung und Regie Mira Stadler, Bühne und Kostüme Jenny Schleif, Musik Bernhard Eder
von Michael Hametner
Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Landestheater Niederösterreich
Der letzte Satz lautet: „Das war Iowa“. Danach folgt ein Black und zu Ende ist in St. Pölten am Landestheater Niederösterreich die Uraufführung von Stefanie Sargnagels „Iowa. Ein Ausflug nach Amerika“. Was war zu Ende? Der Ausflug nach Iowa und die Besichtigung des vergilbten Teils der USA, wie sie den Flughafen von Iowas Hauptstadt Des Moines nennt? Oder einfach nur die Inszenierung? Im Buch kommt die Schriftstellerin und Cartoonistin Stefan Sargnagel (Jahrgang 1986) zusammen mit ihrer Freundin, der Sängerin Christiane Rösinger (Jahrgang 1961), auf dem weichen Boden amerikanischen Kleinstadtlebens an, wo sich 80 Prozent der Klischees über Amerikaner zu versammeln scheinen. Watteweich, wie das aufgerissene Sandwiches eines amerikanischen Hotdogs, vor dem sich Stefanie Sargnagel lange ekelt, bevor sie mangels Alternative ihren Frieden damit schließt. In der Aufführung kommt das Publikum in einer bunten Theaterwelt an, wo es vorwiegend mit Parodien unterhalten wird. Vier Darsteller:innen, zwei Frauen, zwei Männer, lange Zeit des Abends über mit Perücken und Kostümen zu Schießbudenfiguren gemacht, werfen sich mit Tempo auf die Parodie, als wär’s ein Remake der „Simpsons“.
Regisseurin Mira Stadler, die auch aus dem Roman ihre Theaterfassung gemacht hat, hat sich für ihre Darsteller:innen ein ganzes Arsenal von Mitteln ausgedacht, damit es nicht langweilig wird: Rollenspiel, Spiel im Spiel, Ausstieg aus dem Spiel, aber vor allem parodierendes Rollenspiel. Jede und jeder ist mal Frau Sargnagel oder Frau Rösinger. Kaum wird eine Figur im Text skizziert, kommt sie auf die Bühne. Die Prosa des Buches wird beibehalten, um in das jeweils neue Setting einzuführen. Eben angekündigt und schon quetscht sich der Westernheld zur Mundharmonikafanfare von „Spiel mir das Lied vom Tod“ durch die Saloon-Tür oder ein anderer Held erscheint mit Rollschuhen oder der Fahrer, der die Gäste vom Flughafen abholt, mit einem Lenkrad und bettelt um deutsche Hummel-Figuren, nach denen halb Amerika verrückt ist. Dazwischen lümmeln Frau Sargnagel und Frau Rösinger im Fernsehsessel und reiben sich die Augen über das Amerika, das da auf der Bühne in St. Pölten an ihnen vorbeizieht. In der Absicht, das Publikum mit rascher Abfolge von Einfällen gut zu unterhalten, bleibt die Aufführung leider an der Oberfläche. Zumeist; nicht immer. Die Musik von Bernhard Eder schließt sich dem Parodistischen an, ist darin aber sehr stilsicher amerikanisch mit österreichischem Akzent. Nicht leichtgenommen ist beispielsweise auch eine Szene, in der Tobias Artner die Einsamkeit einer Collegeprofessorin still hinter dem Satz versteckt: Die Liebe der Tiere genügt mir! Doris Hindinger, die überwiegend die Sängerin-Freundin spielt, hat das größte Arsenal an Tönen. Laura Laufenberg stellt sich mit eigener Lust hinter Sargnagels Begeisterung für Tratsch und Julian Tzschentke zeigt sich in den vielen Rollenspielen als überaus wandlungsfähig.
Der Satz, dass im Iowa-Amerika (und nicht nur dort) hinter der nächsten Ecke ein Trumpbanner auf einen wartet, bleibt erhalten, aber überwiegend beherrscht die Unterhaltungsabsicht das Spiel, wofür das Publikum immer mal mit Lachern dankt. Trotzdem geht die Uraufführung am Buch von Stefanie Sargnagel doch um Einiges vorbei. Paradoxerweise retten davor auch die vielen Originalzitate nicht. Weil sich Längen einstellen und tieferes Ausloten des Textes wünschenswert gewesen wäre, hätte die Theaterfassung auf Plotelemente verzichten können. Mit Vollständigkeitsabsichten kommt man der Vorlage nicht näher.
Regisseurin Mira Stadler und ihre Bühnen- und Kostümbildnerin Jenny Schleif, die das Grelle den Zwischenfarben vorzog, wollten sicher den Austausch über die Unterschiedlichkeit von Österreicher:innen, Deutschen und Amerikaner:innen vorführen, aber nutzten dafür zu wenig das Angebot der Autorin. Sie schreibt zum Beispiel von den subtilen Anwendungen der Cancel culture, die sie in Amerika erlebt hat. Da droht eine Studentin ihrer Professorin mit öffentlicher Anzeige, wenn sie in ihren Seminaren weiterhin Jürgen Habermas durchnehme, weil der doch ein alter weißer Mann sei. Der Sätze von „einem amerikanischen Kapitalismus mit wokem Antlitz“, von der wachsenden Selbstzensur der „jungen Akademikern ohne Absicherung“ oder von der geistigen Verwahrlosung der Kinder aus „gutem Hause“ schafften den Weg in die Uraufführungsfassung nicht, weil sie in deren Ton auch nicht gepasst hätten.
Dafür ist Stefanie Sargnagel Kult geworden: für ihren Blick von unten aus der prekären Welt, für die Ehrlichkeit, mit der sie bekennt, ihr kurzes Kunststudium nur im angetrunkenen Zustand ausgehalten zu haben, die lieber ihr halbes Leben verschläft, weshalb sie mehr Interesse an einer Slackerkarriere hat, ein Wort für (österreichische) Antriebslosigkeit, als Interesse am ehrgeizigen Weg zu einer berühmten Schriftstellerin. Wobei ihr erreichter Kultstatus gerade manches durcheinanderbringt. Diese Perspektive, die die Sargnagel zur Sargnagel gemacht hat, war bei der Uraufführung in St. Pölten nicht zu erkennen. Der Schlusssatz der Aufführung „Das war Iowa“ stimmte eben leider nicht.
Erschienen am 30.9.2024