Üblicherweise lernt man in der Schule, dass Immanuel Kant in seiner schriftlichen Auseinandersetzung mit irgendeinem Pfarrer zur „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ argumentiert hat, wer sich aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit“ emanzipieren wolle, müsse den Mut haben, sich seines „Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. In vielen Bundesländern folgt, wenn man diesen Satz gelernt hat, die Lektüre von Lessings „Nathan der Weise“, denn das Stück lehrt Toleranz im Umgang mit dem religiösen Glauben der Anderen. Es beweist, dass es viele Wege gibt, das Richtige zu tun. Aber halt! Wenn ich mich entschließen muss, meinen Verstand „ohne Leitung eines anderen“ zu bedienen, wie kann ich dann das Denken und Handeln des Anderen zulassen, ohne die Gefahr einzugehen, selbst unfrei zu bleiben? Die Emanzipation aus der Unmündigkeit ist also eine Emanzipation vom Anderen. Das steht am Anfang von Andreas Englharts neuem Buch „Das Theater des Anderen“.
Die Wege des Anderen sind unergründlich. Zumindest wenn man ihnen durch Englharts Kompendium zu folgen versucht, denn der Leser gewinnt schnell den Eindruck, dieser (oder dieses) ominöse „Andere“ lauert insgeheim hinter jeder zweiten Requisite. Man hetzt von Anderem zu Anderem in der „Theorie und Mediengeschichte einer existenziellen Gestalt von 1800 bis heute“, so der Untertitel. Im...