Magazin
kirschs kontexte: Bücher lesen wie man Pilze liest
Die Ordnung der Bibliotheken
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Am Nullpunkt – Alain Badiou, Philippe Quesne, Joël Pommerat, Du Zieu (01/2016)
Der Aufstieg der „Sharing Economy“, dieses neuesten Internetgeschäfts, das sich als Ökonomie des Teilens ausgibt, realiter aber vor allem globale Datenkraken und gigantische Monopole generiert, verheißt nicht nur Taxiunternehmen und Hotelinnungen schwere Zeiten. Er betrifft auch all jene (halb)öffentlichen städtischen Orte, die bereits in prädigitalen Zeiten zum Teilen und Vernetzen gemacht wurden, vom Waschsalon bis zum DVD-Verleih. Auch die guten alten Stadtbibliotheken gehören darum zu jenen Orten, die allmählich eine ähnliche Tristesse zu verströmen beginnen wie ein Zeitungsstand, der sich gegen digitale Newsticker und kostenlose Nachrichtenportale zu behaupten sucht. Umso bemerkenswerter sind indes die Ausnahmen von der Regel: Eine der einladendsten, architektonisch interessantesten und anscheinend auch bestfrequentierten Stadtbibliotheken, die ich kenne, ist die Wiener Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz. Und weil ich bei gelegentlichen Wien-Besuchen immer gerne einmal in dieser Bibliothek sitze und lese, habe ich umso neugieriger die performative Installation „urban laboratory IDEAL PARADISE fragment 17“ des Wiener theatercombinats besucht: Bruchstück einer groß angelegten Forschungsarbeit des Kollektivs um Claudia Bosse, die möglichen Gemeinschaften „zwischen Menschen, Dingen und Ideologien“ in urbanen Räumen gilt und sich diesmal ebenmeiner Lieblingsstadtbücherei widmete.
Je drei mit Taschenlampe versorgte Besucher durften sich eine knappe Stunde lang von einem „persönlichen Agenten“ des theatercombinats durch die (Wissens-) Räume der...